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ATOM/431: Ungeachtet der Fukushima-Katastrophe - Japan nimmt Kurs in Richtung Kernenergie (SB)


Südjapanisches Akw Sendai soll diese Woche wieder Strom produzieren


Auf zynische Weise passend zum 70. Jahrestag der beiden Atombombenabwürfe auf die Städte Hiroshima und Nagasaki (6. und 9. August 1945) soll in Japan der erste Atomreaktor nach vier Jahren Unterbrechung wieder seinen Betrieb aufnehmen. Für Montag sind noch Abschlußtests geplant, am Dienstag soll der erste Meiler des Atomkraftwerks Sendai der Kyushu Electric Power Company (Kyushu Denryoku) hochfahren, sofern die japanische Nukleare Regulierungsbehörde (NRA) keine Einwände erhebt. Rund drei Tage darauf würde dann in Japan nach rund zwei Jahren Pause wieder Atomstrom produziert. [1]

Das 30 Jahre alte, aus zwei Blöcken aufgebaute Akw Sendai, das in der Stadt Satsumasendai in der südjapanischen Präfektur Kagoshima steht, war das erste Atomkraftwerk, das im Oktober vergangenen Jahres den Streßtest der Regierung bestanden hat. Am 31. Oktober stimmte die lokale Versammlung und gut eine Woche darauf auch der Provinzgouverneur der Wiederinbetriebnahme zu.

Japan gehört zu den erdbebengefährdetsten Regionen der Welt, und das Akw Sendai liegt ausgerechnet inmitten eines Vulkangebiets. Sakurajima, einer der aktivsten Vulkane Japans, ist nur 50 Kilometer entfernt. Das Atomkraftwerk war aus Wartungsgründen zwei Monate nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami am 11. März 2011, in deren Folge eine dreifache Kernschmelze im Akw Fukushima Daiichi eintrat, abgeschaltet worden. Wenn es jetzt wieder hochgefahren wird, muß der Betreiber ein besonderes Augenmerk auf die von Korrosion betroffenen, teils erstmals seit vier Jahren wieder unter Druck stehenden Installationen richten, damit sich nicht wiederholt, was beim Akw Fukushima-Daiichi jenes angeblich unabwendbare Naturereignis ausgelöst hatte.

Kritiker der Atomenergienutzung wie Henrik Paulitz von der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.) haben allerdings schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß kein schicksalhaftes Ereignis, sondern konzeptionelle Mängel am Akw Fukushima Daiichi für den Dreifach-GAU verantwortlich waren. Jedes Akw stelle eine inakzeptable Bedrohung von Mensch und Umwelt dar, alle Akws sollten konsequenterweise abgeschaltet werden. [2]

Auch die japanische Regierung unter Premierminister Shinzo Abe steht für ein konsequentes Handeln ein ... jedoch in die entgegengesetzte Richtung! Sie will rasch weitere der 48 zur Zeit außer Betrieb genommenen Atomkraftwerke ans Netz schließen. Und damit weder Whistleblower noch die Medien unbequeme Fragen stellen oder die offizielle Verschleierung der tatsächlichen Strahlengefahr offenlegen, wurde ihnen ein Maulkorb verpaßt. Bei "Geheimnisverrat" droht Angeklagten eine jahrelange Haftstrafe, und was ein Geheimnis ist, erfährt man erst hinterher, wenn man verhaftet wurde.

Also kommen inzwischen aus Japan nur noch pseudokritische Meldungen wie beispielsweise jene, daß in der Nähe von Fukushima Margariten mit mutierten Blüten entdeckt worden seien. Mit solch leicht zu entkräftenden Meldungen - solche Veränderungen an Blütenpflanzen treten auch ohne Strahleneinfluß auf - wird die Atomenergie eher unterstützt als in Frage gestellt. Nach dem Motto: Wenn die Akw-Gegner keine besseren Argumente haben ...

Sie haben aber bessere Argumente: Beispielsweise steigt im Umfeld deutscher Akws die Krebshäufigkeit von Kindern statistisch signifikant an. Und Akw-Arbeiter, die womöglich mehrere Jahre lang radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, ohne daß auch nur einmal der zulässige Grenzwert überschritten worden wäre, weisen eine deutlich höhere Krebsrate auf als durchschnittlich zu erwarten wäre.

Generell gilt, daß es für eine radioaktive Belastung keinen Grenzwert gibt, bis zu dem sie ungefährlich ist. Jedes inkorporierte Radionuklid könnte Krebs auslösen. Grenzwerte sind keine physikalische, sondern eine politische Größe - die Regierung entscheidet, wieviele Todesfälle sie für tolerierbar hält. Da sich diese Todesfälle über das jeweilige Staatsgebiet verteilen, werden sie von der Statistik verschleiert.

Durch den Atombombenabwurf auf Nagasaki starben innerhalb weniger Monate rund 80.000 Menschen. Ohne das Ausmaß dieser Massenvernichtung verharmlosen zu wollen, ist festzustellen, daß die übliche Trennung zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie seine Plausibilität verliert, wenn man in Rechnung stellt, daß weltweit Jahr für Jahr Tausende Menschen an Krankheiten sterben, die sie sich beispielsweise aufgrund von radioaktiver Strahlung am Arbeitsplatz, in der Umwelt oder in Lebensmitteln eingehandelt haben.

Ungeachtet solcher Beispiele, die eigentlich einen Ausstieg Japans aus der Atomenergie befestigen sollten, ist Shinzo Abe entschlossen, gegen den Willen des größeren Teils der Bevölkerung wieder Atomstrom produzieren zu lassen. Möglicherweise will er wieder an den Ursprung der Kernspaltung zurückkehren. Denn erst nachdem er dafür kritisiert wurde, daß er vor wenigen Tagen beim Gedenken an den Atombombenabwurf auf Hiroshima zu dem Thema der atomaren Bewaffnung geschwiegen hat, sagte Abe beim Gedenken der Opfer von Nagasaki, Japan wolle eine führende Rolle auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen einnehmen. [3]

Die sogenannte zivile Nutzung ist ein Abfallprodukt des militärischen Gebrauchs, und nachdem unter Abe das strikte Defensivgebot der japanischen Streitkräfte erodiert wurde - sein Verteidigungsminister erklärte bereits, japanische Truppen dürften dank der neuen Gesetzgebung zur Landesverteidigung künftig Atomwaffen ausländischer Streitkräfte transportieren -, sollte es niemanden wundern, wenn Japan nicht auch nach der Atombombe strebte. Dazu würde Sendai nicht gebraucht, aber das Akw ist Bestandteil einer nuklearen Infrastruktur, aus der heraus die militärische Nutzung der Kernspaltung leichter zu verwirklichen wäre.


Fußnoten:

[1] http://www3.nhk.or.jp/nhkworld/english/news/20150807_33.html

[2] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0013.html

[3] http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-08/atombombe-japan-nagasaki-jahrestag

9. August 2015


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