Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/413: Akw Oldbury vom Netz - Atomenergie in UK vor Neustart (SB)


Ältestes Akw der Welt abgeschaltet

Leukämie-Cluster in Südwales von der Politik weitgehend ignoriert


Am 29. Februar wurde das Akw Oldbury, das dienstälteste Atomkraftwerk der Welt, nach 44 Jahren Betriebszeit endgültig vom Netz genommen. Nachdem am 30. Juni 2011 bereits Block II abgeschaltet worden war, folgte vor wenigen Tagen Block I. Der graphit-moderierte, gasgekühlte Magnox-Reaktor stammt noch aus der ersten Generation von Atomkraftwerken und besaß ein hohes Unfallrisiko. Darüber hinaus steht der Reaktor im dringenden Verdacht, die signifikant erhöhte Krebshäufigkeit im Süden der Grafschaft Gloucestershire verursacht zu haben. Die Bevölkerung wird mindestens noch drei Generationen lang mit dem gefährlichen Reaktor in ihrer Nachbarschaft und der höheren Gesundheitsgefahr aufgrund der strahlenden Teile leben müssen. Der Rückbau des Meilers ist erst für Ende dieses Jahrhunderts vorgesehen, weil dann die höheren Radioaktivitätswerte abgeklungen sind.

Zugleich sehen die Anwohner einem Neubau entgegen. Für den gleichen Standort haben die deutschen Energiekonzerne E.on und RWE die Errichtung des Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) geplant. Ursprünglich sollte er 2020 in Betrieb gehen, was jedoch zeitlich nicht einzuhalten sein dürfte.

Wirtschaftliche Gründe hätten zu der Entscheidung geführt, den Reaktor Oldbury abzuschalten, schreibt das Betreiberunternehmen Magnox Ltd., das sich im Besitz der Gesellschaft Energy Solutions befindet, die wiederum im Auftrag der NDA (Nuclear Decommissioning Authority - Behörde für die Stillegung kerntechnischer Anlagen) arbeitet [1]. Dort erfährt man auch, daß das Akw Oldbury bereits 2008 vom Netz genommen werden sollte, in der Zwischenzeit aber weitere 7,4 Terawattstunden elektrischen Strom produziert und dem Steuerzahler damit 350 Millionen brit. Pfund (umgerechnet rund 420 Mio. Euro) erspart hat; außerdem seien durch die Betriebsverlängerung 3,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger produziert worden, hieß es.

Reinhard Uhrig, Atomexperte der österreichischen Umweltorganisation GLOBAL 2000, bestätigt, daß ökonomische und nicht sicherheitstechnische Gründe ausschlaggebend für die Verzögerung des Abschaltens waren und macht auf die extrem hohen Rückbaukosten aufmerksam, die auf die NDA zukämen: "Die Schließung wurde nur aus ökonomischen Gründen verschoben - die Nuclear Decommissioning Authority, die den hochradioaktiven Schrott von militärischen und zivilen Atomanlagen im Auftrag der englischen SteuerzahlerInnen übernommen hat, braucht für den Rückbau aller Anlagen geschätzte 83 Milliarden Pfund - da ist jede verkaufte Kilowattstunde Atomstrom willkommener Reibach, auch auf das Risiko eines großen Unfalls hin." [2]

Wie nicht anders zu erwarten, lief auch das Akw Oldbury nicht störungsfrei. Zuletzt mußte Block II im Mai 2005 abgeschaltet werden, weil der Reaktorkern stark korrodiert war. Gut ein Jahr darauf, im August 2006, folgte Block I wegen ähnlicher Rostschäden. Außerdem fällt auf, daß in Chepstow, das rund acht Kilometer vom Akw Oldbury entfernt liegt, ein Leukämie-Cluster unter Kindern besteht. Laut dem britischen Nuklearexperten Dr. Chris Busby ist dort das Erkrankungsrisiko elfmal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Auch andere Krebsarten träten in dieser Region im Süden von Wales gehäuft auf, berichtete Busby, der mit seinen Untersuchungen und Einschätzungen insbesondere der Gefährlichkeit schwacher radioaktiver Strahlung manche Kontroverse ausgelöst hat. [3]

Ungeachtet des Verdachts, daß das Akw Oldbury durch die Emission radioaktiver Strahlung unter anderem in Form von Radionukleotiden das Leben zahlloser Menschen durch eine Krebserkrankung verleidet oder verkürzt haben könnte, erklärte der Direktor des Akw Oldbury, Phil Sprague, daß die Anlage eine "sagenhafte Erfolgsgeschichte" gewesen sei. [1]

Die britische Zeitung "The Telegraph" sieht mit dem Abschalten von Oldbury schon das Ende des Nuklearzeitalters eingeläutet - zumindest für das United Kingdom, wo bis Ende dieses Jahrzehnts von den derzeit laufenden zehn Akws alle bis auf eines abgeschaltet werden könnten. In einem Kommentar der Zeitung wird zwar erwähnt, daß die Regierung beschlossen hat, neue Atomkraftwerke zu bauen, aber es wird darauf aufmerksam gemacht, daß der Baubeginn des ersten neuen Akws in UK am Standort in Hinkley Point, Grafschaft Somerset, um zwei Jahre von 2017 auf 2019 verschoben wurde. Dort will das französische Kernkraftwerkunternehmen EDF eine Anlage bauen. Mit Verweis unter anderem auf den Atomausstieg in Ländern wie Deutschland und der Schweiz, Anti-Akw-Protesten in China und Indien, den Ergebnissen einer Meinungsumfrage in Frankreich schreibt der "Telegraph", daß der Atomstrom im Vereinigten Königreich eher ab- als zunehmen wird. [4]

Die genannten Indizien deuten zwar in die von der Zeitung eingeschlagene Richtung, aber es werden in dem Kommentar auch wesentliche Dinge unterschlagen. Die britische Regierung hat die klare Absicht, neue Kernkraftwerke zu bauen und zeigt sich entschlossen, dies notfalls auch gegen den Widerstand der Bevölkerung durchzuziehen. Die Debatte wird schon seit Jahren geführt. Solche Vorhaben werden nicht einfach wieder umgestoßen. Atomenergie nimmt einen festen Platz im Energiemix der Briten ein und soll im Jahr 2030 rund 30 Prozent des elektrischen Strombedarfs decken. Selbst wenn dieser Wert nicht erreicht werden sollte, wird an der Absicht, den gegenwärtigen Anteil zu verdoppeln, die generelle Stoßrichtung deutlich.

Außerdem ist zu bedenken, daß das United Kingdom ein Atomwaffenstaat ist. Das Wissen und die Fertigkeiten, Strahlenmaterial nicht nur über einen längeren Zeitraum (zivil), sondern in einer einzigen wuchtigen Explosion (militärisch) "abbrennen" zu können, ist eine tragende Säule der militärischen Schlagkraft. Die britische Regierung, die dem Iran vorwirft, eine Atombombe bauen zu wollen, weiß aus eigener Anschauung, daß die zivile und militärische Atomtechnologie eng verwandt sind.

Geschichtlich wurde erst die Atombombe erfunden und eingesetzt, bevor ein Atomkraftwerk elektrischen Strom in ein öffentliches Netz eingespeist hat. Atomkraftwerke wären somit treffend als ein Kollateralschaden des Strebens nach dem ultimativen Zerstörungsmittel zu bezeichnen. Sicherlich könnten die Briten ein Atomwaffenprogramm ohne die zivile Komponente betreiben, aber warum sollten sie das tun? Die wachstumsorientierte Wirtschaft braucht Energie, und bei allem Bemühen um Energieeffizienz werden auch die Haushalte weiter Energie verbrauchen und sich nicht von der Versorgung abkoppeln. Zu guter Letzt gelten Atomkraftwerke als klimafreundlich. Die entsprechenden Berechnungen sind zwar mit Vorsicht zu genießen, aber sie haben ihre gesellschaftliche Relevanz. Das bedeutet, daß die Nukleartechnologie im Vereinigten Königreich nicht abgewirtschaftet hat, sondern vor einem Neustart steht.



Fußnoten:

[1] "Oldbury Power Station shuts down after four decades of safe generation", 29. Februar 2012
http://www.magnoxsites.co.uk/news/2012-02-29/oldbury-power-station-shuts-down-after-four-decades-of-safe-generation

[2] "GLOBAL 2000: Weltältestes AKW wird endlich abgeschaltet. Nicht Stress-Tests, sondern wirtschaftliche Bedenken legen Hochrisiko-Reaktoren still", 27. März 2012
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20120227_OTS0045/global-2000-weltaeltestes-akw-wird-endlich-abgeschaltet

[3] "UK Power station: Cancer link claim", BBC News, 30. April, 2001
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/wales/1304438.stm

[4] "Why nuclear is in meltdown", The Telegraph, 2. März 2012
http://www.telegraph.co.uk/comment/9118831/Why-nuclear-is-in-meltdown.html

5. März 2012