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LAIRE/129: EU-Biospritregeln - nur Fahrspurwechsel, keine Umkehr (SB)


EU-Kommission verabschiedet Regeln für Biosprit-Zertifikate

Nachhaltig ist nur die Sicherung der bestehenden
Produktionsverhältnisse


Die USA und die Europäische Union waren zwar die ersten Großverbraucher, die sich auf die Erhöhung des Biospritanteils am Treibstoffverbrauch festgelegt haben, aber sie sind längst nicht mehr die einzigen. Inzwischen haben andere Länder nachgezogen, beispielsweise China und Indien, auf die ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung entfällt. Beide asiatischen Länder durchlaufen gegenwärtig einen gewaltigen Boom der Motorisierung, besonders das Reich der Mitte gilt als regelrechter Retter der Autobranche. Alle größeren Automarken haben Produktionsstätten in China aufgebaut, um den dortigen Markt zu bedienen, und konnten dadurch ihre Umsätze ausbauen. Demgegenüber gilt der Markt im reichen Westeuropa als weitgehend abgefüllt.

Diese Entwicklung bedeutet, daß das am Donnerstag von der EU-Kommission verabschiedete Paket aus zwei Mitteilungen und einem Beschluß [1] mit relativ strengen Nachhaltigkeitsregeln für die Zertifizierung von Biosprit kein beachtlicher Beitrag zum globalen Klimaschutz ist. Die EU-Regeln verlieren an Relevanz, sofern andere Länder mit hohem Verkehrsaufkommen nicht mitziehen. Gegenwärtig importiert die EU 26 Prozent des Biodiesels und 31 Prozent des Bioethanols. Hauptlieferanten sind Brasilien und die USA. Bis 2020 sollen mindestens zehn Prozent des im Verkehr verbrauchten Treibstoffs aus Biosprit sein.

Die EU-Regeln, die von der Industrie, den Regierungen und NGOs jetzt in entsprechende Zertifizierungsschemata umzusetzen sind, besagen unter anderem, daß Pflanzen nur auf Flächen angebaut werden dürfen, die bereits 2008 landwirtschaftlich genutzt wurden, ob innerhalb oder außerhalb der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union. Wer dagegen in diesem Jahr tropischen Regenwald gerodet hat, um Pflanzen für Biosprit anzubauen, wird seine Ware nicht in der Europäischen Union verkaufen dürfen (wohl aber in anderen Ländern).

Der Biosprit muß im Verhältnis zu fossilen Brennstoffen mindestens 35 Prozent an Treibhausgasen einsparen (ab 2017 erhöht sich der Anteil auf 50 Prozent, ab 2018 aus neuen Anlagen auf 60 Prozent). Nur dann dürfen die Produzenten mit finanzieller Hilfe durch die Regierungen rechnen, sei es in Form von Steuererleichterungen oder Direktzahlungen. Die EU-Kommission behält es sich vor, in dem zunächst auf fünf Jahre beschlossenen und jährlich zu überprüfenden System einmal vergebene Zertifikate jederzeit wieder zurückzuziehen, sollte ein Biospritproduzent nicht der Wahrheit entsprechende Informationen geliefert haben. Naturschutz- und Feuchtgebiete, Wälder und besonders artenreiche Landschaften sind von der Biospritproduktion ausgeschlossen; tropische Wälder dürfen explizit nicht in Palmölplantagen umgewandelt werden - jedenfalls nicht, wenn der Biosprit in die EU exportiert werden soll.

Mit diesen Festlegungen erweckt die EU den Eindruck, sie würde sich zu Umwelt- und Sozialstandards verpflichten, wie sie von Kritikern der Biospritidee vorgebracht wurden. An diesem Beispiel zeigt sich die alte und in zahlreichen Varianten immer wieder auftauchende Widersprüchlichkeit der Umweltbewegung. Ist der Weg der kleinen Schritte dem Streben nach einem fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch vorzuziehen oder ist das zu bewältigende Problem - nur mal eben den Klimawandel zu stoppen - nicht ein paar Nummern zu groß, um sich in Bescheidenheit zu üben?

Sicherlich ist es gut für die Einwohner beispielsweise Tansanias, wenn die EU keinen Biosprit abnimmt, für den Menschen von ihrem Boden vertrieben wurden; und hinsichtlich der Absicht, die Erderwärmung zu reduzieren, ist es nützlich, wenn durch Biosprit nicht noch mehr Treibhausgase als bei der Verbrennung von fossilen Treibstoffen produziert werden. Aber über eines sollte man sich klar sein: "Ethisch sauberen" Biosprit zu verwenden kommt letztlich nur einem Fahrspurwechsel auf derselben Autobahn gleich. Die Fahrtrichtung wird beibehalten, was in diesem Fall bedeutet, daß die Chance vertan wurde, das Konzept des Individualverkehrs grundsätzlich zu hinterfragen.

Allein durch alternative Verkehrskonzepte, in denen noch nicht einmal ein radikaler Reduktionismus der Motorisierung propagiert wird, ließen sich große Mengen an Treibhausgasen einsparen. Hier bietet beispielsweise das Konzept eines kostenlosen Nah- und Fernverkehrs aus klima-, umwelt-, und sozialverträglichen Gründen eine hervorragende Alternative. Die wird in einzelnen Städten bereits erfolgreich erprobt.

Wohingegen die EU-Standards schön und gut klingen, aber einen Biospritproduzenten nicht davon abhalten, landwirtschaftliche Fläche in Tansania zu pachten und dadurch der Nahrungsproduktion zu entziehen. Selbst wenn auf jener Fläche bislang keine Pflanzen für Nahrung angebaut wurden, so wäre es angesichts von mehr als eine Milliarde Hungernden in der Welt zu fragen, ob deren Not kein ausreichender Grund ist, alles daran zu setzen, damit die Menschen zu essen haben. Und das hieße, daß auch auf bislang ungenutzten Flächen zunächst Nahrungspflanzen produziert werden sollten. Erst wenn weltweit kein Mensch mehr unter Nahrungsmangel leidet und dann noch Bewirtschaftungsflächen "frei" sind, sollten die Bewohner dieser Regionen entscheiden können, ob sie Biosprit herstellen wollen oder nicht.

Ohne eine alternative Verkehrspolitik und entsprechende Verringerung des Treibstoffverbrauchs (und somit der Treibhausgasemissionen) werden auch die strengen EU-Biospritbestimmungen zum Verlust an Wäldern, Biodiversität und wertvollen Ackerflächen sowie zu Vertreibungen führen. Was hindert Großgrundbesitzer, ausländische Konzerne oder Regierungen daran, Menschen von ihrem Ackerland zu vertreiben, weil sie auf eben diesen Biosprit herstellen wollen? Und wenn die Europäische Union den dort produzierten Biosprit nicht akzeptiert, dann gibt es genügend andere Abnehmer, während die EU nur den "ethisch sauberen" Biosprit erhält. Solche und ähnliche indirekte Formen von Verdrängung werden von der EU-Kommission nicht geregelt.

Was die Berechnungen zur sogenannten Klima- oder Kohlenstoffneutralität angeht, so wäre zu fragen, ob mit solchen Bilanzen nicht das Märchen von "des Kaisers neue Kleider" aufgeführt wird. Nach dem Motto: Das Verbrennen von Biosprit ist klimatechnisch kein Problem, weil ja nicht mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre eingebracht wird, als ihr zuvor von den Pflanzen bei ihrem Wachstum entzogen wurde.

Könnte es sein, daß sich hinter den vielen ehrfurchtsvollen "Aaahs" und "Ooohs", mit denen gewöhnlich solche Rechnungen bestaunt werden wie die nichtvorhandenen Kleider des Kaisers durch den Hofstaat, der Wunsch und die Hoffnung verbirgt, die bereits zu beobachtenden Klimaveränderungen seien ohne radikale Veränderungen der Produktion, Eigentumsordnung und des Zusammenlebens unter Kontrolle zu bekommen?

Doch was wäre, wenn jede Form von Verbrennung und Emission von Treibhausgasen bereits zuviel ist? Daß es einen Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und Erderwärmung gibt, ist wissenschaftlich weitgehend unstrittig, nicht jedoch, welche Menge zu welcher Temperaturerhöhung führt und wo genau die Schwelle liegt, ab dem das gesamte Klimasystem sich neu ordnet. Da besteht noch reichlich Forschungsbedarf. Es könnte also sein, daß die Klimaentwicklung nicht aufgehalten werden kann, wenn beim gegenwärtigen Verbrauchsniveau lediglich fossile Treibstoffe durch Biosprit ersetzt werden. Vielleicht ist es zur Stabilisierung eines für die Menschen erträglichen Klimas erforderlich, daß weder fossile Energieträger noch Pflanzen verbrannt werden.

Zugegeben, das sind Spekulationen, die keine wissenschaftliche Beweiskraft besitzen. Allerdings sei die Anmerkung gestattet, daß die Wissenschaft die letzten rund zweihundert Jahre die Industriealisierung begleitet und die Entwicklung zu immer mehr Verbrennungsvorgängen sogar noch durch Innovationen forciert hat. Erst seit relativ wenigen Jahren warnen Wissenschaftler davor, daß die Menschheit am eigenen Ast sägt, wenn sie so weitermacht wie bisher, nämlich uneingeschränkt wissenschaftlich-technologische "Errungenschaften" wie den Verbrennungsmotor (Auto, Schiff, Flugzeug), das Kraftwerk (Kohle, Gas, Öl, Atom) oder das digitale Kommunikationsmittel (jede Google-Suchanfrage entspricht dem Energieverbrauch, um eine Tasse Tee aufzuheizen - willkommen in der PC-, MP3-, iPad-, iPot-Welt ...) zum Einsatz zu bringen.

Da könnte ein wenig Skepsis, die Fragen und Spekulationen nach sich zieht, nicht schaden. Ansonsten bestünde die Gefahr, daß die EU-Kommission in 25 Jahren zu der Erkenntnis gelangt, daß auch die am 10. Juni 2010 vorgegebenen Regeln der Biospritproduktion nicht das gehalten haben, was man sich von ihnen versprochen hatte.


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Anmerkungen:

[1] http://ec.europa.eu/energy/renewables/biofuels/sustainability_criteria_en.htm

11. Juni 2010