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ATOM/349: Industrie überprüft für den Staat neue Akw-Designs (SB)


Britische nukleare Aufsichtsbehörde leidet unter Personalmangel und Zeitdruck

Wirtschaft hilft gern mit Experten aus, um für Großbritannien die Konzeptvorschläge für Akw-Neubauten zu prüfen


Zu den Aufgaben eines Staates gehört, daß er die Bürger vor möglichem Schaden bewahrt. Das hat zur Folge, daß er beispielsweise Lebensmittel, Medikamente und technische Geräte auf deren Sicherheit hin überprüft. Wenn aber die vom Staat eingestellten Prüfer ausgerechnet aus dem Industriezweig stammen, dessen Produkte geprüft werden sollen, liegt der Verdacht nahe, daß ein Interessenskonflikt vorliegt oder und der Staat mit der Wirtschaft paktiert. Den Schaden erlitte im Zweifelsfall der Bürger.

Die britische Regierung hat beschlossen, neue Kernkraftwerke zu bauen, trotz des nicht unbeträchtlichen Widerstands in der Bevölkerung. Wie die Zeitung "The Guardian" (27.6.2009, online) berichtete, hat die zuständige Prüfungsbehörde, das Nuclear Installations Inspectorate (NII), mehr als ein Dutzend Projektmanager aus der Nuklearindustrie eingestellt, damit sie das Design der neuen Kernreaktoren überprüfen. Zu den Experten gehören Manager der US-Gruppen Bechtel und CH2M Hill und des britischen Unternehmens Amec; zudem hat der französische Nuklearkonzern Areva technische Berater abgestellt, um das NII zu unterstützen.

Auch wenn zugesagt wurde, daß Areva-Angestellte nicht das vom Areva-Partner EDF vorgelegte Konzept, mit dem es einen Auftrag für den Bau eines Akw an Land ziehen will, prüfen sollen, sie also "technologisch neutral" seien, liegt die Vermutung nahe, daß sämtliche einberufenen Fachleute aus der Wirtschaft das gemeinsame Interesse haben, daß die jeweiligen Designs zumindest nicht fundamental in Frage gestellt werden.

Würde man beispielsweise einen technisch versierten Atomkraftgegner damit beauftragen, die Designstudien der verschiedenen Bewerber einer kritischen Prüfung zu unterziehen, würde er womöglich Dinge bemängeln, die aus der Sicht der Wirtschaftsvertreter im Bereich der Sicherheitstoleranz lägen. Insofern ist es fraglich, ob technologische Neutralität auch dann noch eingehalten werden kann, wenn die Bewertungskriterien von der Nuklearindustrie selbst aufgestellt und selbst angewendet werden.

Das offensichtlich unterfinanzierte NII muß deshalb auf Experten aus der Wirtschaft zurückgreifen, weil es für die Posten niemand anderes gefunden hat und unter Zeitdruck steht, da die Prüfung der Entwürfe von Areva und Westinghouse (Toyota) bereits hinter dem Zeitplan liegen, wie der "Guardian" berichtete.

Das macht den Vorgang noch problematischer, denn nun sollen Nuklearlobbyisten schneller, als es womöglich geboten wäre, über die Konzepte aus der Nuklearindustrie befinden. Bis Mitte 2011 soll die Arbeit abgeschlossen sein. Die Industrie fürchtet, daß es durch das NII zu Verzögerungen kommt, schreibt der "Guardian". Das soll wohl bedeuten, daß die Industrie Druck macht, um die Prüfungen abzukürzen und ihre Designs durchzubringen.

Außerdem wird befürchtet, Umweltgruppen könnten Klage einreichen, sollte der Genehmigungsprozeß nicht ordnungsgemäß ablaufen. Emma Gibson von der Umweltorganisation Greenpeace erklärte, daß das NII unabhängig sein sollte und daß es zu Einflußnahmen kommen wird, wenn Leute aus der Nuklearindustrie eingestellt würden.

Bleibt nur zu wünschen, daß nicht eines Tages eine Expertenkommission bei der Ermittlung, wie es trotz des modernsten Designs der neuen britischen Kernkraftwerke zu einem verheerenden Unfall kommen konnte, zu dem Schluß gelangt, daß die Designprüfer von damals unsauber gearbeitet haben ... oder hätte sich irgend jemand vor April 2005 vorstellen können, daß in einem Betriebsteil des Nuklearkomplexes Sellafield über Monate hinweg rund 83.000 Liter hochradioaktives Wasser mit Salpetersäure, Uran und Plutonium auslaufen konnten, ohne daß es jemand bemerkt hat? Glücklicherweise war das Fassungsvermögen eines Auffangbeckens groß genug, so daß heute nicht die Umgebung, sondern "nur" jener Betriebsteil hochgradig kontaminiert ist.

30. Juni 2009