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ATOM/418: Hochverstrahlte Fische vor Fukushima gefangen (SB)


Neue Beispiele für verheerende Folgen des Mehrfach-GAU im Akw Fukushima-Daiichi



Nun also auch Fisch. Oder genauer, da es nicht das erste Mal ist: Wieder einmal Fisch. Vor der ostjapanischen Küste in Höhe des am 11. März 2011 havarierten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi wurden Grünlinge gefangen, die mit 25.800 Becquerel/Kilogramm (Bq/kg) belastet waren [1]. Das ist das 51,6fache des offiziellen japanischen Grenzwerts von 500 Bq/kg, bis zu dem die Strahlenbelastung als unbedenklich angesehen wird.

Der hochverstrahlte Fisch wurde am 1. August 2012 rund ein Kilometer vor der Küste bei der Mündung des Ota-Flusses gefangen. Der Meßwert setzt sich zusammen aus 9.800 Bq/kg Cäsium 134 und 16.000 Bq/kg Cäsium 137. 90 Prozent der weiteren Proben wiesen ebenfalls Cäsium-Belastungen auf, wie die Website Fukushima Diary [2] berichtete. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, daß sich die überwiegende Mehrheit der Becquerel-Meßwerte im zweistelligen Bereich bewegte. Dennoch hätte ein Verzehr jener hochbelasteten Fische ernsthafte gesundheitliche Schäden nach sich ziehen können. Außerdem muß bei der Bewertung des Strahlenrisikos bedacht werden, daß noch höhere radioaktive Belastungen als die aktuell höchsten gemessenen Werte auftreten können und daß nicht alle Lebensmittel permanent hinsichtlich ihrer Strahlenbelastung überprüft werden.

Nachdem Wissenschaftler vor kurzem berichteten, daß Schmetterlinge aus der Region von Fukushima in der zweiten und dritten Generation zunehmend Mutationen aufwiesen, sind die Grünlinge nun der zweite Hinweis innerhalb kurzer Zeit, daß der mehrfache GAU im Akw Fukushima-Daiichi deutliche Spuren in der Umwelt hinterlassen hat und alle Bemühungen seitens des Betreibers Tepco und der japanischen Regierung, das Problem als bewältigbar darzustellen, den Eindruck von Fahrlässigkeit erzeugen.

Nachdem die ursprüngliche "Erklärung", zu der Akw-Havarie sei es allein wegen der außergewöhnlichen Höhe des Tsunamis von vierzehn Metern gekommen, widerlegt wurde - bereits das Erdbeben, von dem das Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi wenige Minuten vor der Flutwelle getroffen wurde, hat entscheidende Funktionen der Meiler außer Betrieb gesetzt - haben sich die Offiziellen jetzt auf die Erklärung verlegt, daß menschliches Versagen, salopp gesagt: Schlampigkeit und Fahrlässigkeit, Ursache der Havarie gewesen war. Man wendet also die Schwarzes-Schaf-Methode an, die unausgesprochen impliziert, daß die Nukleartechnologie im Prinzip kontrollierbar ist. Sogar systemische bauliche Mängel des Akw-Typs von Fukushima Daiichi werden eingeräumt, nur damit nicht die gesamte Branche in Verruf gerät ... und beispielsweise Deutschland mit seinem Atomausstieg kein Vorbild für andere Staaten wird.

Die Geschichte der sogenannten zivilen Atomtechnologie, die sich keineswegs zivil gebärdet, ist eine der Unfälle und Katastrophen. Und mit jedem Mal wird eine Schein-Erklärung geliefert, die darauf hinausläuft, daß besondere Umstände Schuld an dem Versagen der Technologie waren. Der Mehrfach-GAU des Akw Fukushima Daiichi wird inzwischen sogar als Bestätigung für die Sicherheit der Atomtechnologie bemüht, weil ja angeblich kein Mensch durch Verstrahlung gestorben ist und Schätzungen zufolge die Zahl der Krebserkrankungen gering bleiben wird.

Bei der nächsten Nuklearkatastrophe, die eintritt, werden erfahrungsgemäß erneut Ausreden gefunden, nur um nicht die Konsequenz aus der jahrzehntelangen Katastrophenwirtschaft zu ziehen und vollständig auf die Nukleartechnologie zu verzichten. Die Gründe dafür liegen viel weniger darin, daß der elektrische Strom aus Akws unverzichtbar ist, sondern erstens an dem Einfluß der profitorientierten Nuklearwirtschaft auf die Politik, zweitens an dem geeigneten Vorwand, sicherheitsstaatliche Infrastrukturen aufzubauen und demokratische Rechtsnormen zu verschieben, und drittens an der nicht zu vernachlässigenden militärischen Komponente der Atomtechnologie. Wer die Anreicherung von Uran zum Kernbrennstoff beherrscht, hat einen wichtigen Schritt gemacht, um eine Atombombe bauen zu können. Viele Jahre bevor erstmals in einem Atommeiler elektrischer Strom für die allgemeine Bevölkerung produziert wurde, wurde darin Plutonium erbrütet. Das wurde in eine Atombombe eingebaut, die am 9. August 1945 von einem US-amerikanischen Bomber über der japanischen Stadt Nagasaki gezündet wurde. Die Zahl der Toten ging in die Zehntausende, die der Strahlengeschädigten in die Hunderttausende. Auch wenn nach dem jetzigen Stand der Entwicklung die Zahl der Toten bzw. frühzeitig Verstorbenen durch die Fukushima-Havarie nicht an die der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki heranreicht, relativiert das nicht den Mehrfach-GAU. Denn jeder einzelne Todesfall und jede strahlenbedingte Krankheit sind keine vernachlässigbaren statistischen Größen, sondern hundertprozentige, persönliche Katastrophen.


Fußnoten:

[1] "Radioaktiv belastete Fische vor Fukushima gefangen", Zeit online, 22. August 2012
http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2012-08/fukushima-caesium-belastung-fisch/komplettansicht

[2] "Cesium from 90% of fishery products offshore Fukushima, Fukushima Dairy, 21. August 2012
http://fukushima-diary.com/2012/08/cesium-from-90-of-fishery-products-offshore-fukushima-highest-reading-was-25800-bqkg/

22. August 2012