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LAIRE/118: Nationale Plattform Elektromobilität - zum Nutzen der Wirtschaft (SB)


Elektromobilität - Rettung des Individualverkehrs für die Wirtschaft und den wohlhabenden Teil der Bevölkerung

Ärmere Menschen zu Immobilität verurteilt


Während das allmähliche Auslaufen des Erdölzeitalters von der größten Erdölkatastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten begleitet wird, haben sich am Montag Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft getroffen, um das nächste Zeitalter der kaum minder umweltschädigenden Elektromobilität voranzutreiben. Die Zeit drängt, denn fossile Treibstoffe werden in den nächsten Jahren knapper und teurer, so daß individuelle Mobilität mit Dieselfahrzeugen und Benzinern kein Massenphänomen bleiben, sondern ausschließlich den wohlhabenderen Bürgern und administrativen Funktionsträgern vorbehalten sein wird. Bis zum Jahr 2020 sollen eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren, lautet das von der Bundesregierung ausgewiesene Ziel, die mit der Initiierung der "Nationalen Plattform Elektromobilität" [1] eine Strategie der EU-Kommission zur Förderung der Elektroautos in Europa aufgreift. [2]

Die Leitung der Nationalen Plattform, in der Autohersteller und -zulieferer, die Stromindustrie, Batteriehersteller und Vertreter der Wissenschaft kooperieren sollen, übernehmen der frühere Vorstandsvorsitzende des Softwarekonzerns SAP, Henning Kagermann, sowie IG-Metall-Chef Berthold Huber und der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und frühere Verkehrsminister Matthias Wissmann.

Sie sollen Fördergelder und andere Formen staatlicher Unterstützung für die deutsche Wirtschaftsinitiative loseisen. Eigentlich ein leichtes Unterfangen, nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Griechenland-Bashings und der milliardenschweren Banken"rettung" ist die Regierung um den Eindruck bemüht, daß die Hauptlast der Einführung eines Elektromobilitätssystems von dessen eigentlichem Nutznießer, der Wirtschaft, getragen wird und die Politik vor allem Verwaltungshindernisse aus dem Weg räumt. Zudem hat die schwarz-gelbe Bundesregierung der unpopulären Forderung nach Subventionierung beispielsweise in Form einer Nachhaltigkeitsprämie (VW-Chef Martin Winterkorn) wenige Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine Absage erteilt. Verkehrsminister Peter Ramsauer stellte statt dessen andere Anreize wie die Freigabe von Busfahrspuren für Elektroautos, kostenlose Parkplätze etc. in Aussicht.

Elektroautos seien umweltfreundlich, behaupteten die Vertreter der Autobranche bei ihrem Treffen in Berlin. Zu einer solchen Aussage mußten sie nicht einmal eigens von ihren PR-Beratern ermuntert werden, wird doch heutzutage alles mögliche als umwelt- oder klimafreundlich bezeichnet, nur um den Umsatz steigern zu können. Warum also nicht so dreist sein und die Batterien bzw. Akkumulatoren des Elektroautos, die einen bunten Strauß an hochgiftigen Umweltchemikalien enthalten, schlicht ignorieren? Auch wird bislang weitgehend die Frage ausgeklammert, was passiert, wenn es in Zukunft zu Unfällen mit Elektroautos und anschließender Freisetzung der toxischen Akku-Anteile kommt. Droht hier gar eine neue Umweltkatastrophe, lediglich zeitlich und räumlich gestreckt über viele kleine Einzelereignisse? Das wäre dann das Äquivalent zu der unvermeidlichen Umweltkatastrophe in all den Ländern, in denen die Materialien für die Autoakkumulatoren abgebaut oder in denen selbige zusammengebaut werden!

Zieht man eine Umweltbilanz, die nicht durch Ausblenden von für das technologische Gesamtkonzept der Elektromobilitätsgesellschaft unverzichtbaren Bestandteilen gekennzeichnet ist, dann sind Elektroautos so wenig umweltfreundlich wie die Atomkraftwerke, in denen der elektrische Strom zum Aufladen der Autobatterien erzeugt würde, sollten die Meiler bis dahin nicht abgeschaltet und gleichzeitig andere Energiegewinnungsformen installiert worden sein. Zwar stellt die Bundesregierung in Aussicht, daß der für die Elektroautos benötigte Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird [1], aber das wirkt wie ein plumper Versuch, bereits vorhandene Produktionskapazitäten an erneuerbarer Energie lediglich umzudeklarieren und zu behaupten, daß dieser Anteil nunmehr für das Aufladen der Batterien verwendet wird. Innerhalb des Stromnetzes läßt sich die Herkunft des erzeugten Stroms keinem bestimmten Produzenten zuordnen. Folglich würde bei einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken elektrischer Strom produziert, mit dem dann vermeintlich umweltfreundliche Elektroautos angetrieben werden.

Anstatt daß in Deutschland das öffentliche Verkehrsnetz ausgebaut und seine Nutzung preiswert, am besten sogar kostenlos gestaltet wird, um den umwelt-, klima- und nicht zuletzt gesundheitsschädlichen Individualverkehr zu reduzieren, wird das Schienennetz laufend gekürzt. Von 1990 bis 2008 verringerte sich die Schienenstrecke um 17,4 Prozent, wie der Zusammenschluß Allianz pro Schiene unter Berufung auf Zahlen der EU-Kommission kürzlich berichtete. [3]

In den letzten Jahrzehnten hat das Gewicht der Autos dramatisch zugenommen. Heutige Mittelklassewagen wiegen so viel wie die Luxusautos vor 20 Jahren. Nun verhält es sich physikalisch jedoch so, daß Energie erforderlich ist, um ein Gewicht von A nach B zu befördern, und je höher das Gewicht, desto höher der Energieverbrauch. Durch technologische Verbesserungen konnte zwar im Laufe der Jahre die Energieeffizienz von Autos verbessert werden, aber da sie zeitlich parallel immer schwerer wurden, hat sich der Effekt nicht als entsprechende Verringerung des Treibstoffverbrauchs niedergeschlagen. Mit der Einführung von Elektroautos wird der Trend zu schwereren Autos fortgesetzt.

Wenn schon Individualverkehr, dann könnten vom Stand der Technik her massenhaft hochwertige Autos hergestellt werden, die nur zwei, drei Liter Treibstoff auf hundert Kilometer verbrauchen. Auch an der Haltbarkeit der fahrbaren Untersätze ließen sich einschneidende Verbesserungen vornehmen. Das wird unterlassen, weil ein Unternehmen in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gar nicht daran gelegen sein kann, daß eine Person in ihrem ganzen Leben nur ein einziges Auto erwirbt und damit zufrieden ist.

Auch wenn bei der Etablierung einer neuen Technologie wie die des Elektroautos die Kritik, daß sie noch nicht ausgereift sei, zu kurz greift und durch in Aussicht gestellte Verbesserungen als Folge einer Förderung von Entwicklung und Forschung entkräftet werden könnte, gibt es Vorbilder auf anderen Gebieten besonders umweltschädlicher Technologien, deren Förderung durch den Staat zu einer Dauereinrichtung wurde: Atomkraft und Luftfahrt.

Nun würden zwar eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen keineswegs den Bau neuer Atomkraftwerke erfordern, da der Strombedarf dieser Autos zu gering wäre. Aber das 2020-Ziel stellt zwangsläufig nur einen Zwischenstand dar. In weiterer Zukunft wird Erdöl noch mehr zur Mangelware, dann wird es womöglich gar keinen Benzin- oder Dieseltreibstoff mehr für die individuelle Fortbewegung geben. Eine dann anstehende vollständige Umstellung der gesamten Fahrzeugflotte in Deutschland auf Elektroantrieb erforderte wiederum so große Strommengen, wie sie heute noch nicht durch erneuerbare Energien abgedeckt werden.

Deutschland solle ein "Leitmarkt für Elektromobilität" werden, kündigte Frau Merkel in ihrer wöchentlichen Internet-Botschaft an. Was die Kanzlerin ausspart: Nicht für alle Bürger. Von der Intention und den Bestimmungen des Grundgesetzes her sollte man eigentlich erwarten, daß sich der Staat für alle Bürger gleichermaßen verantwortlich zeigt. Das würde bedeuten, daß er die Mobilität auch derjenigen Bürger sicherstellt, die aufgrund einer strukturellen Veränderung der Produktionsverhältnisse, wie sie in den letzten Jahrzehnten aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung eingetreten ist, keine bezahlte Arbeit erhalten und somit über ein vergleichsweise geringes Einkommen verfügen, die der Staat ihnen aus dem riesigen Topf, den er zuvor von den Bundesbürgern eingesammelt hat, abtritt.

Inzwischen erhalten rund sieben Millionen Bundesbürger in irgendeiner Form eine staatliche Regelleistung, womit sie allerdings nicht ausreichend am gesellschaftlichen Leben, in dem fast alles über Geldverkehr abgewickelt wird, teilhaben können. Viele Menschen sind so arm, daß sie sich kein eigenes Auto leisten können. Somit wird für einen erheblichen Teil der Bundesbürger der Erwerb eines vergleichsweise teureren Elektroautos schlicht unerschwinglich. Daran wird sich auch in zehn Jahren nichts ändern. Die von Bundeskanzlerin Merkel und der Ministerriege angestoßene Elektromobilitäts-Initiative zielt auf die Bevölkerungsgruppe vom Mittelstand an aufwärts. Dieser Trend fördert die nach Einkommen gestaffelte Klassengesellschaft und verurteilt die Geringverdiener und Empfänger staatlicher Zuwendungen dauerhaft zur Immobilität.


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Anmerkungen:

[1] "Etablierung der Nationalen Plattform Elektromobilität - Gemeinsame Erklärung von Bundesregierung und deutscher Industrie", 3. Mai 2010
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/05/2010-05-03-elektromobilitaet-erklaerung.html

[2] "Saubere und energieeffiziente Fahrzeuge: Europäische Kommission stellt ihre Strategie vor", ip/10/473, 28. April 2010
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/10/473&format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

[3] "Europäische Nachbarn bauen auf die Eisenbahn Deutsches Schienennetz dramatisch geschrumpft", Pressemitteilung, 29. April 2010
http://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/2010/19-deutsches-schienennetz-geschrumpft/

3. Mai 2010