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LAIRE/287: Tempolimit - große Autos, freie Fahrt ... (SB)



Europakarte mit Verkehrsschildern als Symbol des Tempolimits - Grafik: Freeway_speed_limits_europe.png: KaterBegemot, derivative work: ProloSozz (talk), CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en]

PKW-Geschwindigkeitsbegrenzungen auf europäischen Autobahnen in Kilometern pro Stunde (km/h). Grün unterlegte Länder haben grüne, blau unterlegte blaue Autobahnbeschilderung.
Grafik: Freeway_speed_limits_europe.png: KaterBegemot, derivative work: ProloSozz (talk), CC BY 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.en]

Jedes Jahr werden in Deutschland bei illegalen Autorennen Unbeteiligte getötet. In der Rechtsprechung setzt sich mehr und mehr die Ansicht durch, daß sich die Verantwortlichen nicht der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht haben, sondern der billigenden Tötung. Das heißt, sie haben mit bedingtem Vorsatz gehandelt.

Bei dem legalen Autorennen, das permanent auf deutschen Autobahnen stattfindet und durch eine Gesetzgebung ermöglicht wird, die kein generelles Tempolimit vorsieht, kommen sehr viel mehr Menschen ums Leben. Das nimmt unser Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) billigend in Kauf, denn er ist strikt gegen ein Tempolimit. Er sieht in der Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen das "Prinzip der Freiheit" verletzt und beklagte sich in der "Bild am Sonntag" (27.1.19) über die "ständige Gängelung" durch solche Vorschläge. Die jüngste Belästigung dieser Art, der Vorschlag eines Tempolimits auf 130 Kilometer pro Stunde, kam ausgerechnet von einer Klima-Arbeitsgruppe der Bundesregierung. Dem erteilte der Bayer aus Passau mit den Worten eine brüske Abfuhr, das sei "gegen jeden Menschenverstand".

Wenn jemand nicht so schnell fahren darf, wie er will, ist das dann Freiheitsberaubung? Eine Gängelung? Oder irrational? Träfe Scheuers Begriffswahl zu, müßte man dann annehmen, daß weit über hundert Menschen, die pro Jahr auf deutschen Autobahnen bei Unfällen ums Leben kommen, an denen in irgendeiner Weise eine Geschwindigkeitsüberschreitung beteiligt war, dem Menschenverstand entsprechen oder daß sie ein Ausdruck der Freiheit des rasenden Fahrens sind?

Es gibt viele gute Gründe für die Verhängung eines absoluten Tempolimits auf Autobahnen. Die Zahl der Unfallopfer würde mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich zurückgehen, das hat die Einführung von Tempolimits in anderen Ländern, wie zum Beispiel Österreich, gezeigt. Auch die Zahl der Schwerverletzten und derjenigen Menschen, die ihr Leben lang unter den Folgen eines Verkehrsunfalls, an dem ein Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit mindestens eines der Verkehrsteilnehmer beteiligt war, leiden, könnte gesenkt werden. "Wir könnten Menschenleben retten und Schwerverletzte verhindern", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" (25.1.19). Österreichische Studien legten nahe, daß wir mindestens jeden vierten Verkehrstoten verhindern könnten, wenn wir ein Tempolimit ähnlich dem unserer südlichen Nachbarn einführen würden.

Mertens war 17 Jahre Verkehrspolizist und hat mehr Tote gesehen, als ihm lieb ist. Und er weiß, daß eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auch den Vorteil hätte, daß der Verkehr flüssiger läuft und Staus vermieden werden.

In einer Gesellschaft wie der hiesigen, in der die Menschen so dicht aufeinander leben und auch eine enorm hohe Verkehrsdichte herrscht, wird durch ein Tempolimit nicht nur die Freiheit desjenigen eingeschränkt, der 200 km/h oder schneller fahren will, sondern auch die Freiheit und nicht zuletzt das Leben derjenigen, die unversehrt von A nach B fahren wollen, aber wegen jener freiheitsliebenden Raser sterben, verstümmelt oder auf andere Weise geschädigt werden.

Das könnte verhindert werden, wenn das gegenwärtig noch legale Autorennen auf Bundesautobahnen verboten würde. Und zwar nicht, weil das Tempolimit "eine typisch ideologische Verbotsdiskussion aus der grünen Mottenkiste" ist, wie der bayerische CSU-Landeschef Markus Söder gegenüber dem "Münchner Merkur" (28.1.19) selbstgefällig kommentierte, sondern weil die Geschwindigkeitseinschränkung der einen weniger wiegen sollte als das Leben und die Unversehrtheit der anderen. Wäre das nicht so, müßte man wohl annehmen, daß sich Scheuer nur für jene Autofahrer stark macht, die diese 200 oder 220 km/h schnellen, ein bis zwei Tonnen schweren Geschosse lenken, und nur für Unternehmen, die diese Fahrzeuge herstellen oder verkaufen, nicht aber für deren Opfer.

Man könnte die schmerzliche "Freiheitseinschränkung" der Raser aufgrund eines Tempolimits ein wenig abmildern, wenn man beispielsweise die Fernreisezüge durch eine entsprechende Preisgestaltung, größere Pünktlichkeit und höhere Taktrate attraktiver machte und nicht umgekehrt die üblen Privatisierungsfolgen der Deutschen Bahn dadurch zu beheben versuchte, daß man die Fahrpreise erhöht, wie Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann (CDU) unlängst vorschlug. Das hätte dann auch den wünschenswerten Effekt des Klimaschutzes, steigt doch der Spritverbrauch von Autos und damit deren Schadstoffausstoß erheblich an, je schneller sie fahren. Ein gesellschaftlicher Umstieg vom Raser zum Zugfahrer wäre ein Gewinn.

Wir wissen nicht, ob sich Scheuer zu Größerem berufen fühlt und in die Fußstapfen des langjährigen Ministerpräsidenten Bayerns, Franz-Josef Strauß (CSU), treten will. Jedenfalls hat der Anderl schon mal mit einigen Grundübungen angefangen und tritt, wenn nicht in die Fußstapfen, so doch auf das gleiche Gaspedal wie der bayerische "Übervater", dessen 30 Jahre alten BMW 325ix der Autoliebhaber vor zwei Jahren erworben hat.


30. Januar 2019


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