Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LEBENSRÄUME

MOOR/043: Nieren unter Druck - Zur Situation der Moore in Deutschland (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/13
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Nieren unter Druck
Zur Situation der Moore in Deutschland.

von Bernd Pieper



Ohne den menschlichen Einfluss wäre Deutschland heute weitgehend von Buchenwäldern bedeckt. Dieser Satz gehört mittlerweile beinahe zum Allgemeinwissen. Nur wenigen dürfte hingegen bekannt sein, dass noch vor drei Jahrhunderten große Flächen des heutigen Deutschland von Mooren bedeckt waren, vor allem in der norddeutschen Tiefebene und im Alpenvorland.


Das Image des Moores ähnelte über lange Zeiten dem des Wolfes: düster, geheimnisvoll und todbringend. Kein Zufall, dass in der Nachkriegslegende des "Würgers vom Lichtenmoor" Moor und Wolf eine unheilige Allianz eingehen mussten: Im Frühjahr 1948 wurden in den unwegsamen Heide- und Moorgebieten rund um das niedersächsische Lichtenmoor zahlreiche Schafe, Rinder und Wildtiere getötet. Die Bevölkerung schrieb diese Taten einer blutrünstigen "Bestie" zu, und so passte es ins Bild, dass am 27. August 1948 tatsächlich ein einsamer Wolfsrüde im Lichtenmoor erlegt wurde.


Noch fünf Prozent Restmoore
Heute weiß man, dass ein Großteil der toten Tiere auf das Konto von Schwarzschlachtungen ging, die bequem auf das angebliche Untier im Moor geschoben werden konnten. Heute weiß man auch um die herausragende ökologische Bedeutung der Moore. Und heute bemüht sich der NABU mit seinen Partnern, trockengelegte Flächen des Lichtenmoores wieder zu vernässen und so die Grundlage für eine nachhaltige Renaturierung zu schaffen.

Denn den Mooren bei uns geht es schlecht. Rund 95 Prozent der ursprünglichen Moorflächen in Deutschland gelten als "tot" - sie wurden entwässert, abgetorft oder für land- und forstwirtschaftliche Zwecke genutzt. Sie sind regelrecht in sich zusammengefallen, da ihnen Wasser entzogen und durch die einströmende Luft ein Zersetzungsprozess initiiert wurde. "Solche Flächen können nicht mehr als Wasserspeicher fungieren und verlieren auch ihre Bedeutung als Lebensraum zahlreicher spezialisierter Arten", sagt NABU-Moorexperte Felix Grützmacher.


Selbst die Meere leiden
Naturnahe Moorlandschaften hingegen können innerhalb kurzer Zeit viel Wasser aufnehmen und dadurch auch einen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten. Bei starkem Regen oder nach Überflutungen speichern sie das Wasser und geben es nur langsam wieder ab. Die Pflanzen im Moor nehmen zudem die im Wasser gelösten Nähr- und Schadstoffe auf und schließen sie durch die Torfbildung dauerhaft im Moor ein. Deshalb werden Moore, ebenso wie andere Feuchtgebiete, gerne als "Nieren der Landschaft" bezeichnet.

Ausgetrocknete Moore mit einer mineralisierten und damit zerstörten Torfschicht können diese Funktion nicht mehr wahrnehmen. Im Gegenteil, sie geben schädliche, vorher gebundene Substanzen frei, die ins Grundwasser oder in angrenzende Gewässer gelangen. Das hat Konsequenzen, selbst für die Meere. So gilt die Überdüngung mit Nährstoffen wie Stickstoff oder Phosphor, als eines der Hauptprobleme der Ostsee. "Wenn wir die Ziele aus dem offiziellen Aktionsplan zum Schutz der Ostsee erreichen wollen, müssen wir auch die Nährstoffausträge in den Flusseinzugsgebieten drastisch reduzieren", so Felix Grützmacher. Dazu müssten vor allem Feuchtgebiete in der Agrarlandschaft revitalisiert und dort wo nicht möglich, eine an die feuchten Bedingungen angepasste extensive Bewirtschaftung initiiert werden.


Natürlicher Klimaschutz
Die Bedeutung intakter Moore für den Klimaschutz ist enorm. Im Torf, der aus den abgestorbenen Pflanzen des Moores entsteht, sind große Mengen Kohlenstoff gespeichert. Obwohl Moore lediglich drei Prozent der Landfläche unserer Erde bedecken, ist in ihnen doppelt so viel Kohlenstoff gebunden wie in allen Wäldern weltweit. In Deutschland enthält eine 15 Zentimeter dicke Torfschicht auf gleicher Fläche etwa so viel Kohlenstoff wie ein 100-jähriger Wald. "Wenn durch die Nutzung eine ein Meter mächtige Moorschicht verloren geht, müsste zum Ausgleich über das Sechsfache an Fläche aufgeforstet werden und 100 Jahre ungestört wachsen", so Felix Grützmacher.

Denn gelangt nach der Entwässerung Luft in den Torfkörper, emittiert der gespeicherte Kohlenstoff als Treibhausgas Kohlendioxid - und nicht nur das: es entsteht auch Lachgas, dessen klimaschädliche Wirkung fast dreihundertmal höher ist als die von Kohlendioxid. Was also jahrtausendelang eingeschlossen war, entweicht nach der Zerstörung des Moores durch den Menschen innerhalb kurzer Zeit in die Atmosphäre. Damit ist die Moorzerstörung mittlerweile für fünf Prozent des Klimagas-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich.


Die Entwicklung einer zehn Meter mächtigen Torfschicht dauert 10.000 Jahre.

Niedermoore
Niedermoore entstehen unter einem starken und stetigen Grundwassereinfluss, etwa in feuchten Senken oder Flussniederungen. Sie sind meist geprägt von nährstoffreichen Bedingungen. Im wassergesättigten Milieu werden absterbende Pflanzen nur unvollständig zersetzt. Mit der Zeit entsteht eine immer dicker werdende Schicht aus organischem Material, der Torf.

Hochmoore
Hochmoore werden ausschließlich durch Niederschlagswasser gespeist und sind daher nährstoffarm. Sie finden sich vor allem im regenreichen Nordwesten Deutschlands und in den Gebirgsrandlagen. Sie können aus Niedermooren hervorgehen, indem durch die über Jahrtausende andauernde Torfbildung die Mooroberfläche nach oben wächst und den Kontakt zum Grundwasser verliert. Torfmoose speichern das Niederschlagswasser daher wie in einem gewaltigen Schwamm. Sie sind bestens an die geringe Versorgung mit Mineralien und Stickstoff angepasst und sorgen auch für den im Hochmoor typischen niedrigen pH-Wert.

Übergangsmoore
Übergangs- beziehungsweise Zwischenmoore sind Moore in der Entwicklungsphase vom Nieder- zum Hochmoor. Ihre Artenausstattung ist besonders vielfältig. Bei ausreichenden Niederschlägen kann sich das Übergangs- oder Zwischenmoor zum Hochmoor weiterentwickeln.



Starke Gemeinschaft von Spezialisten

Die wenigen noch intakten Moore in Deutschland sind streng geschützt. Dadurch soll auch die biologische Vielfalt bei uns gesichert werden, denn in Mooren finden viele stark gefährdete Arten einen Lebens- und Rückzugsraum. Gerade in den nährstoffarmen und sauren Hochmooren haben sich hochspezialisierte Tier- und Pflanzengesellschaften entwickelt.

Die Überlebensstrategien in einer eher kargen Umgebung sind raffiniert. Die Hochmoor-Mosaikjungfer, eine einstmals in Deutschland häufige und jetzt vom Aussterben bedrohte Libellenart, legt ihre Eier in schwimmende Torfmoosrasen, wo sich die Larve in der sauren Umgebung nur sehr langsam entwickelt. Der Rundblättrige Sonnentau hat seinen Namen von den in der Sonne glitzernden Sekrettröpfchen an den Blatträndern, die zur Todesfalle für durstige Insekten werden. Die Tiere bleiben an der klebrigen Substanz haften und werden anschließend langsam von der Pflanze "verdaut" - eine willkommene Nährstoffergänzung auf mageren Böden.

Typisch für das Hochmoor sind spezifische Lebensgemeinschaften verschiedener, nur hier vorkommender Arten. So ist die Moosbeere die Nahrungsgrundlage für zahlreiche Insekten, darunter Tagfalter wie der Hochmoor-Perlmutterfalter, der Moosbeeren-Grauspanner und der Hochmoor-Bläuling. Sowohl die Futterpflanze als auch ihre Gäste gelten in Deutschland als stark gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht.

Nieder- und Übergangsmoore sind Refugium zahlreicher Arten, deren Überleben zeitweise oder ganzjährig vom Wasser abhängt. Dazu gehören seltene Pflanzenarten wie das Sumpf-Blutauge oder das Sumpf-Glanzkraut. Aber auch viele Vogelarten wie Kiebitz, Bekassine und Brachvogel nutzen die wasserreiche Umgebung, die ihnen Schutz und reichlich Nahrung bietet.



Ausführliche Infos zum Thema online unter
www.NABU.de/Moorschutz.

*

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Wollgras siedelt sich auf renaturierten Abbauflächen recht schnell wieder an.

- Auch wenn in Deutschland inzwischen viel für die Renaturierung abgetorfter Moore getan wird: Der angerichtete Schaden ist in menschlichen Zeiträumen kaum mehr gutzumachen.

- Spezialisten unter sich: Der Hochmoor-Perlmutterfalter legt seine Eier an Moosbeeren ab. Den Sonnentau sollte er dagegen meiden, denn er kann zur tödlichen Falle werden.

*

Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/13, Seite 8 - 10
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2013