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LAIRE/167: Fukushima-Unfall - mehr als nur "Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt" (SB)


Nur Zäsur in der Energieproduktion oder doch Zäsur der
wachstumsorientierten Wirtschaftsweise?

Zur Unfallserie in japanischen Atomkraftwerken nach Erdbeben und Tsunami


Die plötzliche Kehrtwende in der Atompolitik der Bundesregierung als bloßes wahltaktisches Manöver abzutun, greift zu kurz. Angesichts des Ausfalls der Kühlsysteme im japanischen Akw Fukushima I, der Freisetzung einer hochgefährlichen Strahlendosis in der umliegenden Region sowie der erhöhten Strahlenbelastung im Großraum Tokio mit seinen 35 Millionen Einwohnern kann selbst eine konzernfreundliche schwarz-gelbe Regierung nicht zur Tagesordnung übergehen. Mit Japan wurde eine der führenden Industrienationen von einer schweren Nuklearkatastrophe getroffen, deren Folgen unabsehbar sind. Zur Zeit wird der Vorfall unterhalb des Tschernobyl-GAU gehandelt - wie lange noch? Die Lage vor Ort verschlechtert sich stündlich.

Sicherlich muß man Bundeskanzlerin Angela Merkel attestieren, daß sie mit der Verhängung eines dreimonatigen Moratoriums gegen den von ihrer Regierung beschlossenen Ausstieg aus dem Atomausstieg, respektive gegen die Laufzeitverlängerung der Akws Gabriel, Künast und Co. den Wind aus den aufgeblähten Segeln genommen hat. Die Kanzlerin verfügt über einen ausgeprägten politischen Instinkt, wenn sie nun Entscheidungen trifft, wie sie am Vortag noch in ähnlicher Form von der Opposition gefordert wurden, und dann auch noch erklärt, daß der Fukushima-Unfall "eine Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt" darstellt.

Eine potentiell derart folgenschwere Aussage hätte man von der Akw-Kanzlerin nicht erwartet ... und doch vermeidet sie damit, eine naheliegende, grundlegende Aussage zu den auf Wachstum und Bereicherung orientierten Produktionsverhältnissen zu treffen. Merkels "technisierte Welt" ist vorläufiger Entwicklungstand einer ausdifferenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft, in der die Eigentumsverhältnisse so geordnet sind, daß sie wenigen zum Vorteil und vielen zum Nachteil gereichen.

Die mittels Atomkraftwerken produzierte Energie wurde in Japan gebraucht, um das Land nach dem Ölpreisschock der 1970er Jahre zu einem der weltweit führenden Industriestandorte zu machen. Wachstum, Wachstum, Wachstum lautet die Litanei der hier zutagetretenden kapitalistischen Religion, der auch die japanische Gesellschaft gehuldigt hat. Die Katastrophe in den japanischen Akws sollte deshalb nicht nur als Zäsur in der Geschichte der technisierten Welt gedeutet werden, sondern als Ende der technisierten Welt, wie wir sie kennen.

Die Geschichte der technisierten Welt hat gezeigt, daß sich das Versprechen des technologischen Fortschritts nicht erfüllt und die Arbeit nicht ab-, sondern zugenommen hat. Beispielsweise wird die Erleichterung, sich mittels eines eigenen motorisierten Untersatzes schneller von A nach B bewegen zu KÖNNEN, durch den Umstand aufgehoben, sehr viel Lebenszeit allein für den Erwerb und Unterhalt des Fahrzeugs verschwenden und aus diesem Anlaß von A nach B fahren zu MÜSSEN.

So wie die Techniker und Ingenieure im Akw Fukushima seit Tagen versuchen, heiße Brennstäbe zu kühlen, und dabei lebensgefährlich verstrahlt wurden und weiterhin werden, offenbart sich die eigentliche, herrschaftsförmige Funktion von Technologie als Mittel zur perfekten Zurichtung des Menschen und seiner Unterwerfung unter das Diktat seiner Verwertung bis hin zum physischen Verbrauch.

15. März 2011