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STELLUNGNAHME/003: Es geht nicht nur um Energiepolitik - Gefahr für die Demokratie (NaturFreunde)


NaturFreunde Deutschlands - 17. August 2010
Pressemitteilung des Bundesvorsitzenden der NaturFreunde Deutschlands

Michael Müller vom 16. August 2010 zum BILD-Interview mit den vier Chefs der Atomkonzerne:

Klar ist: Es geht nicht nur um Energiepolitik, es geht um Interessen, Taktik und Macht - NaturFreunde sehen Gefahren für die Demokratie


Berlin, 16. August 2010 - Der britische Sozialwissenschaftler Colin Crouch sieht die Demokratie in einem zunehmend kritischen Zustand. Im Schatten politischer Inszenierungen, die tagtäglich die Zeitungen füllen, wird die reale Politik immer mehr zu einem fragwürdigen Aushandlungsprozess, begleitet von öffentlichem Getöse, Drohungen und vermeintlichen Helden- oder Schurkenrollen. Dem Ideal der politischen Gleichheit wird mehr und mehr der Boden entzogen. Die Aussagen der vier großen Stromkonzerne, die alle als öffentliche Konzerne begonnen haben, sind ein Beispiel dafür.

Ein Beispiel für den Verfall der Demokratie ist die Auseinandersetzung in der schwarz-gelben Bundesregierung um die Atomenergie und die Rolle der Atomwirtschaft, die ideologisch und real vielfältig mit Union und FDP verflochten ist. Große Teile des Regierungslagers sind nicht frei, ihnen fehlt jede Unabhängigkeit, um die zentrale Zukunftsfrage der Neuordnung der Energieversorgung auch sachgerecht entscheiden zu können. Und die Chefs der Atomwirtschaft verstellen die Wirklichkeit mit einseitigen Behauptungen, die ihren kurzfristigen Interessen entsprechen, nicht aber einer vorausschauenden und vorsorgenden Energiepolitik. Die Folge ist ein einzigartiges, ja abschreckendes Theater, das schon lange nichts mehr zu tun hat mit den Herausforderungen, um die es eigentlich gehen sollte.

Der Ausgangspunkt war 2001 der Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Bundesregierung, der auch von den großen Unternehmen begrüßt worden ist. Er hat einen harten innenpolitischen Streit beendet, auch weil die Umweltverbände einen Kompromiss akzeptiert haben, der weit hinter ihren Forderungen zurückgeblieben war. Und die Behauptung vieler Vertreter von CDU/CSU und FDP, dass nun die Lichter ausgingen, hat sich als unsinnig erwiesen. Im Gegenteil: Die erneuerbaren Energien haben einen einzigartigen Aufschwung genommen und sind heute das Markenzeichen deutscher Innovationspolitik. Bei Einsparen und Effizienzsteigerung sind die Maßnahmen allerdings deutlich hinter dem zurückgeblieben was möglich wäre.

Heute geht es um Taktik. Um sich ein grünes Mäntelchen anzuziehen, was bei dem offensichtlich überforderten Koalitionspartner FDP auch nachvollziehbar ist, aber die politische Begründung und das Vorgehen keinesfalls entschuldigt, versucht ein Teil der Union, ohne dass es dafür eine inhaltliche Klärungsdebatte in der Partei gegeben hat, einen ökologischen Salto zu schlagen. Es wird vernebelt, um was es allen - ganz egal ob Bundesminister Röttgen oder den Ministerpräsidenten Mappus oder Seehofer - in der Union geht: die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke.

Dem konservativen und wirtschaftsnahen Teil in der schwarz-gelben Koalition, der immer noch die Mehrheit stellt, geht bereits das rhetorische Wendemanöver zu weit. Vor allem die zuständigen Verantwortlichen für Energie und Wirtschaft kennen nur eins: Atomkraftwerke sollen laufen bis die Schrauben rosten. Das nennen sie billige Energie, Versorgungssicherheit und Brückentechnologie.

Diese Machtauseinandersetzung und die taktischen Manöver des Regierungslagers verunsichern sogar die Atomwirtschaft, die mit dem Regierungswechsel goldige Zeiten angebrochen sah, nicht aber neue Belastungen. Seriöse Verhandlungspartner sind sie schon lange nicht mehr, denn 2001 hatten sie den Ausstiegbeschluss noch mit großen Worten begrüßt und die Einhaltung des Vertrages geschworen. Doch es geht vor allem um Geld, nicht um Energiepolitik. Was früher war, zählt nicht mehr. Neue Mehrheiten, neues Spiel. Aber sie machen die Rechnung ohne die Bevölkerung, die nicht nur von den windigen Manövern abgeschreckt ist, sondern auch nach wie vor mit klarer Mehrheit den Ausstieg will.

Die Folge ist ein immer dickerer Knoten politischer Unfähigkeit und moralischer Beliebigkeit. Und das in einer Zeit, in der grundlegende Reformen notwendig sind. Reformen, die eine seriöse Politik und verlässliche Partner erfordern, aber keine Machttaktik, die nur kurzfristige Interessen kennt.

Jetzt spitzt sich der Streit zu: Starke Kräfte in Union und FDP wollen weit mehr als eine Verlängerung um acht Jahre, der den Zustand vor dem Atomausstieg wiederherstellen würde. Sie wollen, wie die Atombetreiber, die Gelddruckmaschine abgeschriebener Atomkraftwerke, auch um sich selbst zu bedienen. Nicht von ungefähr fordern die vier großen Atomkonzerne in erster Linie, dass die ganz alten Kraftwerke länger laufen. Diese abgeschriebenen Mühlen bringen nämlich die höchsten Gewinne.

Atomwirtschaft und große Teile der Politik wollen ein Paket knüpfen, das nichts mehr mit energiepolitischen Notwendigkeiten und auch nichts mit den Innovationschancen der neuen Energietechniken zu tun hat, wohl aber mit einer ideologischen und ökonomischen Verantwortungslosigkeit zu Lasten von Sicherheit und Innovationen.

In der heutigen BILD-Zeitung begründen die vier Chefs der Atombetreiber - RWE-Chef Jürgen Großmann, e.on-Chef Johannes Teyssen, Vattenfall-Vorstand Tuamo Hatakka und EnBW-Sprecher Peter Villis - ihren Kurs des Vergessens. Es ist ein Dokument der Innovationsfeindlichkeit von Unternehmen, die fester Bestandteil einer blinden Ökonomie der Kurzfristigkeit sind.

Teyssen behauptet, die Atomkraft sei für den Klimaschutz und eine leistungsfähige Wirtschaft notwendig. Er verschweigt, dass die Experten-Kommission des Deutschen Bundestages in umfangreichen Studien nachgewiesen hat, dass nur der Umbau, nicht das Festhalten an den überkommenen Strukturen der Verbundwirtschaft Klimaschutz und Innovationsstärke der deutschen Wirtschaft möglich machen. Auch die Behauptung der sichersten Atomkraftwerke ist deshalb fragwürdig, weil Deutschland nicht einen durchgängigen Atomkrafttyp hat, sondern auf unterschiedliche Technologien gesetzt hat. Aber zum Beispiel haben einige AKWs kein hinreichendes Containment.

Großmann verschweigt, dass der deutsche Exportrenner die erneuerbaren Energien sind. 34 Staaten der Erde nutzen heute Atomstrom, über 75 jedoch erneuerbare Energie, mehr als zwei Drittel davon nach deutschem Vorbild. Das ist die Zukunft und hier muss Deutschland aufpassen, dass wir die führende Position nicht verlieren, denn andere Länder holen massiv auf. Und die erneuerbaren Energien mussten stets gegen den Widerstand der großen Atombetreiber, die immer wieder dagegen geklagt haben, durchgesetzt werden. Auch die Behauptung vom preiswerten Atomstrom ist fragwürdig, denn warum liegt der Strompreis in den beiden Atomländern Bayern und Baden-Württemberg höher als in den meisten anderen Bundesländern.

Villis behauptet - was eine Binsenweisheit ist - die Welt hätte sich in den letzten 10 Jahren verändert. Dann nennt er aber nur Beispiele, die eigentlich einen schnelleren Umbau in eine dezentrale effiziente und erneuerbare Versorgung begründen. Und die Aussage, der Klimaschutz hätte heute eine ganz andere Dimension ist falsch, denn seit 1987 liegen die Erwärmungsszenarien vor, die der 4. Sachstandsðbericht des Weltklimarates bestätigt hat.

Hatakka ignoriert die zahlreichen Studien, dass nicht die Atomkraft, sondern die Effizienzrevolution und der Umstieg die CO2-Reduktionsziele ermöglichen. Atomkraftwerke kommen im günstigsten Fall gerade mal auf einen Wirkungsgrad von 35 Prozent. Lesen die Herren nichts oder verschweigen die einfach die Fakten?

Teyssen behauptet, dass in vielen Ländern baugleiche Atomkraftwerke gegenwärtig 60 Jahre laufen. Pardon, aber die gesamte Geschichte der nuklearen Stromerzeugung ist nicht einmal 60 Jahre alt. Im Schnitt waren bisher abgeschaltete AKWs nicht einmal 30 Jahre am Netz.

Großmann erwähnt zu Recht, dass die erneuerbaren Energien eine gesetzliche Vorrangstellung haben. Die ist aber nur dann zu halten, wenn es zu einer verbesserten Netzinfrastruktur kommt, was gerade die großen Konzerne erschweren.

Und überhaupt machen die Herren die Rechnung ohne die notwendigen Nachrüstungen, die aber bei einer Laufzeitverlängerung unbedingt notwendig werden. Die alten Mailer - zum Beispiel in Biblis - gehören schon lange abgeschaltet.

Die NaturFreunde Deutschlands haben die Anti-Atom-Demo am 18. September in Berlin angemeldet. Sie muss zu einem deutlichen Signal nicht nur gegen die Atomkraft, sondern auch gegen den verantwortungslosen Umgang mit der Demokratie werden. Das ist das, was Colin Crouch zur Selbstbehauptung der Demokratie fordert.


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Quelle:
Presseinformation vom 17.08.2010
Herausgeber: NaturFreunde Deutschlands
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2010