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LAIRE/320: USA - North Dakota und ein Scheinsieg ... (SB)



Trotz der heftigen und weitreichenden Proteste gegen den Bau einer Erdölpipeline in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Reservat der Native Americans vom Stamm der Sioux im US-Bundesstaat North Dakota hatte Präsident Trump kurz nach seinem Amtsantritt den raschen Weiterbau angeordnet. Die Dakota Access Pipeline (DAPL) des Unternehmens Energy Transfer Partners ist seit einigen Jahren in Betrieb. Am Mittwoch hat ein Gericht festgestellt, daß für sie keine ausreichende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden war und diese nachgeholt werden muß. [1]

Verständlicherweise werden sich die Protestierenden von damals über ihren juristischen Sieg freuen. Der ist aber bestenfalls befristet und es stellt sich die im Grunde schon vor weit über einhundert Jahren für obsolet erklärte Frage, ob es nicht schon immer ein Mittel zur Unterwerfung der ursprünglichen Bevölkerung Nordamerikas gewesen war, sie dem Recht der Weißen auszuliefern. Man kann von einem großartigen juristischen Sieg für die Kläger sprechen, solange die Betonung auf "juristisch" liegt. Die Geschichte lehrt: Juristische Siege der ursprünglichen Bevölkerung Nordamerikas haben eine kurze Halbwertszeit.

Vor vier Jahren versammelten sich mehrere tausend Native Americans zahlreicher Stämme sowie Unterstützerinnen und Unterstützer aus dem ganzen Land, um in mehreren Lagern den Widerstand der Sioux des Standing Rock Reservats zu verstärken. Es kam zu brutalen Übergriffen der Sicherheitskräfte auf die Protestierenden. Schließlich, im Dezember 2016, die vermeintliche Kehrtwende. Die Obama-Administration verweigert ihre Zustimmung zu dem Antrag, die Dakota Access Pipeline (DAPL) unterhalb des Missouri verlegen zu dürfen. Zunächst müsse eine vollständige Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden, unter anderem um alternative Streckenverläufe zu erwägen, lautet die Begründung. Auch sei die rechtliche Lage der Sioux zu prüfen.

Die DAPL wurde nicht, wie anfangs als optionale Route ins Gespräch gebracht, nahe der vorwiegend von Weißen bewohnten Stadt Bismarck verlegt, sondern einen Steinwurf weit nördlich der Standing Rock Indian Reservation, und zwar quer durch ein Gebiet, das den dort lebenden Sioux heilig ist, weil da ihre Ahnen leben. Außerdem verläuft die Pipeline unterhalb des zum Oahesee aufgestauten Mississippi, der wichtigsten Trinkwasserquelle des Reservats. Eine Ölleckage, wie sie im Pipelinesystem der USA immer wieder vorkommt, würde die im Reservat lebenden Indigenen vor existentielle Fragen stellen.

Kaum im Amt, ordnete der neue Präsident Donald Trump per "executive order" den unverzüglichen Weiterbau der umstrittenen Pipeline an. Nach wenigen Monaten, im Juni 2017, war sie fertiggestellt. Dagegen hatten die Sioux geklagt und gewonnen: Das Army Corps of Engineers, das die Pipeline verlegt hatte, mußte seine Umweltanalyse wiederholen. Doch gesagt, getan. Ohne den Klage führenden Stamm anzuhören oder eine Expertise von außerhalb heranzuziehen, erteilte das Corps dem Projekt grünes Licht. Auf der rund 1800 Kilometer langen Strecke wurde nun per Fracking gefördertes Erdöl über vier Bundesstaaten hinweg vom Bakken-Ölfeld North Dakotas nach Illinois gepumpt.

Erneut reichten die Sioux Klage ein. Dabei wurden sie von EarthJustice, einer Vereinigung von Fachleuten für Umweltrecht, unterstützt. Wieder sind die Kläger erfolgreich. Am 25. März 2020 befand der einst von Obama ernannte Bundesrichter James Boasberg, daß die Analysen der Umweltauswirkungen sowohl seitens der Energy-Transfer-Muttergesellschaft Sunoco als auch des Army Corps of Engineers schwerwiegende Mängel aufweisen. Das nationale Umweltschutzgesetz sei bei der Genehmigung nicht beachtet worden; es müsse eine umfassende Umweltfolgenanalyse durchgeführt werden.

Das bedeutet jedoch nicht, daß die Pipeline geschlossen wird. Darüber wird der Richter noch entscheiden. Also zunächst einmal zurück auf Start. Genau da liegt das Problem. Das "Spiel", das keines ist, wird nicht abgeschafft, sondern es wird eine neue Runde eingeläutet. Solange aber jene Seite die Regeln aufstellt und das Spielbrett vorgibt, die selbst eine der beiden Streitparteien repräsentiert, folgen alle Schritte ihrem Interesse. Das schließt überhaupt nicht aus, daß auch mal Siege der anderen Seite auf der Strecke liegen. Im Gegenteil. So etwas trägt eher noch zur Legitimation derjenigen bei, die die Regeln aufstellen.

Das aktuelle Urteil gegen die Betreiber der Dakota Access Pipeline dürfte für all jene einen bitteren Beigeschmack haben, die gegen die Suprematie der Weißen und der den Native Americans aufgeherrschten Sprache, Kultur und Denkweise sowie umgekehrt für eine emanzipatorische, die Ahnen und natürlichen Ressourcen respektierende Lebensweise gekämpft haben und das heute noch tun. Ein vorübergehender Sieg vor Gericht im Rahmen von ansonsten zahllosen Beispielen der Unterdrückung läßt nicht im mindesten irgend etwas dieses Traums zur Realität werden.


Fußnote:

[1] https://earthjustice.org/sites/default/files/files/standing-rock-sj.pdf

27. März 2020


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