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VIELFALT/139: Liebe Streuobstwiese ... Die Obstsorten des Jahres 2015 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 188 - Oktober/November 2015
Die Berliner Umweltzeitung

Liebe Streuobstwiese ...
Die Obstsorten des Jahres 2015

Von Jörg Parsiegla


Blühende Bäume, bunt getupfte Wiesen und saftiges Obst - Streuobstwiesen sind kleine Paradiese vor den Toren von Deutschlands Städten und Dörfern. Hier leben Menschen, Tiere und Pflanzen von- und miteinander. Es ist eine eigene kleine Welt, die sich im Rhythmus der Jahreszeiten dreht. "Ein Karussell des Lebens - ohne Anfang und ohne Ende." Das Zitat stammt aus der Werbung für einen im Mai 2015 als Wiederholung in der ARD (ursprünglich Dritte Programme) gesendeten gleichnamigen Dokumentarfilm über Streuobstwiesen - mag sein etwas kitschig, aber durchaus zutreffend!

In Deutschland werden die Sorten des Jahres regional und von unterschiedlichen Obstanbau- und Gartenverbänden vergeben. Da es oft Apfelsorten sind, die gekürt werden, haben naturgemäß Pomologen-Vereine ein Wort mitzureden, für sie gibt es in Hamburg eine Bundesgeschäftsstelle. Im Folgenden ein (unvollständiger) Überblick:

Die Veranstalter der Norddeutschen Apfeltage, eine ARGE aus dem BUND-Landesverband Hamburg und dem UmweltHaus am Schüberg in Ammersbek, riefen bereits Mitte April die Sorte Rosa Claussen, auch Dithmarscher Borsdorfer oder Jungferntitt genannt, zum Apfel des Jahres 2015 aus. Die Sorte stammt aus Dithmarschen, wo der Apfel schon um das Jahr 1910 erwähnt wurde. Namensgeberin war eine gewisse Rosa Claussen aus der Gemeinde Wrohm des Dithmarschen-Kreises.

Rosa Claussen ist ein mild süßsäuerlich schmeckender Apfel mit ausgeprägtem Aroma - das macht ihn zu einer echten Liebhabersorte. Genussreif ist er von Ende September bis in den Februar hinein. Die Farbe der Schale ist zu Beginn gelbgrün mit roten Streifen auf der Sonnenseite, später rot mit hellen Schalenpunkten. Rosa Claussen bildet große Bäume mit guter Verzweigung und ist für den Streuobstanbau sehr gut geeignet. Gelegenheit zur Verkostung des Apfels gab es auf den 15. Norddeutschen Apfeltagen im Loki-Schmidt-Garten (Botanischer Garten der Universität Hamburg) vom 25. bis 27. September.

Einen noch größeren Vorlaufbei der Titelvergabe hatte die Landesgruppe Hessen des deutschen Pomologen-Vereins. Sie kürte ihre Lokalsorte 2015, den Anhalter, schon frühzeitig auf dem Apfelmarkt der Naturschutz-Akademie Hessen am 28.9.2014. Der Apfelmarkt in Wetzlar bietet seit jeher die Möglichkeit, sich über alte Obstsorten sowie die Pflanzung und Pflege von Obstbäumen in Garten und Landschaft zu informieren.

Die alte hessische Sorte Anhalter hat zum Teil überregionaler Bedeutung, ihr Verbreitungsschwerpunkt liegt im Taunus und in der Wetterau. Die rundliche bis hochgebaute, außen glatte, zwischen Grün- und (mit zunehmender Reife) Gelbtönen changierende, zum Teil rot gestreifte oder geflammte Frucht besitzt ein ausgewogenes Zucker-Säure-Verhältnis und schmeckt sehr saftig, jedoch ohne besonderes Aroma. Der Anhalter wird besonders wegen seiner langen Halt- und vielseitigen Verwendbarkeit geschätzt. Die Sorte hat sich bis heute in einigen Baumschulen gehalten und ist entsprechend in Mittel- und Südhessen als robuster und wertvoller Wirtschaftsapfel verbreitet.

Weg vom Apfel - hin zu weiteren Streuobstsorten des Jahres. Der Verband der Gartenbauvereine Saarland / Rheinland-Pfalz e.V. hat die Herbstbirnensorte Köstliche aus Charneu zu seiner Sorte des Jahres -für das Verbandsgebiet - benannt.

Bereits 1857 zum Anbau empfohlen, wurde sie 1922, neben Boscs Flaschenbirne und Williams Christbirne von der Deutschen Obstbaugesellschaft als wirtschaftlich wichtig eingestuft. Ihr "Fund" reicht noch weiter zurück - um 1800 tauchte sie als Zufallssämling in Charneu (heute Charneux) in der belgischen Provinz Lüttich auf.

Die mittelgroße bis große, kegelförmige Birne mit grünlichgelber Schale (oft streifenartig getötet auf der Sonnenseite) besitzt gelblichweißes Fruchtfleisch und schmeckt süß und würzig. Pflück- und genussreif ab Ende September, ist die Köstliche haltbar bis Anfang November. Der Ertrag ist allgemein hoch, setzt aber spät ein.

Die Tafelbirne hat gute Lagereigenschaften und eignet sich auch zum Einkochen, Dörren oder zur Saftherstellung. Der Baum stellt kaum Ansprüche, er ist robust und geeignet für normale Gartenböden. Die Sorte eignet sich gut für den Anbau auf Obstwiesen.

In Baden-Württemberg, das von sich behauptet, jeder zweite deutsche Streuobstbaum würde hier stehen, kam 2015 eine Kirsche zu Ehren. Der dortige Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft e.V. (LOGL) wählte die "Brenn- und Schüttelkirsche" Benjaminler, die ursprünglich aus Mösbach im Ortenaukreis stammt, zu seinem Favoriten.

Die Sorte ist fachlich anerkannt und wird so auch im Handbuch Obstgehölze des Bundes deutscher Baumschulen Servicegesellschaft mbH (BdB) beschrieben. Danach ist die Benjaminler ist eine "wertvolle Brennkirsche mit hohem Zuckergehalt, dabei relativ platzfest, gut schüttelbar und durch die späte Blüte wenig frostgefährdet." Der Baum selbst ist "großkronig, mit vitaler Erscheinung und damit landschaftsprägend; außerdem gut für höhere Lagen geeignet."

Die Sortenbezeichnung geht auf Benjamin Klumpp beziehungsweise dessen Sohn Josef zurück, der die Kirsche 1925 gefunden und erstmals aufgepflanzt hatte. Die Benjaminler wird heute über die Landesgrenzen hinaus empfohlen und angebaut.

Auch der Arbeitskreis Historische Obstsorten Pfalz-Elsass-Kurpfalz wählte 2015 eine Süßkirsche zum Obstbaum des Jahres: die Süßkirsche Frühe Rote Meckenheimer. Die oft einfach nur als Meckenheimer bezeichnete, überregional bekannte Kirsche stammt aus dem vorderpfälzischen Ort gleichen Namens, wo sie um 1907 wohl, wie schon die oben beschriebene Birnensorte, als Zufallssämling gefunden wurde. Ihr heutiger Name setzte sich ab etwa 1960 durch. Nach dem 2. Weltkrieg fand die großfrüchtige und wohlschmeckende Sorte sogar bundesweite Beachtung. Noch bis Ende der 1970er Jahre war die große, attraktiv aussehende Frühe Rote Meckenheimer eine der wichtigsten frühen Herzkirschen im westdeutschen Erwerbsanbau. Mit dazu beigetragen haben sicher ihre gute Platzfestigkeit und die unkomplizierten Anbaueigenschaften. Erst ab etwa 1980 wurde sie durch andere festfleischigere und transportfähigere Frühsorten verdrängt.

Kurz vor Redaktionsschluss, in der letzten Augustwoche, wurde erstmals eine sächsische Obstsorte des Jahres gekürt - als bislang einzige ostdeutsche Vertreterin im Titelreigen der Länder- beziehungsweise Regionalobstsorten. Es handelt sich um die Gelbe Sächsische Renette, eine alte Regionalsorte Sachsens, über deren Alter und genaue Herkunft es keine genauen Angaben gibt.

Als Blick über den Tellerrand sei an dieser Stelle noch die von der ARGE Streuobst Österreich gewürdigte Jahressorte Anna Späth, eine Hauspflaume, genannt.

Lokale Obstsorten sind ein bedeutendes Kulturgut, das mehr und mehr verlorengeht. Mit der Titelvergabe der jeweiligen Sorten des Jahres soll dem weiteren Verschwinden einst landschaftsprägender Obstbäume Einhalt geboten werden. Grund für den Rückgang der Sortenvielfalt ist die Abnahme der wirtschaftlichen Bedeutung von Obstwiesen zugunsten der besser zu bewirtschaftenden Niederstammanlagen beziehungsweise -plantagen. Zahlreiche Obstsorten sind bereits unwiederbringlich verloren, viele weitere sind stark gefährdet.

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Quelle:
DER RABE RALF
26. Jahrgang, Nr. 188, Seite 23
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2015

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