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LAIRE/054: Umweltzone - verquere Logik der Senatorin Lompscher (SB)


Berliner Senatorin um Rechtfertigung der sozialfeindlichen Umweltzone bemüht


Galt nicht früher einmal die soziale Frage als ureigenste Domäne der Sozialdemokraten und Sozialisten? Davon ist augenscheinlich nichts mehr übriggeblieben, zumindest muß man bei der rot-roten Regierung in Berlin schon sehr genau hinsehen, wenn man Rudimente eines solches Ansatzes erkennen will. Auf jeden Fall verträgt sich das seit dem 1. Januar 2008 gültige Fahrverbot in der Berliner Innenstadt, das sich gegen die einkommensschwächsten Autobesitzer, die sich kein neues, die Abgasnormen erfüllendes Fahrzeug leisten können, richtet, nicht mit sozialistischen Ideen - wohl aber bestens mit neoliberalem Gedankengut.

Damit soll nichts gegen Maßnahmen zur Verringerung der Umweltbelastung gesagt werden. Atemfrische Innenstädte steigern ganz gewiß die Lebensqualität ihrer Bewohner. Aber warum wird das Problem ausgerechnet von einer Partei, die das Wort "links" im Namen trägt, auf die Geringerverdienenden umgelastet? Warum werden sie genötigt, ihr Auto zu verkaufen oder außerhalb des S-Bahnrings abzustellen und die extrem hohen Preise für öffentliche Verkehrsmittel aufzubringen? Oder, als weitere unerträgliche Alternative, sich zu verschulden und ein neues Auto anzuschaffen?

Selbst die für die Einrichtung der Umweltzone mitverantwortliche Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher (Linkspartei), räumte jetzt in einem Gastkommentar für die Wochenzeitung "Freitag" (4.1.2008) ein, daß es richtig sei, "dass die Fahrverbote für Privatpersonen vor allem diejenigen mit dem kleineren Geldbeutel treffen". Aber das scheint die Dienstwagen-verwöhnte Senatorin nicht weiter zu bekümmern, wenn sie anschließend konstatiert: "Richtig ist aber auch, dass ein Großteil der Geringerverdienenden gar kein Auto hat."

Ach so, die Armen sind viel zu arm, sie können sich gar kein Auto leisten! Das hätte ein Arbeitgebervertreter nicht besser formulieren können. Nein, falsch, er hätte es vermutlich etwas geschickter angestellt und seine geringschätzige Ansicht über die Armen etwas besser getarnt. Die Lompschersche Logik weitergedacht hieße nämlich, daß die Armen ohnehin nichts anderes verdienen, als daß man sie wie Arme behandelt. Mit dieser Einstellung sind wir wieder an den Beginn des Industriezeitalters und seiner menschenschindenden Ideologie angelangt. Die hat Produktionsweisen begründet, bei denen die Armen nicht als vollwertige Menschen zählten und der Industrie in einem Ausmaß zum Fraß vorgeworfen wurden, an das selbst die heutigen globalisierten Arbeitsverhältnisse kaum heranreichen.

Auch wenn die Dummheit schmerzt, mit der wir es bei dem obigen Zitat zu tun haben, sei hier aufgeklärt: Selbstverständlich werden Menschen ohne eigenes Auto nicht von den Umweltzonen beeinträchtigt - wie sollten sie auch? Aber es trifft selbstverständlich die allerärmsten unter den Autofahrern. Die werden marginalisiert und tendenziell in die unter ihnen liegende soziale Schicht der Besitzlosen abgedrängt.

Bei der obigen Formulierung Lompschers handelt es sich um keinen Ausrutscher. Frau Senatorin denkt tatsächlich so, wie ihr nächster Satz des Gastkommentars verdeutlicht: "Und richtig ist besonders, dass es eben gerade die sozial Benachteiligten sind, die an den hoch belasteten Hauptverkehrsstraßen der Innenstadt wohnen."

Ja, das ist natürlich Schicksal, daß die Armen in den lautesten und dreckigsten Gegenden wohnen, das ist nun mal so. (Sollte sich die Berliner City jemals in eine grüne Lunge wandeln, so würde das einen umgekehrten Trend auslösen: Die Reichen zögen in den Stadtkern, die Armen an den Rand.)

Nun sollte niemand von einer Senatorin erwarten, daß sie eine über Jahrhunderte gewachsene Stadtentwicklung beendet, geschweige denn daß sie das dahinterstehende ausbeuterische Prinzip aus der Welt zaubert ... zumindest nicht auf einen Schlag. Aber erste Schritte hätte sie durchaus machen können. Beispielsweise den durch die Umweltzonen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkten Geringerverdienenden ein neues Auto kaufen.

Hoho! Das ist doch völlig abwegig! Wie kann jemand fordern, den Menschen ein Auto zu schenken - so etwas ist ganz und gar unrealistisch! Zugegeben, aber wenn Politiker immer nur das Machbare machen, sind sie ihr Geld nicht wert. Wenn nicht die gegenwärtige Realität in Angriff genommen wird, wie will der Mensch dann die Folgen des Klimawandels überstehen?

An anderen Stellen schaut der Senat ja auch nicht so genau ins Portemonnaie: 95 Millionen Euro für den Abriß des Palasts der Republik, der nicht zuletzt den Geringerverdienenden als kultureller Treffpunkt diente, sind kein Pappenstiel. Und mindestens eine Milliarde Euro für den Wiederaufbau des Hohenzollern-Schlosses - unter Peanuts verstehen selbst Unternehmensbosse etwas anderes.

Die Fahreinschränkung in Berlin gilt für schätzungsweise 94.000 Fahrzeuge. Würde der Senat jedem Betroffenen 10.000 Euro schenken, damit er sich ein Fahrzeug erwerben kann, das nicht wegen seiner Feinstaubproduktion an den Toren der Innenstadt abgewiesen wird, dann käme man auf eine Summe von 0,94 Milliarden Euro. Dann hätte Berlin vielleicht kein Hohenzollern-Schloß - aber viele tausend glückliche Geringerverdienende, die über den Hohenzollerndamm in der Berliner Innenstadt fahren. Und die Wirtschaft wäre ebenfalls glücklich über die vielen neuen Autobesitzer.

Wenn Sie glauben, daß hier Äpfel mit Birnen verglichen werden, dann sollten Sie sich erst einmal den mathematischen Vergleich zu Gemüte führen, den Frau Lompscher aufgestellt hat: "Sieben Prozent der Fahrzeuge in Berlin belästigen mit ihren Abgasen 100 Prozent der Innenstadtbevölkerung - immerhin eine Million Berliner."

Das ist Demagogie. Eine Senatorin liegt hundert Prozent daneben. Um es zu betonen: Nicht die Maßnahmen zum Schutz der berühmten Berliner Luft werden hier kritisiert, sondern die sozialfeindliche Politik eines Senats, der den öffentlichen Nahverkehr in der Stadt verteuert und zugleich ein faktisches Innenstadt-Fahrverbot gegen die unteren sozialen Schichten ausspricht.

7. Januar 2008