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WALD/689: Anschauen ja, pflücken nein - Orchideen sind ein Zeichen für naturnahe Wälder (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/14
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Anschauen ja, pflücken nein
Orchideen sind ein Zeichen für naturnahe Wälder.

Von Michael Dommel



Wer an Orchideen denkt, hat meist opulente tropische Pflanzen vor Augen. Doch auch unsere heimischen Arten sind wahre Schönheiten - und sie haben mindestens genauso viele Tricks wie ihre tropische Verwandtschaft auf Lager. Zu den artenreichsten Lebensräumen von Orchideen in Europa gehören natürliche Wälder, insbesondere Buchenwälder mit kalkhaltigen Böden. Auch auf Trockenrasen und Feuchtwiesen oder in Flachmooren gedeihen Orchideen. Waldorchideen sind eigentlich recht anspruchslos, was sie brauchen, ist "nur" ein natürlicher Wald. Dass sie inzwischen aus vielen Wäldern verschwunden sind, zeigt deren naturfernen Zustand.

Zu den typischen Waldorchideen gehören neben dem weit bekannten, aber leider sehr selten gewordenen Frauenschuh das Weiße, das Rote und das Schwertblättrige Waldvöglein. Diese Arten sind überwiegend in Mittel- und Süddeutschland beheimatet. Auch die verschiedenen Stendelwurze, von denen sich manche selber bestäuben, sind hierzulande weit verbreitet.

Starthilfe durch Pilze

Orchideen produzieren zahlreiche winzige Samen, die im Gegensatz zu den Samen der meisten anderen Pflanzen kein Nährgewebe besitzen und zur Keimung auf einen Wurzelpilz angewiesen sind. Diese Symbiose von Pilz und Orchidee nennt man Mykorrhiza. Die meisten Orchideen gehören zu diesen Saprophyten, also Pflanzen, die ihre Nährstoffe nicht oder nur unzureichend aus der Photosynthese beziehen.

Haben die Jungpflanzen nach der Anschubphase endlich eigene Wurzeln und Blattorgane ausgebildet, ernähren sich die Orchideen überwiegend selbst. Doch es gibt auch Arten, die Zeit ihres Lebens auf diese Form des Parasitismus angewiesen sind. Sie sind nicht zur Photosynthese mittels Sonnenlicht fähig, da sie keine grünen Blätter besitzen. Zu diesen Arten gehört Nest- und Korallenwurz ebenso wie der Blattlose Widerbart, die "Orchidee des Jahres 2014". Wichtiger Vorteil dieser Lebensweise: Sie können problemlos auch in dunklen Waldpartien wachsen, wo auf Photosynthese angewiesene Pflanzen aus Lichtmangel eingehen würden.

Raffiniertes Bestäuben

Zur Bestäubung greifen Orchideen in die Trickkiste. Das Rote Waldvöglein zum Beispiel wächst stets in der Nähe von Glockenblumen. Es bietet selbst keinen Nektar, doch es wird von Bienen mitbestäubt, die zuvor die Glockenblume bestäuben. Gleiches gilt für den Frauenschuh, der mit einer Kesselfalle operiert: Bienen werden angelockt und landen in einer Art Trichter, aus dem sie so leicht nicht mehr herauskommen. Sie müssen sich durch einen schmalen Ausgang zwängen, bei dem sie Pollen streifen, die an ihnen haften bleiben. Mit diesen fliegen sie anschließend zur nächsten Orchideenblüte, wo der Staub auf der weiblichen, klebrigen Narbe abgestreift wird.

Intensive Waldbewirtschaftung gefährdet das Vorkommen vieler Orchideen. Sie leiden unter dem Einsatz großer Maschinen ebenso wie an Bestockung mit Nadelhölzern. Außerdem werden Orchideen immer noch von "Sammlern" gepflückt beziehungsweise ausgegraben. Insbesondere auf den prachtvollen Frauenschuh haben es viele abgesehen. Daher werden manche Orchideenvorkommen sogar bewacht. Dabei vergessen die Sammler häufig, dass Orchideen bei ihnen zu Hause im Garten so nicht gedeihen können wie im Wald, da ihnen ihre lebenswichtigen Pilzpartner fehlen.

Orchideen erleben

Waldorchideen lassen sich fast überall in Deutschland gut beobachten, insbesondere in Süd- und Mitteldeutschland. Etwa in den Buchenwäldern des Rhöngebirges. Auch das thüringische Naturparadies Rothenstein, von dem die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe erst jüngst wieder weitere Teilflächen erworben hat, bietet Orchideen eine Heimat. Die Wiesen und urwaldähnlichen Laubmischwälder sind idealer Lebensraum für Orchideen wie Purpur- und Helm-Knabenkraut, Weißes Waldvöglein und Großes Zweiblatt.

Je nach Jahreszeit lassen sich verschiedene Orchideenblüten bestaunen. Die ersten Orchideen des Jahres blühen im April, so das Blasse Knabenkraut. Die meisten Arten sind dann im Mai und Juni zu bewundern. Der Hochsommer ist dann die Zeit der Stendelwurze und des Widerbarts. Die letzten Waldorchideen blühen Ende August, den Abschluss bildet schließlich im September der Herbst-Drehwurz, eine klassische Art der Trockenrasen.

Unsere heimischen Orchideen sind auf jeden Fall einen Exkursion wert, denn sie sind ebenso prachtvoll wie vielfältig und raffiniert - und stehen ihren tropischen Arten in nichts nach.

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Orchideen weltweit

Orchideen gibt es mit Ausnahme der Antarktis überall auf der Welt. Bis zu 25.000 verschiedene Arten sind bekannt. Wie kaum eine andere Pflanzenfamilie besitzen die Orchideen eine große Vielzahl an Farben und Formen. Ihre Morphologie ist dabei immer gleich, der Blütenbau ist stets identisch. Dennoch gibt es große Unterschiede zwischen unseren heimischen und den tropischen Exemplaren. Während die tropischen Orchideen meist Epiphyten, sogenannte Aufsitzerpflanzen sind, die auf anderen Pflanzen etwa Bäumen wachsen, gehören die europäischen Arten zu den terrestrischen, sie wachsen also am Boden.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Das auffällige rote Waldvöglein ist Charakterart naturnaher, lichter und wärmebegünstigter Kalk-Buchenwälder. Es blüht in der Regel von Juni bis Juli. Der blattlose Widerbart dagegen mag es feucht und schattig. Er blüht nur wenige Tage, meist im August.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/14, Seite 34 - 35
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. September 2014