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ATOM/434: Tanz auf dem Vulkan - Hat Japan aus Fukushima nichts gelernt? (SB)


Unter dem Vulkan Sakurajima bauen sich enorme Spannungen auf

Akw Sendai nur 50 Kilometer entfernt


Japan wurde zu einem erheblichen Teil auf magmatischem und vulkanischem Material aufgebaut. Daß es auf dem Inselstaat bei insgesamt 265 Vulkanen immer wieder zu Ausbrüchen kommt, durch die auch Personen und Infrastrukturen bedroht oder beschädigt werden, wundert deshalb nicht. Verwunderlich dagegen ist, daß Japan trotz dieses permanenten Risikos rund ein Drittel seines riesigen Energiehungers mit Atomstrom aus 54 Nuklearmeilern bestritten und darüber hinaus Pläne verfolgt hatte, den nuklearen Anteil auf 50 Prozent der elektrischen Energiegewinnung zu erhöhen.


Vulkan in Wolken, davor die Stadt Kagoshima, 13. Juli 2009 - Foto: Mstyslav Chernov, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Hier zeigt sich der Sakurajima noch von seiner sanften Seite
Foto: Mstyslav Chernov, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Doch am 11. März 2011 wurde das Akw Fukushima Daiichi von einem Erdbeben und anschließendem Tsunami zerstört. Weite Landstriche wurden radioaktiv verstrahlt. Der Großraum Tokio mit 25 Millionen Einwohnern stand kurz vor der Evakuierung. Zum Glück für das Land hatte der Wind rechtzeitig gedreht und den größten Teil des radioaktiven Fallouts über dem Pazifik abgeladen. Die Regierung ordnete an, alle Atomkraftwerke abzuschalten und einem Streßtest zu unterziehen. Zeitweise kam Japan völlig ohne Atomstrom aus.

Inzwischen laufen wieder drei Reaktoren, zwei davon gehören zum Akw Sendai in der Präfektur Kagoshima auf der südjapanischen Insel Kyushu. Seit dem 11. August 2015 wird dort wieder Atomstrom produziert. Ausgerechnet im Akw Sendai! Nur rund 50 Kilometer von dem Standort entfernt befindet sich einer der aktivsten Vulkane Japans, der Sakurajima.

"Sakurajima" heißt zwar übersetzt "Kirschblüteninsel", aber mit dem Vulkan ist nicht gut Kirschen essen. Aus historischer Zeit sind schwere Eruptionen überliefert. Ein besonders starker Ausbruch erfolgte 1914, als 58 Menschen ihr Leben verloren und sich die Insel über Magmaflüsse mit dem Festland verband. In den letzten Jahren scheint der Vulkan wieder etwas unruhiger zu werden, auch wenn ein so großer Ausbruch wie vor 100 Jahren ausblieb - bislang. Beispielsweise spie er nur zwei Tage nach der Zerstörung des Akw Fukushima Daiichi eine Aschewolke und Lava aus. Die nächsten größeren Eruptionen erfolgten am 18. August 2013, 24. Oktober 2014, 20. August 2015 und 5. Februar 2016.

Jetzt berichtete eine Forschergruppe um James Hickey von der University of Exeter und Joachim Gottsmann von der University of Bristol sowie dem japanischen Sakurajima Volcano Research Centre, daß der Sakurajima vermutlich wieder vor einem großen Ausbruch steht, einem sehr großen Ausbruch. [1] Unter anderem anhand von Satellitenbeobachtungen haben die Forscher festgestellt, daß sich die gesamte Region um den Vulkan hebt. Den Berechnungen zufolge strömen rund 14 Millionen Kubikmeter Magma jährlich in die Kammern unter dem Vulkan und erzeugen einen so hohen Druck, daß das aufliegende Gestein angehoben wird. Zwar spuckt der Sakurajima beinahe täglich Asche und mitunter auch Lava aus, indes reicht das nicht, um den Druck aus dem Kessel zu nehmen.

1914 hatte der Vulkan schätzungsweise 1,5 Kubikkilometer Lava ausgeworfen. Den aktuellen Berechnungen nach dauert es 130 Jahre, bis sich erneut so viel Magma angesammelt hat, daß abermals ein ähnlich großer Ausbruch erfolgen dürfte. Von dieser Zeitspanne sind schon über 100 Jahre verstrichen, was bedeutet, daß ein Ausbruch kurz bevorstehen könnte. Die Vulkanforscher warnen die Stadt Kagoshima, die in der Nähe des Vulkans liegt, daß sich ihre 600.000 Einwohner auf dieses Ereignis vorbereiten sollten. 1914 war die Stadt nicht nur mit Vulkanasche bedeckt worden, stellenweise war der Untergrund als Folge des Rückzugs des Magmas auch so tief abgesackt, daß das Meer einige Gebiete überflutet hat.

Ob ein größerer Vulkanausbruch in 50 Kilometer Entfernung das Akw Sendai erreicht oder nicht, ist gar nicht so entscheidend. Allein daß dies kein Mensch ausschließen kann, sollte Anlaß genug sein, das Akw nicht wieder hochzufahren und alles daranzusetzen, das Hasardeurspiel vergangener Regierungen, die Atomenergie auf einer regelmäßig von Vulkanausbrüchen und Erdbeben heimgesuchten Insel eingeführt und weiter ausgebaut haben, zu beenden. Der neu gewählte Gouverneur von Kagoshima, Satoshi Mitazono, will genau das erreichen und hat gegen die Betreiber des Akw Sendai, Kyushu Electric, geklagt. [2] Er begründet das unter anderem mit den zwei schweren Erdbeben (6,2 und 7,1), die sich im April dieses Jahres in der Präfektur Kyushu ereignet haben.

Allerdings hat Japan unter Premierminister Shinzo Abe einen anderen Kurs eingeschlagen. Unter ihm soll das Land zwar nicht wieder zum alten Stand an Akws zurückkehren, doch will er auf die verheißungsvollen Optionen, die diese Technologie bietet, nicht verzichten und den Atomstromanteil auf 20 bis 22 Prozent erhöhen. Beweise dafür, daß der ultranationalistisch eingestellte Abe abgesehen davon, daß er eine rapide Rückkehr zum früheren Militarismus betreibt, auch die mehrere Tonnen Plutonium aus der zivilen Atomenergieproduktion zum Bau eigener Atombomben verwenden möchte, gibt es nicht.


Satellitenaufnahme von Japan, der koreanischen Halbinsel und dem Westpazifik - Bild: NASA

Aufname des Satelliten Terra/MODIS von Japan, 28. Oktober 2009.
Gelber Punkt: Akw Sendai. Roter Punkt: Vulkan Sakurajima.
Bild: NASA


Fußnoten:

[1] http://www.nature.com/articles/srep32691

[2] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/agenda/tauziehen-um-die-atomkraft-in-japan-14422565.html


16. September 2016


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