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STANDPUNKT/1209: Endspiel - "...auf dem Weg in die Klimahölle..." (Jürgen Tallig)


Endspiel: "...auf dem Weg in die Klimahölle..."

Die aktuelle Klima- und Verkehrspolitik ist rechtswidrig und lebensbedrohlich.

von Jürgen Tallig
der Autor war Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig


UN-Generalsekretär Gutteres hat den Stand der Dinge anlässlich der nun schon 27. UN-Klimakonferenz (COP) im ägyptischen Scharm-el-Scheich, treffend zusammengefasst: "Wir sind unverändert auf dem Weg in die Klimahölle,- mit dem Fuß auf dem Gaspedal."

Ja, wie sollte es auch anders sein, befindet wir uns doch in einem globalen Wettrennen um Marktanteile, Energie und Rohstoffe, um Wachstums- und Reichtumsvermehrung,- es geht um den Sieg,- zumindest darum vorne dabei zu sein und sei es letztlich auch in der Klimahölle.

Die Krebszelle hat auch kein Bewusstsein davon, dass ihre ungehemmte Vermehrung, auch ihren eigenen Untergang bedeutet. Der Kapitalismus wähnt sich immer noch in der Erfolgsspur, produziert aber vor allem weltweite Zerstörung. Der "Maulwurf der Geschichte" erweist sich als unersättliches Monster, das die Lebensgrundlagen untergräbt und Wüsten hinter sich zurück lässt.

Die klimaschädlichen Emissionen der EU sind z.B. etwa 10-mal so hoch, wie die CO2-Aufnahmefähigkeit ihrer Wälder, die durch Waldschäden und Waldbrände zudem immer mehr geschädigt werden. Unser ökologischer Imperialismus überschreitet längst wesentliche planetare Grenzen und gefährdet das Leben und das Überleben der Menschheit.

Klimaamok und tödlicher Autowahn

Die gegenwärtige Situation eines faktisch neuerlichen Ausnahmezustands oder verdeckten Kriegszustandes wird benutzt, Energie billig zu halten und den Autoverkehr weiter zu fördern, obwohl das Klimarahmenabkommen, der Pariser Klimavertrag und hierzulande zusätzlich das Grundgesetz und der Beschluss des Bundesgerichtshofes zum Klimagesetz rechtsverbindlich das genaue Gegenteil erfordern. Nämlich die Emissionen so schnell, verbindlich und konkret zu senken, dass den kommenden Generationen hinreichende Handlungsmöglichkeiten bleiben und Ihre Freiheitsrechte nicht extrem beschnitten werden (siehe Beschluss des BGH).

Die aktuelle Klima- und Verkehrspolitik in Deutschland ist insofern eindeutig rechtswidrig und verfehlt gerade im Verkehrssektor nun schon seit Jahren die Klimaziele, doch auch die Gesamtemissionen sind seit Corona so stark gestiegen wie seit 1990 nicht mehr. Eine unveränderte Verkehrspolitik pro Auto,- ein 49 Euro-Ticket ist ja kein klares Signal pro ÖPNV-, kann man inzwischen nur als kriminell bezeichnen, denn sie ist in mehrfacher Hinsicht lebensbedrohlich.

Einmal natürlich wegen der vielen tragischen Unfälle, die oft die Schwächsten, wie die Radfahrer, am Schwersten treffen, dann aber natürlich auch wegen der verheerenden Gesundheitsfolgeschäden durch Lärm und Feinstaub,- so sterben in Europa jährlich etwa 400000 Menschen an den Folgen des Autoverkehrs und dann natürlich wegen der verheerenden globalen Klimafolgen.

Wenn die EU und Deutschland die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens ernst genommen hätten, dann hätten sie längst eine wirklich radikale Verkehrs- und Energiewende einleiten müssen, die vor allem bedeutet hätte, massiv Energie einzusparen und sich vom motorisierten Individualverkehr zu verabschieden.

Es ist schon perfide, wenn Medien und einige Politiker denjenigen, die diesen alltäglichen Klima- und Verkehrswahnsinn beenden wollen, die Schuld am tragischen Tod einer Radfahrerin zuschieben und Klimaaktivisten, die für unser aller Zukunft kämpfen, kriminalisieren. Das ist eine regelrechte Diffamierungs- und Hetzkampagne, die zeigt, dass unsere Demokratie gefährdet ist.

Es braucht Solidarität mit den mutigen Klimaschützern und eine nationale und globale Offensive der Klimabewegung! Aber, nicht nur das Klima ist in Gefahr!

Klima-Ausnahmezustand

Wenn hier schon von Klima-RAF getönt wird, dann zeigt ein fossil-technofaschistischer Staatskapitalismus hier schon einmal seine Fratze und bis zum Klima-Ausnahmezustand ist es dann nicht mehr weit; der aber kein Klimanotstand zur Bekämpfung der Klimakatastrophe, sondern ein permanenter Ausnahmezustand zur Aufrechterhaltung der Macht- und Besitzverhältnisse und einer ungestörten Kapitalakkumulation sein dürfte, was ja auch die eigentliche Aufgabe des kapitalistischen Staates ist.

Seit der Rede eines VW-Chefs auf einem GRÜNEN-Parteitag, gibt es eine neue Art von historischem Kompromiss, der Wachstum und Klima versöhnen soll, was natürlich unmöglich ist und mit einem Green Deal vor allem den Kapitalismus und auch das Klima retten sollte. Allerdings scheint sich mittlerweile doch eher ein fossil-digitaler, zunehmend militarisierter Kapitalismus, der neben der bisherigen Globalisierung expansiv geostrategische Interessen verfolgt, durchzusetzen (siehe Birgit Mahnkopf, Der Kampf um Eurasien, Blätter für deutsche und internationale Politik 10'22).

Die Welt erlebt derzeit eine Art Klima- Amoklauf, mit ungebremsten Investitionen in fossile Brennstoffe und ungebremster Naturzerstörung und Klimapolitik scheint nur noch eine Art Alibi- und Feigenblattfunktion zu haben, beim Great Game um den globalen Kuchen.

Klimaschutz und Demokratie werden zusehends als Wachstumshemmnisse betrachtet, die in der allgemeinen Mobilmachung für den globalen Konkurrenzkampf nicht länger stören sollen.

Reise nach Ägypten

Die derzeitige Situation wurde und wird denn auch international zum Anlass genommen, alle bisherigen Versuche eines global koordinierten Klimaschutzes nun vollends zu entsorgen und allenfalls über Anpassung und Entschädigungen zu reden. Klimaschützer wie Greta Thunberg reisten erst gar nicht nach Ägypten, das ja auch noch von einem undemokratischen Militärregime beherrscht wird. Der Süden und wichtige Schwellenländer wie China, Indien und natürlich Russland signalisieren inzwischen deutliche Skepsis gegen die vom Westen betriebene Klimapolitik, die nur dem eigenen Vorteil zu dienen scheint und den eigenen technologischen Vorsprung zu Ungunsten der Anderen ausnutzen will. Wie ernst ist es denn mit dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen, wenn er vor allem die Kohle meint und was ist von einem westlichen Klimaklub zu halten, wenn er seine Mitglieder durch ein CO2-Grenzausgleichssystem schützt, nachdem man in den letzten Jahren "schmutzige", emissionsintensive Produktion aus den "Metropolen" ausgelagert hat und das vor allem, "schmutzige" kohleabhängige Länder benachteiligt. Dieser Egoismus wird natürlich weltweit höchst kritisch gesehen und auch, dass die Verpflichtungen des Westens die Kosten des Klimawandels wegen der historischen Klimaschuld auszugleichen, nicht eingehalten werden.

Auch Deutschland macht sich inzwischen klimapolitisch immer mehr unglaubwürdig.
Mit seiner Verkehrspolitik, die unverändert motorisierten Individualverkehr fördert und nicht den ÖPNV und die Bahn, der noch ausgeweiteten Subventionspolitik für fossile Brennstoffe, der Laufzeitverlängerung für Kohle- und Atomkraftwerke und der Bremse für die eh viel zu geringe CO2-Steuer. Daran können auch die salbungsvollen Worte eines Herrn Habeck, von einer deutschen Führungsrolle beim Klimaschutz nichts ändern. Man wird an seinen Taten gemessen und nicht an seinen Versprechen und schönen Worten. Es wird weltweit, auch in der EU klar gesehen und auch laut kritisiert, dass es bei dem 200 Mrd. Euro-Subventionspaket keineswegs um eine energetische Notlage geht, sondern um Kostensenkungen für die deutsche Wirtschaft, um ihre internationalen Konkurrenzfähigkeit zu bewahren und noch zu verbessern. Und das geplante CO2-Grenzausgleichssystem dient weniger dem Klimaschutz, sondern ist vielmehr klassischer Protektionismus, der den eigenen technologischen Vorsprung nutzt, um die Konkurrenten zu benachteiligen. Siehe auch der Handelskrieg USA-China.

Endspiel- das finale Great Game

Es ist eine Rückkehr zu politischen, ökonomischen und finanziellen Methoden der End- 20er und Anfangs- 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Wohin diese geführt haben, müsste eigentlich noch in schrecklicher Erinnerung sein,- doch Aufrüstung und direkte und indirekte Kriegsführung und Expansion sind schon wieder als Auswege aus der "Krise" salonfähig.

Es ist allerhöchste Zeit, zu erkennen, dass es unendliches Wachstum nicht geben kann, aus ökonomischen und ökologischen Gründen. Es bedeutet früher oder später Krieg und es bedeutet vor allem eine irreversible Zerstörung der Lebensgrundlagen.

Eine wirksame, globale Klimapolitik ist nicht möglich, wenn jeder nur den eigenen Vorteil sucht und der reiche Westen vor allem seine Besitzstände und seine Gewinner-Position bewahren will.

Egal, wer letztlich dieses globale Great Game um Macht, Märkte, Rohstoffe und Energie gewinnen wird, am Ende werden wir alle Verlierer sein, weil wir das eigentlich relevante Great Game, das mit dem System Erde und dem Klima krachend verlieren werden,- ohne Chance auf einen Neustart.

Die Klimakatastrophe ist irreversibel und geht nicht einfach irgendwann wieder vorbei. Sie ist wahrscheinlich jetzt schon ein sich selbst verstärkender und aufschaukelnder Prozess,- wir befinden uns längst auf dem immer steiler werdenden, abschüssigen Weg in eine lebensfeindliche Klimahölle, auf dem es schon längst nicht mehr vorwärts, sondern nur noch abwärts geht und auf dem bald keine Umkehr mehr möglich sein wird.

Immer weiteres Wachstum gibt es nur auf Kosten anderer, vermeintlich Schwächerer und es gefährdet die Weiterexistenz der Menschheit. Das sollten die Mächtigen der Welt endlich realisieren, bei Ihrem Gipfel in Bali, ehe sie über weiteres Wirtschaftswachstum palavern. Der Klimagipfel in Ägypten war für sie nur ein Zwischenstopp, wo mal wieder "Reise nach Jerusalem" gespielt wurde, -bloß dass eben die besten Plätze schon vorher vergeben waren,- welch unerträgliches Aussitzen.

Wenn die Reichen, wie festgeklebt, auf ihren exklusiven Stühlen sitzen bleiben und nicht einmal aufstehen, um wirklich mitzuspielen beim Kampf ums globale Überleben und um einen wirklichen Kurswechsel, dann zeigt sich erneut die Verblendung der Macht, die selbst angesichts des Abgrunds nur voran kommen will. Man sollte sich die Emissionen für die Reise nach Ägypten sparen und lieber zu Hause Straßen blockieren, wo immer möglich auf die Bremse treten und Sand im Getriebe sein.

Eine Politik zur Verhinderung der Klimakatastrophe braucht Glaubwürdigkeit, Gerechtigkeit, eine starke vernunftgeleitete Führung, neue Institutionen und Bündnisse.

Eine Politik zur Verhinderung der Klimakatastrophe kann keine Lobbypolitik für Wirtschafts- und Finanzinteressen sein; sie muss unendliches Wachstum als Krankheit erkennen und benennen; sie braucht den Mut zur unbequemen Wahrheit, die Weitsicht, jetzt für Morgen zu handeln; sie muss Gerechtigkeit als Voraussetzung jeder Lösung begreifen und weniger als mehr; sie muss den Glauben an höhere Ziele als Geldvermehrung und Konsum erneuern und die Menschen begeistern und aktivieren für das höchste Ziel: den Kampf für den Fortbestand des Lebens und für die Verhinderung der Klimakatastrophe. "Der Sinn des Lebens ist, dass Leben weitergeht.", - wenn wir das vergessen, werden wir zu Dienern des Todes und sind nicht mehr, als Teil eines Krebsgeschwürs, das nicht einmal weiß, dass das Ende seines Wirtskörpers auch sein eigenes Ende bedeutet.

Weitere Informationen:
www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.comDaaa

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Quelle:
Jürgen Tallig, 18. November 2022
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick am 18. November 2022

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