Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


MASSNAHMEN/284: Wie kommen Wanderfische in die Schweiz - Seilbahn für Lachse? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1133 vom 15. Okt. 2018 38. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wie kommen Wanderfische in die Schweiz: Seilbahn für Lachse?


Der Bau von Fischpässen an den großen Staustufen ist jedes Mal eine Herausforderung für Fischbiologen und Ingenieurinnen. Aber alle Schwierigkeiten werden am geplanten Fischpass an der Staustufe Vogelgrün am nördlichen Eingang zum Rheinseitenkanal (Grand Canal d'Alsace) in der Höhe von Breisach in den Schatten gestellt. Die französische Staustufe mit ihren beiden Schleusenkammern und dem Kraftwerk ist in den 1950er Jahren errichtet worden. Damals hatte noch kein Mensch mit der Rückkehr von Lachsen und anderen "Langdistanzwanderfischen" gerechnet. Insofern steht jetzt alles "am falschen Platz" - und der nachträgliche Einbau eines Fischpasses ist damit fast ein Ding der Unmöglichkeit. Denn mit einer herkömmlichen Fischtreppe ist es an der Staustufe Vogelgrün nicht getan. Bei Vogelgrün müssen nämlich die aufwärtswandernden Fische vom Rheinseitenkanal in den 45 km langen "Restrhein" umgeleitet werden. Im "Restrhein", dem ehemaligen Rheinhauptbett, können die aufwärtsstrebenden Fische den Rheinseitenkanal mit seinen drei weiteren Staustufen "umschwimmen". Über dieses "Umgehungsgerinne" können die Fische dann nach Basel und weiter in die ehemaligen Laich- und Jungfischhabitate in der Schweiz gelangen. Aufgrund der "falschen" Anordnung von Kraftwerk und Schleusenkammern und der extrem ungünstigen Topografie in Vogelgrün hatte man ursprünglich eine Seilbahn in Erwägung gezogen, um die Fische vom Kanal in den Restrhein zu befördern.

Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Vogelgrun
finden RUNDBR.-LeserInnen eine Luftaufnahme, auf der nach dem Klick auf die Vergrößerungsfunktion das "Kulturwehr" Breisach im "Restrhein" (im Vordergrund) sowie das Kraftwerk und die beiden Schleusenkammern der Staustufe Vogelgrün in der Draufsicht gut zu sehen sind. Von der nicht gerade billigen "Seilbahn-Lösung" hat man inzwischen wieder Abstand genommen. Bei den jetzt diskutierten Alternativen muss man zahlreiche Aspekte beachten, die das gesamte Projekt zu einer wohl nicht nur am Rhein beispiellosen Herausforderung machen. Mehr dazu in den nächsten Notizen.

Durchgängigmachung Oberrhein: Mögen Lachse Tunnels?

Derzeit eruiert man in der Internationalen Rheinschutzkommisssion, ob man statt der ursprünglich angedachten Seilbahnlösung eine "Hochpunktvariante" bzw. auch eine "Tunnellösung" realisieren kann. Bei der Hochpunktvariante würden die Fische in einem kilometerlangen Kanal mit komplizierter Linienführung über das Kraftwerk und die Schifffahrtsschleusen in den "Restrhein" befördert. Bei der alternativen "Tunnellösung" würde es in einem ein Kilometer langen Tunnel ("Düker") unter den beiden Schleusenkammern hindurchgehen. Für die Tunnellösung hat sich in der Internationalen Rheinschutzkommission (IKSR) vor allem die schweizerische Delegation stark gemacht - schließlich hat man in der Eidgenossenschaft umfangreiche Erfahrungen bei der Untertunnelung der Alpen. Um herauszufinden, ob Fische überhaupt eine Tunnelpasage akzeptieren würden, hat sich eine IKSR-Expertengruppe einige der Düker angeschaut, mit denen Bäche und Flüsse unter dem Mittellandkanal hindurchgeleitet werden. Nach den Erfahrungen mit den Dükern unter dem Mittellandkanal erscheint es nicht völlig aussichtslos, die Fische von einem Tunnel zu begeistern. Allerdings müssen noch zahlreiche Details geklärt werden:

Beispielsweise stellt sich die Frage, ob der Tunnel beleuchtet werden muss. Auf Helligkeit im Tunnel sollen vor allem die Maifische Wert legen. Aber wenn man sich tatsächlich zum Einbau einer Beleuchtung entschließen sollte - wie reinigt man dann die Beleuchtung in einem ein Kilometer langen Wasserstollen von nur 1,80 m Durchmesser? Denn die Beleuchtung wäre in kurzer Zeit von Algen überwuchert. Soll man zum Reinigen der Beleuchtung regelmäßig platzangstfreie Taucher mit einer Bürste in den Tunnel schicken? Oder kann man die Säuberungsarbeiten deutlich preisgünstiger smarten Robotern überlassen?

"Hochpunktvariante": Mögen Fische Wasserrutschbahnen?

Egal ob "Tunnellösung" oder "Hochpunktvariante" - zunächst müssen die Fische am Kraftwerk der Staustufe Vogelgrün mit Fischtreppen auf beiden Uferseiten der Kraftwerksanlage auf "Sollhöhe" gebracht werden. Damit die aufstiegsbereiten Fische den Eingang zu den Fischtreppen überhaupt finden, muss man links und rechts des Kraftwerkes eine starke Lockströmung von jeweils 15 Kubikmetern pro Sekunde installieren. Während bei der "Tunnellösung" die Fische bis zum Stolleneingang nur einen Höhenunterschied von vier Metern überwinden müssen, wären es bei der "Hochpunktvariante" schon mal zehn Meter. Im Hinblick auf Ermüdungserscheinungen und nachlassenden Elan bei der Aufwärtswanderung "zähle jeder Meter", den man den Fischen ersparen kann, erklären die Fischexperten in der IKSR. Wenn die Fische bei der "Hochpunktvariante" die Fischtreppe erklommen haben, wäre der Aufstieg allerdings noch nicht geschafft. Die aufsteigenden Fische müssten dann entgegen der Strömung im 1,40 m tiefen Überleitungskanal ("Gerinne") noch bis zum eigentlichen Hochpunkt, der sich über den Schleusenkammern befindet, wandern. Vom Hochpunkt aus ginge es dann wieder bergab in Richtung Restrhein. Unklar ist noch, ob aufstiegsbereite Fische, die immer gegen die Strömung schwimmen, überhaupt bereit wären, sich in dem Überleitungsgerinne "bachabwärts" zu bewegen. Die für die Fischwanderungen ungewöhnliche Strömungsumkehr könnte dazu führen, dass die Fische wieder kehrt machen. Deshalb sollen die Fische in eine Art Reuse schwimmen, die eine Umkehr der irritierten Fische verhindern soll.

Nach den Planungen der EdF soll sich der Boden der Reuse periodisch heben. Damit sollen die Fische gezwungen werden, über eine sich dann öffnende Klappe ("Schütz") intervallmäßig und "gebündelt" in den Restrhein abzuwandern. Im Klartext: Die Fische würden vom Schütz aus fünf Meter tief in den "Restrhein" plumpsen. Den Sturz in die Tiefe könnte man lindern, wenn man eine Wasserrutschbahn bauen würde, über die die Fische vergleichsweise sachte in den "Restrhein" gleiten könnten. Das System habe sich bereits an Fischliften bewährt, wurde in der IKSR von französischer Seite erklärt. Deutsche Fischexperten vertreten aber die Ansicht, dass die "gebündelt" in den "Restrhein" entlassenen Fische ein gefundenes Fressen für Kormorane und Raubfische sein könnten.

Wie temperatursensibel sind Langdistanzwanderfische?

Aufgrund der längeren Fließzeit im "Restrhein" im Vergleich zum Rheinseitenkanal soll der Temperaturunterschied im Sommer bis zu vier Grad betragen. Das Wasser im "Restrhein" hat einfach mehr Zeit, um sich zu erwärmen. Im Winter sei es genau umgekehrt. Dann ist das Kanalwasser wärmer als das Wasser im "Restrhein". Wir gehen davon aus, dass die Temperaturunterschiede noch größer werden könnten, falls irgendwann mal das Atomkraftwerk Fessenheim tatsächlich abgeschaltet werden sollte. Die beiden Reaktorblöcke in Fessenheim wurden ohne Kühltürme bebaut - und belasten das Rheinwasser mit mehreren Tausend Megawatt Abwärmeleistung (s. RUNDBR. 1108/1). Um den Fischen den Wärmeschock beim Einwandern in das wärmere Restrheinwasser zu ersparen, müsse man das Wasser sowohl in der "Tunnellösung" als auch in der "Hochpunktvariante" temperaturmäßig anpassen. Denn schon bei einem Grad Temperaturunterschied soll es Desorientierungsphänomene bei Fischen geben. Bei vier Grad plötzlichem Temperaturunterschied müsse gar mit einer "Benommenheit" der Fische gerechnet werden. Auch in dem Fall wären die Fische eine leichte Beute für am Restrhein gefräßig wartende Kormorane und Raubfische. In den Fachgremien der IKSR wird zudem die Frage gestellt, ob sich der Kanal bei der "Hochpunktvariante" bei praller Sonneneinstrahlung zu stark erwärmen könnte. Muss der Betonkanal wärmegedämmt oder zumindest weiß gestrichen werden, so eine weitere Frage.

Um alle Bedenken, Befürchtungen und diskutierte Eventualitäten im RUNDBR. vorzustellen, fehlt hier der Platz. Trotz aller Hemmnisse sind die internationalen Fischexperten in der Rheinschutzkommission optimistisch: Beide Varianten werden "fischbiologisch als machbar" angesehen.

Abschied vom "Lachstaxi"

Dass man in der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) weiterhin intensiv über die "Hochpunktvariante" und die "Tunnellösung" diskutiert, hat seinen Grund: Auf der Plenarsitzung der IKSR Anfang Juli 2018 im schweizerischen Solothurn hat die französische Delegation den Abschied vom "Lachstaxi" bekannt gegeben: Über viele Jahre hinweg wollte die Électricité de France (EdF), die Betreiberin der Schleusen und Kraftwerke am südlichen Oberrhein, von weiteren Fischpässen an den Staustufen nichts wissen. Zusammen mit der französischen Wasserwirtschaftsverwaltung hatte die EdF den "mobilen Fischpass" propagiert. Oberhalb von Straßburg wollte man die aufsteigenden Lachse in Tankschiffe packen - um sie dann in den "Restrhein" zu schippern. Der SPIEGEL hatte getextet: "Taxe für Lachse" (s. RUNDBR. 859/1-2). Aber nicht nur bei den Umweltschutzverbänden war der "mobile Fischpass" auf Widerstand gestoßen - sämtliche Mitgliedsstaaten der IKSR (außer Frankreich) hatten sich hartnäckig geweigert, die auch als "Omnibuslösung" titulierte Tankschiffvariante zu akzeptieren. Im Sinne der EG-Wasserrahmenrichtlinie sei die Schaffung einer tatsächlich "ökologischen Durchwanderbarkeit" des staugeregelten Oberrheins von Nöten. Frankreich hat sich schließlich der internationalen Kritik gebeugt. "Seit Solothurn" werden die Karten neu gemischt.

Die Fischpässe in der richtigen Reihenfolge bauen!

Beim Neumischen der Karten gibt es auch gegenläufige Meinungen innerhalb der aquatischen Umweltszene. So herrschen Zweifel, ob mehrere Dutzend Millionen Euro Baukosten für die komplexe Überleitung bei Vogelgrün einen Sinn machen. Bevor man sich an Vogelgrün heranwage, wäre es sinnvoller, zunächst einmal herkömmliche Fischtreppen an den beiden unterhalb liegenden Staustufen - also Rhinau und Marckolsheim - zu bauen. Denn dort kämen die aufwärtsstrebenden Langdistanzwanderfische ja zuerst an. Dann hätte man auch mehr Zeit, über eine adäquate Lösung für Vogelgrün nachzudenken. Der Vorschlag geht aber nicht konform mit dem Auslaufen der Konzessionen für die Staustufen. Die zehn Staustufen am Oberrhein sind von den 30er bis in die 70er Jahre im letzten Jahrhundert von Süden nach Norden - mithin schrittweise flussabwärts - errichtet worden. Deshalb läuft zunächst die Konzession (die Betriebsgenehmigung) für Vogelgrün aus, und dann enden mit vielen Jahren Abstand die Konzessionen für die Staustufen Marckolsheim und Rhinau. Realistisch gesehen kann man aber einen millionenteuren Fischpass nur im Rahmen einer Neukonzessionierung durchsetzen. Um den Langdistanzwanderfischen entgegen zu kommen, müsste man logischerweise die Konzessionierungsreihenfolge umdrehen. Für diesen unkonventionellen Vorschlag gibt es aber bis jetzt weder in Frankreich, noch in den anderen IKSR-Delegationen Anzeichen für Akzeptanz.

*

Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1133
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Alfred-Döblin-Platz 1, 79100 Freiburg
Tel.: 0761/45687153, Fax: 0761/45687139
E-Mail: post@regiowasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
Wasser, Kto-Nr. 41952 757, Postbank Klrh., BLZ 660 100 75.
 
Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU wieder!
Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF ist bei
Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang