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LAIRE/317: Globale Wandlungen - immer weniger berechenbar ... (SB)



Die extremen Temperaturunterschiede in Europa Anfang Februar 2020 mit Hitzrekorden von Schweden bis Spanien und der anschließende Kälteeinbruch lassen die Ahnung aufkommen, daß die linearen Verläufe, die sich aus der Methode statistischer Berechnungen ergeben, den Klimawandel nur unzureichend nachzuvollziehen bzw. in die Zukunft zu projizieren vermögen. Die Menschen in der Arktis berichten seit Jahren über die Veränderung des Wetters und meinen damit nicht nur, daß es wärmer, sondern daß es ungewisser geworden ist. Sie hätten immer weniger Anhaltspunkte dafür, wie sich das Wetter entwickeln wird.

Solche Beobachtungen können die gegenwärtige Entwicklung in Folge der globalen Erwärmung schon mal treffender beschreiben, als es die Kurvenverläufe aus computergenerierten Simulationen zu leisten vermögen. Damit sollen diese nicht pauschal als irrelevant verworfen werden, denn im Rahmen des wissenschaftlichen Abgleichs erfüllen sie durchaus ihre Funktion. Doch weder eignen sich die Modelle besonders gut zur Verständigung mit der Öffentlichkeit noch zur Beschreibung bis dahin nie aufgetretener Ereignisse.

Angeregt wurden diese Behauptungen durch das Wetter in diesem Jahr in Europa. Am 3. Februar stieg die Temperatur in Spanien auf über 28 Grad C an. Nach meteorologischer Definition ein Sommertag! In Italien waren es immerhin noch 27 Grad und selbst in Schweden, Finnland, im Vereinigten Königreich und Deutschland wurden im Januar Wärmerekorde verzeichnet.

In Moskau ist der Januar eigentlich der kälteste Monat. Der Kreml und der Rote Platz liegen dann häufig unter einer dicken Schneedecke; auch können die Nächte klirrend kalt sein. Nicht so in diesem Jahr. Die Durchschnittstemperatur des Monats Januar 2020 lag erstmals seit Beginn der regelmäßigen Messungen oberhalb des Gefrierpunkts. Das gleiche gilt für das etwas weiter nördlich gelegene St. Petersburg an der Ostsee. In weiten Teilen Nordeuropas blieb der Winter bis jetzt aus. Was noch keine Aussage darüber zuläßt, ob sich nicht die Großwetterlage ändert und dem Wärmeschwall demnächst ein Kälteeinbruch folgt.

Weltweit nehmen solche Extremereignisse zu, ebenso wie die Wechselhaftigkeit der Einflüsse. Für die Menschen in Australien sind es aktuell die ausgedehnten Buschbrände, für die Landwirte in zentralen Bundesstaaten der USA vielleicht das allmähliche Absinken des Grundwasserpegels und für die Bangladeshis die Überschwemmungen: Beobachtungen, die sich zwar in Form wissenschaftlicher Daten erfassen und in die Klimasimulationen einspeisen lassen - schließlich gibt es sogar Bemühungen, die Erfahrungsberichte indigener Gruppen entsprechend aufzubereiten und zu verarbeiten -, doch besteht ein prinzipielles Problem darin, daß jede Simulation zukünftiger Klimaentwicklungen ein Nachvollzug vergangener Ereignisse bleiben muß. Daraus lassen sich Wahrscheinlichkeiten von der Art ableiten wie, daß die Zahl und Intensität von Extremereignissen zunehmen wird, sollte die Erderwärmung nicht bei 1,5 Grad C, sondern bei 2,0 Grad C gegenüber der vorindustriellen Zeit gestoppt werden.

Doch der fundamentale Wandel, den die Erde derzeit zu erleben scheint, folgt man den "subjektiven" Beschreibungen zahlreicher Menschen aus unterschiedlichen Weltregionen, wird entweder nur unzureichend erfaßt oder aber muß erst noch aus den abstrakten Zahlen herausgelesen werden. Er muß quasi zurückübersetzt werden von dem, was zuvor zwecks Vergleich- und Verrechenbarkeit parametrisiert und in kompatible Datensätze übertragen worden war. Hier wäre zu fragen, ob nicht die Beobachtung, das Unbehagen oder auch das Irritiertsein über außergewöhnliche Wetterereignisse eindrücklicher sind und eben deshalb die globalen Wandlungen treffender vermitteln als abstraktes Zahlenwerk und Kurvendiagramme.

Dazu kommen noch gewisse Grenzen der Darstellung aufgrund statistischer Methoden sowie als Folge sozialer Verhältnisse. Oftmals werden bei der Übertragung von Meßwerten aus Tabellen in Kurvendiagramme extreme Werte herausgestrichen, weil sie zu sehr von der Vorstellung abweichen, was gemessen werden sollte. Und was nicht sein kann (nach welchen Kriterien auch immer das behauptet wird ...), muß wohl ein Meßfehler gewesen sein. Ein fiktives Beispiel: Wenn jemand hundertmal eine Wassertemperatur zwischen 10,5 und 11,5 Grad gemessen hat und inmitten der Meßreihe taucht an einer einzigen Stelle ein Wert von 21 Grad auf, dann besteht eine hohe Chance dafür, daß dieser Wert nicht weiter beachtet wird, sobald die Daten weiterverarbeitet werden. So ein "Ausreißer", selbst wenn er auf die gleiche Weise gemessen wurde wie die anderen Werte auch, entspricht nicht der Erwartung. Dadurch wird "Normalität" produziert und nicht etwa, wie man es sich gemeinhin vorstellt, gespiegelt.

Ein anderes Beispiel hat mit dem Wissenschaftsbetrieb zu tun. Menschen, die Klimamodelle erstellen, neigen zu Vorsicht. Sie produzieren eher konservative Ergebnisse, denn Extremes ist nicht so leicht publizierbar. Das berichtete im September 2018 der "Modellierer" Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. [1]

Womöglich erfährt Oschlies' Behauptung durch einen Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg vom 3. Februar dieses Jahres eine Bestätigung. Darin wird nämlich geschildert, daß heutige Modellierer bei der Frage, wieviel Treibhausgase emittiert werden, um die globale Durchschnittstemperatur um 3 Grad C zu erhöhen, zu sehr viel niedrigeren Werten gelangen als noch vor einigen Jahrzehnten. Niemand weiß, warum das so ist. [2]

Die Erdsysteme reagieren möglicherweise empfindlicher auf Treibhausgasemission als gedacht. Das würde bedeuten, daß der Menschheit sehr viel weniger Zeit bleibt, sich von fossilen Energieträgern zu verabschieden. Das wird aller Voraussicht nach nicht geschehen. Sollten also auf der Erde Verhältnisse einkehren, die in der gesamten Menschheitsgeschichte oder auch nur seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen noch niemals aufgetreten waren, wären die Mittel des Vergleichs und damit die Berechenbarkeit, wie es die Modelle nahelegen, offenbar nur von begrenztem Nutzen.


Fußnoten:

[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0281.html

[2] https://www.bloomberg.com/news/features/2020-02-03/climate-models-are-running-red-hot-and-scientists-don-t-know-why

6. Februar 2020


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