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SCHUTZGEBIET/550: Vorpommersche Boddenlandschaft - Paradies mit Problemen (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2009
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Vorpommersche Boddenlandschaft
Paradies mit Problemen

Von Arndt Müller


Selten lässt sich das Wirken der Natur so anschaulich verfolgen wie an der Boddenküste im größten Nationalpark Mecklenburg-Vorpommerns. Der Natur wird hier freier Lauf gelassen - ganz anders als in den Wäldern jenseits der Dünen.

Erstaunliche 1945 Kilometer misst die Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern. Allein 1568 Kilometer entfallen dabei auf die in viele Bodden, Nehrungen, Haken und Haffe gegliederte Boddenküste. Eiszeitliche Gletscher prägten sie einst. Heute wird sie geformt von der beständigen Kraft des Wassers und Windes. Nur an wenigen Stellen wirkt sie noch so ungebremst wie im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Mit 805 Quadratkilometern ist er der größte Nationalpark im deutschen Nordosten. Besonders im Herbst und Winter gerät die Landschaft in Bewegung. Dann lassen sich hier jene Prozesse studieren, die der Boddenküste seit Jahrtausenden ihr abwechslungsreiches Gesicht verleihen. Bei Sturm nagen die Wellen an den Küsten - besonders an der Westküste der Halbinsel Darß und am Kliff im Norden der Insel Hiddensee. Sie schwemmen Sand, Lehm und Kies mit sich fort und lagern das Material in ruhigeren Gefilden wieder ab. Dort entstehen flache Sandbänke, auf denen allmählich, genährt von immer neuem Sand, Dünen wachsen oder Stürme Strandwälle aufwerfen. Ganze Ketten von Wällen und Dünen entstehen so, Hügel um Hügel aneinandergereiht, nur getrennt von feuchten Tälern, in denen sich mit der Zeit Moore bilden. Heute sind die Moore und Dünen bewaldet. Im Luftbild erkennt man ihren einstigen Verlauf an den unterschiedlichen Baumarten - vornehmlich Erlen und Birken in den Senken, Buchen und Kiefern auf den Kuppen.


Wild frisst Wald

Große Teile der Nationalparkwälder sollen ihren eigenen Gesetzen folgen. Hier liegen Werden und Vergehen eng beieinander, können alte Baumriesen absonderliche Pilze zur Schau tragen und sich immer mal wieder einen Ast aus der Krone brechen, dürfen Käfer und Spechte ungehemmt bohren, meißeln, zimmern, darf ein Baum am Ende seines Lebens die Grundlage für neues Leben bilden. Birkensamen werden vom Winde verweht, Kleinsäuger und Vögel verteilen Bucheckern, Eicheln und Vogelbeeren. Der Laubwald dringt so unaufhaltsam in die einst angepflanzten eintönigen Kiefernforste vor.

Doch längst nicht jeder junge Baum wächst erfolgreich auf: Rot- und Dammwild nagen an den jungen Trieben und machen eine Naturverjüngung außerhalb von Zäunungen fast unmöglich. Wie einst, als im Darßwald Hermann Göring jagte und später das Politbüro der SED, ist der Wildbestand viel zu hoch. Er gefährdet eines der wichtigsten Entwicklungsziele des Nationalparks: die natürliche Waldentwicklung. Seit Jahren setzen sich der Förderverein des Nationalparks gemeinsam mit BUND; NABU und ökologischen Wald- und Jagdverbänden dafür ein, den Wald nationalparkgerecht zu behandeln und das Wild effektiv zu regulieren. Doch vor allem an der Jagd hapert es. So kam es, wie es kommen musste: Das langjährige, eklatante Missmanagement des Nationalparkamtes Vorpommern führte dazu, dass dem Land das Zertifikat des Forest Stewardship Council (FSC) gleich für alle drei Nationalparke entzogen wurde. Das international anerkannte Siegel steht für eine ökologisch, ökonomisch und sozial verträgliche Waldwirtschaft und soll in Reservaten die Einhaltung der Schutzziele garantieren.

Doch das Signal blieb an der Spitze von Agrar-/Umweltministerium und Nationalparkamt unverstanden, nur widerwillig wurde auf Abhilfe gesonnen. Kürzlich löste Mecklenburg-Vorpommern den Konflikt auf seine Weise. Nach der Dauerkritik des Nationalparkamtes (unterstützt von FDP und CDU) an den strengen FSC-Regeln entledigte es sich der lästigen Waldkontrolleure: Der Landtag beschloss Mitte Dezember den Vertrag mit FSC Deutschland nicht weiter zu verlängern. Ein bundesweit verheerendes Signal, deckt es doch die desaströse Führung des Nationalparkamtes und missachtet die Prioritäten, die eigentlich in einem Nationalpark zu setzen sind.

Entsprechend deutliche Kritik übte der BUND Mecklenburg-Vorpommern, der die Probleme im Nationalparkamt nicht dem FSC-Siegel angelastet sehen will. Dazu der Landesvorsitzende Mathias Grünwald: "Es ist uns völlig unverständlich, dass die Landespolitik ein Kontrollsystem in jenem Moment abschafft, in dem es sich bewährt hat. Selbst nach FSC-Standards - die ja nicht nur den Naturschutz im Blick haben - waren die Verstöße in den Nationalparken Vorpommersche Boddenlandschaft und Jasmund untragbar. Doch gerade hier muss der Wald naturgerecht behandelt werden." Wohlgemerkt: Die Wälder der Nationalparks genießen den strengsten Naturschutz, den Deutschland für Großlandschaften zu gewähren hat. Eben hier greifen Förster nun stärker ein als in vielen guten Forstwirtschaften anderswo. Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ist dadurch bundesweit in Verruf geraten. Der für das Naturerbe an der Ostseeküste verantwortliche Landtag aber ignoriert die Kritik.

Nun soll ein neues Kontrollsystem etabliert werden, das auf den Qualitätskriterien von Europarc Deutschland basiert. Eine Schwäche ist schon heute auszumachen: Die Nationalparkverwaltung wird selbst prüfen, ob sie die Kriterien erfüllt hat. Denn ein unabhängiges Kontrollgremium auf Bundesebene gibt es noch nicht.


Dennoch: der Besuch lohnt!

Die andauernden Querelen um den geschützten Wald dürfen jedoch nicht davon ablenken: Das Boddenreservat beherbergt einige der spektakulärsten Naturlandschaften Deutschlands. Konstant hohe Besucherzahlen bezeugen das ungebrochene Interesse an diesem grandiosen Küstenstreifen. Besonders empfehlenswert sind Besuche im Frühling und Herbst. Dann präsentiert ein Rundwanderweg am Darßer Ort - der Nordspitze der Halbinsel - eine besonders farbige und stimmungsvolle Dünen- und Seenlandschaft. Spaziergänge führen zum "Alten Meeresufer" mitten im Darßwald, einem immer noch sichtbaren, aber heute weit im Hinterland liegenden Kliff im malerischen Buchenmischwald. Und an den Ufern der Bodden lassen sich Tausende Zugvögel beobachten - unter ihnen zeitweise bis zu 80.000 Kraniche.

Arndt Müller ist der Naturschutzexperte des BUND in M.-V.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• An der Spitze der Halbinsel Darß wächst ständig neues Land
• Rothirsch und ein Fuchs mit Beute
• Natürlicher Buchenwald gehört zu den zentralen Leitbildern des Nationalparks
• Am Darßer Weststrand

• Bisher warben die deutschen Nationalparks, Biosphärenreservate und Naturparke getrennt um Besucher. Doch nun gibt es ein gemeinsames Markenzeichen, die neue Dachmarke "Nationale Naturlandschaften": Neben dem gemeinsamen Logo hat sich jedes Schutzgebiet einen eigenen dreifarbigen Punkt als Erkennungszeichen gewählt. Mehr dazu unter www.nationale-naturlandschaften.de.


• Nationalparkamt Vorpommern, Im Forst 5,
18375 Born am Darß, Tel. 03 8234/5020,
poststelle@npa-vp.mvnet.de

• Förderverein Nationalpark Boddenlandschaft e.V.,
Bliesenrader Weg 2, 18375 Wieck am Darf?, Tel.
038233/719271, verein@bodden-nationalpark.de


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Quelle:
BUNDmagazin 1/2009, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2009