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SCHUTZGEBIET/570: Nationalpark Kellerwald-Edersee - Kleinod mit Zukunft (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2009
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Nationalpark Kellerwald-Edersee
Kleinod mit Zukunft

Von Severin Zillich


Vor genau fünf Jahren wurde der Nationalpark Kellerwald in Hessen feierlich eingeweiht. Wie hat sich der bislang jüngste deutsche Nationalpark seitdem entwickelt?

Unsere Nationalparke - die Schatzkästen des deutschen Naturschutzes - sind die wichtigsten Refugien biologischer Vielfalt. Hier bekennt sich Deutschland - wie nirgends sonst - zu seiner Verantwortung, der Natur großräumig freien Lauf zu lassen; zum Lebensrecht vieler Tiere und Pflanzen, die in unserem immer gründlicher verbauten Land immer weniger Platz finden. So weit die Theorie. Ob der neue Nationalpark im Kellerwald diesem Anspruch gerecht wird?

Lage und Flächengröße wecken erst einmal Zweifel: die Lage, weil der Kellerwald in Hessen liegt. Seitdem Roland Koch hier vor zehn Jahren Ministerpräsident wurde, kann von einer seriösen Umweltpolitik offenbar kaum mehr die Rede sein - so das einhellige Urteil der Betroffenen. Die Flächengröße, weil sie mit 5740 Hektar deutlich unter dem international empfohlenen Mindestmaß von 10000 Hektar für einen Nationalpark liegt (nur der NP Jasmund ist bundesweit noch kleiner). Überraschend aber ergeben erste Nachfragen bei den BUND-Aktiven rund um den Kellerwald ein durchweg positives Bild. Woran liegt das? Es scheint sich zu lohnen, etwas genauer hinzusehen.


Das Reich der Buche

Doch zunächst einmal: Wozu soll der neue Nationalpark dienen? Oberstes Schutzgut ist einer der letzten großen und naturnahen Buchenwälder Mitteleuropas. Von etwa 200 Metern im unteren Edertal bis zum Traddelkopf auf 626 Metern Höhe erstreckt er sich auf überwiegend sauren Böden. Selbst in den kargsten Steillagen, wo Tonschiefer und Grauwacken offen zutage treten, dominiert vielerorts die Buche. Doch der Stress ist den hier nur wenige Meter hohen Hungerkünstlern anzusehen. Ober 40 Prozent der Buchen sind älter als 120 Jahre, auf 1000 Hektar erreichen sie gar 160 Jahre und mehr - ein seltenes Bild in unserem Land! Gemeinsam mit den Nationalparken Hainich und Eifel soll der Kellerwald einen repräsentativen Teil der für Deutschland so typischen Buchenwälder bewahren. Zudem bewirbt er sich mit vier anderen deutschen Buchenwäldern als "Weltnaturerbe" bei der Unesco.

Begleitet werden die Buchen im Nationalpark von trockenen Eichenwäldern, von Block- und Schluchtwäldern mit Edelhölzern wie Ulme, Ahorn und Linde, von blumenreichen Wiesentälern, vielen Quellen und Bächen sowie Felsfluren und Blockhalden.


Von Wildkatzen und Teufelskrallen

Zumindest kleinflächig weist der Kellerwald urwaldähnliche Züge auf Hier erreichen Bäume noch ihr natürliches Alter, hier verbleibt absterbender Holz im dynamischen Kreislauf von Werden und Vergehen. Und hier konzentriert sich die Artenvielfalt. Spezielles Augenmerk gilt der Wildkatze, die erst kürzlich im (und um den) Nationalpark entdeckt wurde, mithilfe von BUND-Aktiven. Wie gut es künftig gelingen wird, der Natur freien Lauf zu lassen, sollen weitere "Leitarten" dokumentieren: Bechsteinfledermaus und Großes Mausohr, Schwarzstorch und Grauspecht, der Feuersalamander und das Heer holzzersetzender Käfer und Pilze.

Unter dem geschlossenen Kronendach der Buchen ist die Bodenvegetation eher artenarm. Doch auf Sonderflächen gedeihen seltene Pflanzen: Pfingstnelke und Felsenmispel schmücken die Felsfluren. Auf Waldwiesen - Überbleibseln menschlicher Nutzung - blühen Schwarze Teufelskralle und Knöllchen-Steinbrech. Im offeneren Trockenwald sind Mehl- und Eisbeere, Graslilie und Schwalbenwurz zu finden.

Aktiver Artenschutz ist im Nationalpark übrigens nachrangig. Charakteristische Pflanzen und Tiere sollen von der Sicherung ihrer Lebensräume profitieren.


Gut beraten und betreut

Wie hat nun das Land Hessen, wie die junge Parkverwaltung dieses Naturerbe seit 2004 gepflegt? Gut, so wirkt es - auch bei näherer Betrachtung. Das Land Hessen schlicht dadurch, dass es sich nicht einmischt und, nach anfänglichen Querelen um die Besetzung der Parkleitung, den Weg für eine kompetente Betreuung frei machte. Das Nationalparkamt, weil es die richtigen Prioritäten setzt, weil es in kurzer Zeit viel angeschoben hat und keine Berührungsängste mit den Naturschützern der Region hat, sie vielmehr aktiv in das Gebietsmanagement einbezieht.

Wie mit den standortfremden Fichten oder Douglasien umgehen, die stellenweise noch das Bild prägen? Wie mit dem zahlreichen Wild, das über Jahrzehnte so stark gehegt wurde, dass dem Park mehrere Baumgenerationen fehlen, weil alles verbissen wurde? Und wie das dichte Wegenetz zurückbauen, für ausreichende Ruhezonen im Nationalpark? Auf diese und andere Fragen hat die Verwaltung fachlich überzeugende Antworten gefunden - und gibt im unlängst erschienenen "Nationalparkplan" detailliert darüber Auskunft.


Harmonie - nicht von ungefähr

Dass die Verwaltung ihr Werk in ungewöhnlicher Eintracht mit den Anliegern des Nationalparks verrichten kann, ist teuer erkauft. Da ist zum einen die lange Vorgeschichte: Der BUND ist es, der 1986 erstmals einen Waldnationalpark in Hessen vorschlägt. Es folgen Zuspruch und heftige Kontroversen, die neu entflammen, als die Initiative "Pro Nationalpark" (mit BUND-Beteiligung) 1991 ein detailliertes Konzept für den Kellerwald vorlegt. Doch es geht nicht voran. 1998 lösen Fotos von frisch gefällten Altbuchen eine Welle der Empörung aus - Karsten Wittern, BUND-Mitglied und Vorsitzender des Fördervereins, hatte sie im geplanten Schutzgebiet entdeckt. Runde Tische und die Ausweisung eines großräumigen Naturparks stimmen die Region schließlich so weit ein, dass die Landesregierung 2003 endlich grünes Licht für den Nationalpark gibt. "Alle denkbaren Konflikte haben wir bereits vor der Gründung ausgetragen", so Karsten Wittern im Rückblick, "das erweist sich heute als Riesenvorteil."

Zur Harmonie trägt auch der enge Zuschnitt des Parks bei: Privatwald wurde fast völlig ausgespart. Kein Mensch wohnt im Park, keine Straße kreuzt das Gebiet. Fraglos gute Voraussetzungen für einen Nationalpark - auch wenn der nun arg klein geraten ist. Der BUND fordert zumindest 900 Hektar wertvolle Buchenwälder an den Nordhängen des Edersees mit einzugliedern.

Doch unabhängig von seiner Größe umfasst ein Nationalpark immer nur einen Ausschnitt eines viel größeren (potenziellen) Lebensraumes. Nur im Einklang mit seiner Umgebung kann er Wirkung entfalten. Dessen ist sich die Parkverwaltung bewusst - und kooperiert eng mit dem 40000 Hektar großen Naturpark, der den Nationalpark umgibt. Doch ihr Einfluss darauf, wie sich Straßenbau, Landwirtschaft, Jagd etc. dort entwickeln, ist sehr begrenzt. Hier sind nun der Förderverein und die BUND-Kreisgruppe Waldeck-Frankenberg gefordert. Sie werden auch künftig darauf achten, dass die Schutzziele im Nationalpark nicht jenseits seiner Grenzen konterkariert werden.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Über die Hügel südlich des Edersees erstreckt sich ein weitläufiges Buchenmeer.
Extremer Trockenheit und Hitze sind die Buchen am Hagenstein ausgesetzt.
• Den NP-Plan mit einer Fülle interessanter Details gibt es als pdf-Datei: www.nationalpark-kellerwald-edersee.de (siehe Service, Veröff.): zum Förderverein: www.nationalparkkellerwald.de
• Fünf Eulen und sechs Spechtarten leben im Nationalpark. Im Bild der stark bedrohte Grauspecht (rechts). Ein Juwel der Flora ist die Pfingstnelke (li.). Mit Flugfallen wird die Vielzahl der Hautflügler erforscht (mi.).


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Quelle:
BUNDmagazin 2/2009
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2009