Gemeinsame Pressemitteilung von BUND Baden-Württemberg, Verband Badischer Berufsfischer, ASV Konstanz - 10. März 2017
Keine Felchenmast im Bodensee
Offener Brief gegen Aquakultur in Netzgehegen
32 Organisationen und Verbände aus Deutschland, Schweiz und Österreich fordern von Landwirtschaftsminister Hauk, die Felchenmast in Netzkäfigen im Bodensee nicht weiter zu unterstützen.
Der internationale Protest aus den Bodenseeanrainerstaaten gegen die Felchenmast im Bodensee wird von 32 Organisationen, darunter die Umweltschutzverbände, Fischereiverbände, Berufsfischerverbände, Sportanglerverbände, Jagdverband, Seglerverband und Sporttaucherverbänden getragen.
"Die Umweltorganisationen rund um den Bodensee lehnen Aquakultur in Netzkäfigen grundsätzlich ab, da diese eine Form der Massentierhaltung darstellt und mit massiven Beeinträchtigungen für die Wasserqualität und die Umwelt einhergeht", so Dr. Antje Boll, stellvertretende Geschäftsführerin des BUND Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben. Elke Dilger vom Verband Badischer Berufsfischer dagegen sieht in dem Vorhaben der Aquakultur vor allem eine große Konkurrenz für die traditionelle Netzfischerei. "Das bricht den Berufsfischern das Genick", so Dilger. Aber auch das Landschaftsbild und die Nutzung für Freizeitaktivitäten sehen die Unterzeichner beeinträchtigt.
"Bereits bei den geplanten 10 bis 12 Netzgehegen im See entsteht eine Störung des Landschaftsbildes und der Freizeitnutzung des Sees. Die Ausübung des Wassersports, der Angel- und Berufsfischerei wird durch Netzgehege beeinträchtigt. Für die Schifffahrt müssten Sperrzonen rund um die Käfige errichtet werden", gibt Thomas Lang vom Angelsportverein Konstanz zu bedenken.
Felchenmast im Bodensee birgt viele Risiken für die Umwelt, schränkt die Freizeitnutzung ein und gefährdet den Fortbestand der traditionellen Fischerei, so das Fazit der unterzeichnenden Verbände. Deshalb fordern sie Landwirtschaftsminister Hauk auf, jegliche Unterstützung für Forschung auf diesem Sektor aufzugeben und das Vorhaben einzustellen.
Unterzeichner des offenen Briefs an Minister Hauk sind: BUND
Landesverband BW, Pro Natura Thurgau, WWF Thurgau, Naturschutzbund
Vorarlberg, Bodensee Stiftung, BUND Naturschutz Bayern, NABU
Landesverband BW, DUH Bundesverband, DUH Regionalverband Süd,
Euronatur, Global Nature Fund, GNF Lebendige Seen, Landesseglerverband
BW, Verband Badischer Berufsfischer, Genossenschaft Bayrischer
Berufsfischer, Württembergischer Fischereiverein, Fischereiverband
Thurgau, Internationale Arbeitsgemeinschaft der Bodensee
Sportfischervereine, Verband Deutscher Sporttaucher, Badischer
Tauchsportverband, Württembergischer Landesverband für Tauchsport,
BUND Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, NABU Bezirksverband Donau
Bodensee, Badischer Tauchsportverband, Württembergischer Landesverband
für Tauchsport, Badische Jäger Kreisverein Konstanz, BUND Konstanz,
Angelsportverein Konstanz, Fischereiverein Untersee, Seerheinfischer
Tägerwilen, Angelsportverein Gottmadingen, Sport Angler Verein
Überlingen, ASV Frühauf Radolfzell, ASV Friedrichshafen.
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Herrn Minister Peter Hauk
Kernerplatz 10
70182 Stuttgart
Konstanz, 22.02.2017
Offener Brief an Herrn Minister Peter Hauk
Sehr geehrter Herr Minister,
Aquakultur in Netzkäfigen ist eine Form der Massentierhaltung, die im Bodensee grundsätzlich abzulehnen ist. Bei den freien Netzgehegen kann es zu massivem Eintrag von Futtermitteln, Pestiziden, Antibiotika und Fischkot ins Gewässer kommen.
Das eingesetzte Fischfutter wird entweder aus Fischmehl hergestellt und schädigt die Fischbestände der Meere, oder es wird aus gentechnisch verändertem Soja produziert, das in Monokulturen in Südamerika angebaut wird. Beides schädigt Umwelt, Tiere und Menschen im hohen Maße. Soja-Fischfutter wird außerdem mit dem Pestizid Ethoxyquin, das EU-weit in der Landwirtschaft wegen seiner Toxizität verboten ist, behandelt.
Die geplanten Standorte für Netzkäfige im Überlinger See liegen gänzlich im FFH Gebiet und sind somit nicht genehmigungsfähig. Genehmigte man hingegen Anlagen im Obersee, wäre dies ein Präzedenzfall, der es Großkonzernen der Fischindustrie ermöglichen würde, ebenfalls Anträge einzureichen. Die Massentierhaltung im See wird die Wasserqualität beeinträchtigen und damit auch das Trinkwasser und die Gesundheit für über 5 Millionen Menschen.
Müssen wir uns neben der Versiegelung unserer Landschaft in Zukunft auch Sorgen über den "Flächenverbrauch" im Bodensee machen? Bereits bei den geplanten 10 bis 12 Netzgehegen im See entsteht eine Störung des Landschaftsbildes und der Freizeitnutzung des Sees. Die Ausübung des Wassersports, der Angel- und Berufsfischerei wird durch Netzgehege beeinträchtigt. Für die Schifffahrt müssten Sperrzonen rund um die Käfige errichtet werden. Da kein öffentliches Interesse vorliegt, ist es fraglich, ob dies rechtssicher möglich ist.
Im Bodensee kam es in den letzten Jahren regelmäßig zu einem Massenauftreten von Kieselalgen. Während dieser Algenblüte war eine Netzfischerei fast unmöglich, weil die Netze innerhalb kürzester Zeit durch die Kieselalgen verschmutzt waren. Wie soll die Reinhaltung der Netzgehege im See erfolgen? In anderen Ländern kamen in der Vergangenheit Methoden zum Einsatz, die zu massiven, negativen Auswirkungen auf Kleinstlebewesen in den entsprechenden Gewässern führten. So wurde beispielsweise durch Einbringen von Kupfer versucht, den Bewuchs zu verhindern.
Neben den naturschutzrechtlichen und umweltrelevanten Fragen ist die Problematik der Aufzucht der Besatzfische und der Auswirkungen geimpfter Zuchtfische auf die Wildfische im selben Gewässer ungeklärt. Wie wird sichergestellt, dass die geimpften Zuchtfische keine Krankheitserreger oder Parasiten auf die Wildfische übertragen?
In den Referenzanlagen in Finnland wird für die Haltung eines Elterntierstammes, die Laichgewinnung und Aufzucht der Felchenbrütlinge eine Anlage betrieben, die der Kapazität der Fischbrutanstalt in Langenargen entspricht. Wo soll diese Anlage entstehen und wer betreibt diese? Oder soll die staatliche Fischbrutanstalt in Langenargen diese Aufgabe auf Kosten des Steuerzahlers oder im Auftrag gegen Vergütung übernehmen? Hier ist zu prüfen, ob der Einsatz von Steuermitteln für privatwirtschaftliche Zwecke rechtlich überhaupt möglich ist.
Ebenso ist zu prüfen, welche Auswirkungen für den Besatz von Wildfischen entstehen. Bei Saiblingen im Bodensee gibt es bereits erste Anzeichen für die Abhängigkeit der Fangzahlen zu den Besatzzahlen der Fischbrutanstalten. Für Felchen sind wissenschaftliche Untersuchungen dazu angelaufen. Ergebnisse sind aber erst in den nächsten Jahren zu erwarten. Eine mögliche Reduzierung der Kapazitäten der bestehenden Fischbrutanstalten für die Erbrütung von Wildfischen zu Gunsten der Felchenmast im Bodensee darf nicht geschehen.
Am Bodensee gelten derzeit strenge Vorschriften zum Besatz mit Felchen. So ist es zum Beispiel nicht erlaubt, Felchen, deren Laich im Untersee gewonnen wurde, im Obersee (Konstanzer Trichter) zu besetzen. In diesem Zusammenhang ist es geradezu paradox, wenn nun von den gleichen Sachverständigen und Vertretern der Fischereibehörden eine Haltung von domestizierten Felchen mit langfristig verändertem Genmaterial, als unbedenklich befürwortet wird.
Die Felchenmast in Käfighaltung soll unter dem Deckmantel erlaubt werden, die Situation der Berufsfischer am Bodensee zu verbessern. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig, wenn man bedenkt, dass die Mast in Aquakultur von 95 Prozent der Berufsfischer energisch abgelehnt wird. Der weitaus größte Teil der Interessenten, die sich jetzt in einer Genossenschaft zusammenschließen, gehört nicht zu den von massiven Fangrückgängen gebeutelten Berufsfischern am Obersee, für die sich die Landesregierung eigentlich einsetzen wollte. Durch Felchenmastbetriebe wird die Situation für diese vom Wildfang lebenden und in ihrer wirtschaftlichen Existenz ohnehin gefährdeten Berufsfischer zusätzlich durch neue Mitbewerber am Markt gefährdet.
Die nachhaltige Fischerei am Bodensee hat eine lange Tradition, deren rechtliche Wurzeln, durch kirchliche und weltliche Obrigkeiten, bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückreichen. Ende des 19. Jahrhunderts mündeten diese im Rahmen der "Bregenzer Übereinkunft" in einen der weltweit ersten Staatsverträge zur nachhaltigen Befischung eines internationalen Gewässers. Bei einer einseitigen Genehmigung der Käfighaltung durch die Landesregierung von Baden-Württemberg wäre der Fortbestand dieser Tradition ernsthaft gefährdet.
Gleichzeitig wird immer wieder auf die Verankerung des Themas "Felchenmast" im Koalitionsvertrag der jetzigen Landesregierung verwiesen. Wer übernimmt die politische Verantwortung, wenn sich mittel- bis langfristig durch die Netzkäfige negative Auswirkungen für den Bodensee, seine Fauna und Flora, das Trinkwasser und die Gesundheit für Millionen Menschen einstellen?
Die Unterzeichner*innen lehnen Massentierhaltung im Bodensee und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Umwelt ab. Sie sehen in der Felchenmast mittels Aquakultur keine Lösung für den Bodensee und die Probleme der Berufsfischer. Im Gegenteil der erhoffte Ausweg würde zum Bumerang für die Berufsfischerei. Zuchtfelchen stehen in direkter Konkurrenz zu den Wildfängen. Eine Vermarktung des Bodenseefisches als hochwertiges, naturbelassenes, unbelastetes Produkt wird erschwert werden. Das traditionelle Handwerk verdient Unterstützung. Daher sollte über direkte Förderungen, Projekte und Zuschüsse aus Mitteln des Kulturhaushalts oder des Tourismus nachgedacht werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Brigitte Dahlbender
Landesvorsitzende, BUND Landesverband Baden-Württemberg
Johannes Ensle
Landesvorsitzender, NABU Landesverband Baden-Württemberg
Reinhard Heinl
1. Vorsitzender, Landes-Segler-Verband Baden-Württemberg
Toni Kappeler
Präsident, Pro Natura Thurgau
Gabriele Aebli, Reto Frei,
Co-Präsidentin, Co-Präsident, WWF Bodensee/Thurgau
Hildegard Breiner,
Obfrau, Naturschutzbund Vorarlberg
Jörg Dürr-Pucher
Präsident, Bodenseestiftung
Sascha Müller-Kränner
Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe
Marion Hammerl
Präsidentin, Global Nature Fund
Gabriel Schwaderer
Geschäftsführer, Euronatur
Dr. Thomas Schaefer
Deutsche Umwelthilfe, Regionalverband Süd
Bettina Schmidt
Netzwerk lebendige Seen Deutschland
Württembergischer Fischereiverein e.V.
am Bodensee seit 1891
Norbert Knöpfler, Württembergischer Fischereiverein e.V.
Christoph Maurer
Präsident, Fischereiverband Thurgau
Alfredo Sanfilippo
Präsident, IABS Internationale Arbeitsgemeinschaft der Bodensee
Sportfischervereine
Ralph Schill
VDST Verband Deutscher Sporttaucher e.V.
Hannelore Brandt
Präsidentin, Badischer Tauchsportverband e.V.
Rainer Beck
Präsident, Württembergischer Landesverband für Tauchsport e.V.
Ulfried Miller
Regionalgeschäftsführer, BUND Regionalverband Bodensee-Oberschwaben
Thomas Körner
Geschäftsführer, NABU Bezirksverband Donau Bodensee
Erich Jörg
Kreisvorsitzender, Bund Naturschutz Kreisgruppe Lindau
Dr. Antje Boll
Geschäftsführerin, BUND Konstanz
Thomas Lang, Bertram Wanner
Gewässer- und Naturschutzwart, Präsident
Angelsportverein Konstanz e.V.
Richard Angehrn
Präsident, Fischereiverein Untersee
Sebastian Seger
Präsident, Seerheinfischer Tägerwilen
Präsident, Angelsportverein Gottmadingen e.V.
Thomas Siedler,
stv. Vorsitzender, SAV Überlingen
Christian Schellhammer
ASV Frühauf Radolfzell e.V.
*
Quelle:
Gemeinsame Pressemitteilung, 10.03.2017
c/o Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Landesverband Baden-Württemberg e.V.
Marienstraße 28, 70178 Stuttgart
Tel.: 0711 620306-17, Fax: 0711 620306-77
E-Mail: presse.bawue@bund.net
Internet: www.bund.net/bawue
veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2017
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang