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LAIRE/314: Gelogen - von einer Tasche in die andere ... (SB)



Fast jedes dritte neu zugelassene Auto in Deutschland ist ein SUV (Sport Utility Vehicle) oder Geländewagen. Die Anteil dieser spritfressenden, einen hohen Materialeinsatz erfordernden Fahrzeugklasse wird in den nächsten Jahren weiter steigen - allen Klimanotstandserklärungen zum Trotz.

Die Bundesregierung, die derzeit auf dem Weltklimagipfel in Madrid für ihr Klimapäckchen wirbt, hatte einst auf EU-Ebene durchgesetzt, daß die Senkung der CO₂-Emissionen seitens der Autoindustrie an der gesamten Fahrzeugflotte eines Herstellers gemessen wird. Das bedeutet, daß dank der Elektroautos, die als CO₂-neutral eingestuft werden (was sie nicht sind), immer mehr SUVs auf den Markt gebracht und rechnerisch die Grenzwerte eingehalten werden können. So macht den Autokonzernen der grüne Kapitalismus Spaß ...

SUVs und Geländewagen haben inzwischen einen Marktanteil von knapp 31 Prozent, berichtet der "Tagesspiegel" [1] unter Berufung auf Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts in Flensburg. Erstmals wurden in Deutschland binnen eines Jahres mehr als eine Million dieser Fahrzeuge zugelassen. Auch die ab 2021 geltenden, verschärften CO₂-Grenzwerte der Europäischen Union von 95 g/km werden diese ressourcenintensiven Boliden nicht stoppen. Denn die Europäische Union vermeidet es nach wie vor, absolute CO₂-Grenzwerte festzulegen. Der Flottenverbrauch eines Unternehmens bleibt die entscheidende Kenngröße, so daß die Oberklasse, das Luxussegment, weiterhin bedient werden kann, sofern nur zeitgleich ausreichend Fahrzeuge mit geringeren CO₂-Emissionen auf den Markt gebracht werden. Elektroautos zum Beispiel.

Der deutsche Autokonzern VW rechnet damit, daß im Jahr 2025 jedes vierte Auto, das "über die Ladentheke" geht, ein Elektrofahrzeug sein wird. Dadurch lassen sich trefflich die steigenden Verkaufszahlen der SUVs ausgleichen. Allerdings erweist sich der Blick allein auf den Treibstoffverbrauch als viel zu eng. Beispielsweise werden weder bei Elektroautos noch SUVs mit Verbrennungsmotoren die CO₂-Emissionen, die bei der Herstellung der Fahrzeuge anfallen, in die Klimabilanz eingerechnet. Elektroautos haben einen höheren Ressourcenbedarf als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren und amortisieren sich energetisch beim gegenwärtigen Energiemix in Deutschland erst nach rund fünf Jahren. Steigt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion, verkürzt sich die energetische Amortisierungszeit.

Auch wenn nicht alle SUVs so gigantische Spritschlucker sind wie der Aston Martin DBX, der 14,3 Liter Super auf 100 Kilometer durch die Röhre schickt, haben sie im Schnitt einen 25 Prozent höheren Treibstoffverbrauch als normale Mittelklassewagen. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris waren 2018 weltweit mehr als 200 Mio. SUV zugelassen, 2010 waren es noch 35 Mio. Der "Stadtpanzer" liegt im Trend. In China, dem führenden Wachstumsmarkt dieser Branche, ist inzwischen jedes zweite Auto ein SUV. Diese Fahrzeugklasse werde "eine bestimmende Kraft für die wachsende Ölnachfrage und ist die zweitwichtigste Ursache für weltweit steigenden CO₂-Emissionen seit 2010", berichtete "Die Welt" [2] unter Berufung auf den "World Energy Outlook 2019" der IEA.

Bezogen auf den globalen Anstieg der CO₂-Emissionen nehmen SUVs inzwischen den zweiten Rang ein, noch vor der Schwerindustrie (inklusive Eisen-, Stahl-, Aluminium- und Zementherstellung), Luftfahrt, Schiffahrt und dem Lkw-Verkehr, einzig übertroffen vom Kraftwerkssektor. Mit den SUVs werden milliardenschwere Umsätze und riesige Gewinne gemacht, wohingegen Kleinwagen, die in der Regel einen geringeren Treibstoffverbrauch aufweisen, für die Hersteller weniger attraktiv sind.

"Grün" ist beim Management der Autokonzernen allenfalls der Neid auf die Konkurrenz, nicht aber die Einstellung zum Klimaschutz. Ähnliches gilt für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Vor die Frage gestellt, sich so emissionsarm wie möglich fortzubewegen, entscheiden sich offenbar immer mehr Menschen für die emissionsreichere Variante.

Die neue EU-Kommission unter dem Vorsitz Ursula von der Leyens hat Klimaschutz zur Priorität erklärt und will die EU bis 2050 rechnerisch klimaneutral machen. Das entspricht der Empfehlung des vor gut einem Jahr veröffentlichten "Sonderberichts 1.5" des Weltklimarats IPCC. Darin wird der gravierende Unterschied beschrieben, was passiert, wenn das 2015 beschlossene Klimaschutzübereinkommen von Paris eingehalten und die Erderwärmung entweder auf deutlich unter zwei Grad C oder auf 1,5 Grad C gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzt wird. Letzteres führt zu deutlich weniger Toten, Verletzten und Zerstörungen aufgrund der Klimawandelfolgen. [3]

Allerdings birgt selbst das Ziel der EU-Kommission die Gefahr, daß bis Mitte des Jahrhunderts sogenannte "tipping points" oder Kippelemente aktiviert werden. Der westantarktische Eisschild könnte einen solchen Schwellenwert bereits überschritten haben, und das unaufhaltsame und starke Abschmelzen des grönländischen Eispanzers wird womöglich 2030 eintreten. Davor wird in einem aktuellen Kommentar unter anderem vom Potsdam-Institut für Klimawandelfolgen im Wissenschaftsjournal "Nature" [4] gewarnt.

Der enorme Verkaufserfolg der SUV führt deutlich den folgenreichen Wachstumszwang des bevorzugten Wirtschaftssystems vor Augen. Befeuert von der Industrie wird trotz der globalen Bedrohung durch den Klimawandel an einem Fortbewegungsmodell festgehalten, das kräftig daran mitwirkt, die Gefahr noch zu verschärfen.


Fußnoten:

[1] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/hohes-tempo-der-verkaeufe-wird-anhalten-erstmals-mehr-als-eine-million-suvs-und-gelaendewagen-zugelassen/25321592.html

[2] https://www.welt.de/wirtschaft/article203469636/SUVs-Zulassungszahlen-gefaehrden-Pariser-Klimaziele.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0146.html

[4] https://www.nature.com/articles/d41586-019-03595-0

11. Dezember 2019


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