NATURSCHUTZ heute - Winter 2019
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.
Rettung eines der letzten großen Wildnisgebiete
von Christiane Winkler
Im Nordosten von Mecklenburg-Vorpommern liegt der Anklamer Stadtbruch, eine einzigartige Moorlandschaft zwischen Land und Meer. Einen Großteil des Wildnisgebietes will die NABU-Stiftung erwerben und so dauerhaft bewahren.
Es war ein ganz besonderes Schauspiel, das sich Naturfreunden im
vergangenen Sommer im Anklamer Stadtbruch bot. Mehr als 200 Seeadler
sammelten sich an den flachen Gewässern, die durch die ungewöhnlich
lange Trockenheit nur sehr wenig Wasser führten. Das machte es den
Greifvögeln sehr einfach, Fische zu erbeuten, und ließ die sonst eher
einzelgängerischen Jäger ungewöhnlich gesellig erscheinen. Auch in
Zeiten ohne Rekordhitze fühlt sich der König der Lüfte im Stadtbruch
sehr wohl. Zwölf Paare brüten im Gebiet, das ist die höchste Dichte an
Seeadlern in Mitteleuropa. Das rund 1.500 Hektar große
Naturschutzgebiet an der Mündung der Peene bietet heute unzähligen
Arten eine Heimat und zählt durch seine Größe und Unwegsamkeit zu den
letzten Wildnisgebieten in Deutschland.
Glücksfall Sturmflut
Wie der Name verrät, war der Anklamer Stadtbruch im Laufe seiner
Geschichte nicht immer eine "wilde" Moorlandschaft. Schon im 16.
Jahrhundert legten die Menschen Torfstiche an, um Brennstoff für die
Stadt Anklam zu gewinnen. Die übrigen Flächen wurden als Weide und
Wiese genutzt. Erst 1945 wurde die Torfgewinnung eingestellt, durch
die etwa die Hälfte des ehemals 500 Hektar großen Hochmoores
verschwand. Mithilfe zweier Schöpfwerke und der Eindeichung wurden die
Moorflächen weiter trockengelegt und eine intensive land- und
forstwirtschaftliche Nutzung eingeführt. Doch dann ließ 1995 eine
Sturmflut den baufälligen Deich zwischen Stadtbruch und Stettiner Haff
brechen und überschwemmte weite Teile des Gebietes. Nach dem Rückzug
des Wassers waren die tiefer liegenden Polder überflutet, Wege
unpassierbar und das Land für die Forst- und Landwirtschaft nur noch
eingeschränkt nutzbar. Bis auf gelegentlichen Holzeinschlag konnte
sich die Natur seitdem weitgehend ungestört vom Menschen entfalten.
Heimat für über 100 Brutvogelarten
Heute ist der Anklamer Stadtbruch durch naturnahe, feuchte Moorwälder
geprägt, die sich um das zentral gelegene Hochmoor ziehen. Die hohen
Wasserstände verringerten die weitere Mineralisierung der Moorböden
und ließen die Torfmoose wieder wachsen. Durch die Überflutungen
starben zudem Bäume und Gehölze großräumig ab. Auf den nicht dauerhaft
überfluteten Flächen entstehen durch natürliche Verjüngung wertvolle
Moorwälder aus Erle, Birke und Eiche. Über 100 Vogelarten brüten in
dem Naturschutzgebiet, darunter Schwarz- und Mittelspecht. Wendehals,
Zwergschnäpper und Karmingimpel. Besonders zahlreich besiedeln
Wasservögel wie Schwarzhalstaucher, Flussseeschwalben oder
Trauerseeschwalben die Gewässer. Während der Zugzeit sammeln sich hier
Zehntausende nordische Gänse, Schwäne, Enten sowie Kraniche und
Limikolen. Gerne nutzen auch Fischotter die ehemaligen Grabensysteme,
und der Biber baut hier stattliche Burgen.
Einmalige Schmetterlingswelt
Bereits 1935 wurden erste Bereiche im Stadtbruch aufgrund der
artenreichen Schmetterlingsfauna unter Naturschutz gestellt. So leben
auf den feuchten Moorflächen beispielsweise der seltene Große
Feuerfalter oder der vom Aussterben bedrohte
Moorwiesen-Striemenspanner, der außer im Anklamer Stadtbruch nirgendwo
mehr in Deutschland vorkommt. Heute sind 1.469 Hektar im Anklamer
Stadtbruch als Naturschutzgebiet ausgewiesen. 2017 beschloss die
Hansestadt Anklam jedoch, einen Großteil der städtischen
Naturschutzflächen zu verkaufen. Dadurch bestand die Gefahr, dass
diese deutschlandweit einzigartige Wildnis in die Hand von
Privatpersonen gelangte, die neue wirtschaftliche Nutzungsinteressen
in das Gebiet tragen. Denn nach der Schutzgebietsverordnung ist eine
forstliche und jagdliche Nutzung des Gebietes weiterhin erlaubt. Die
NABU-Stiftung Nationales Naturerbe bewarb sich daraufhin ebenfalls als
Käufer - und das mit Erfolg.
Zuschlag für den NABU
Im Sommer 2018 stimmte die Stadtverordnetenversammlung mit deutlicher
Mehrheit für den Verkauf der 1.360 Hektar großen städtischen
Moorflächen an die NABU-Stiftung. In ihrer Obhut darf sich der
Stadtbruch auch in Zukunft ohne wirtschaftliche Nutzung entwickeln.
Zusätzlich wird die NABU-Stiftung für eine Stabilisierung der zurzeit
noch stark schwankenden Wasserstände sorgen und damit den Lebensraum
der Moorbewohner weiter verbessern. Unterstützt wird sie hierbei vom
Land Mecklenburg-Vorpommern und weiteren Förderinstitutionen. Am Ende
wird die NABU-Stiftung voraussichtlich 1,35 Millionen Euro an
Eigenmitteln für das umfangreiche Wildnisprojekt aufbringen müssen.
Als Ort für einzigartige Naturerlebnisse bleibt der Anklamer
Stadtbruch bestehen. Besucher können das Wildnisgebiet auf
ausgewiesenen Wanderwegen erkunden, sollten dabei aber nicht auf
Gummistiefel verzichten. Ganz besondere Einblicke in die
Moorlandschaft bieten orts- und fachkundige Naturführer an. Die
Chancen stehen gut, den König der Lüfte bei diesen Erkundungen auch in
Aktion zu erleben.
Mehr Informationen unter
www.naturerbe.de
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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 1/19, Seite 22 - 23
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: NABU@NABU.de
Internet: www.NABU.de
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2019
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