Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


ATOM/439: Gegen Urantransporte - für eine Welt ohne Atomwaffen (SB)


Anti-Atombewegung fordert Abschaffung der gesamten atomaren Infrastruktur


Die Bundesregierung hat zwar das Ende des Betriebs von Atomkraftwerken in Deutschland beschlossen, aber das ist bei weitem nicht gleichbedeutend mit einem generellen Ausstieg aus der Atomenergietechnologie und -infrastruktur. In Lingen wird eine Brennelementefabrik betrieben, in Gronau eine Urananreicherungsanlage. Dort wird das praktiziert, weswegen die Islamische Republik Iran seit Jahren von den USA, Israel und anderen westlichen Ländern massiv unter Druck gesetzt wurde und weiterhin wird: Mittels Gaszentrifugen Uran auf drei bis sechs Prozent anzureichern, damit daraus Brennelemente für den Betrieb von Atomkraftwerken hergestellt werden können.

Prinzipiell wäre in Gronau auch ein höherer Urananreicherungsgrad herstellbar. Damit wären die Voraussetzungen für die Produktion kernwaffenfähigen Spaltmaterials geschaffen. Wenn also der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung "das für deutsche Hirne ganz und gar Undenkbare, die Frage einer eigenen nuklearen Abschreckungsfähigkeit" ins Gespräch bringt [1], dann stehen seinen Überlegungen zumindest keine besonders hohen technologischen Hürden im Weg. Und hohe politische Hürden offenbar auch nicht. Roderich Kiesewetter, Obmann für Außenpolitik der Unions-Fraktion im Bundestag und ehemaliger Generalstabsoffizier (Oberst a. D.) der Bundeswehr, sprach sich kürzlich im Interview mit dem Deutschlandfunk zwar ausdrücklich nicht für eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr aus, sondern forderte eine gemeinsame europäische Abschreckungsdoktrin auf der Basis der Atomwaffen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs. Aber die Frage, was wäre, wenn die Briten nicht mitmachten, vermochte er nur unbefriedigend zu beantworten. [2] So läßt sich die Vermutung anschließen, daß eines Tages, sollten die Briten nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch militärisch ihren eigenen Weg gehen, auch Deutschland unter Berufung darauf, mehr Verantwortung übernehmen zu wollen, den Besitz eigener Atombomben anstrengt.

Um den Atomausstieg der Bundesregierung zu vervollständigen und auch um die technologischen Hürden für den Bau einer deutschen Atombombe höher zu legen, fordern Teile der Anti-Atombewegung die Schließung der Nukleareinrichtungen in Lingen und Gronau sowie ein Ende der Urantransporte in Deutschland. Am Samstag und Sonntag haben sie im Rahmen einer internationalen Aktion darauf aufmerksam gemacht, daß regelmäßig kreuz und quer durch Deutschland, per Eisenbahn, Zug und Schiff Kernbrennstoff transportiert wird.

Am letzten Wochenende sind Aktivistinnen und Aktivisten mit dem Zug die Atomtransportstrecke von Hamburg, das eine Drehscheibe für Urantransporte ist, nach Trier und von dort nach Gronau gefahren, haben die Zugreisenden mit Informationsmaterial über die Urantransporte versorgt und in den größeren Städten auf der Strecke mit der Präsentation auffälliger Transparente und anderen Aktionen auf ihre Informationsreise aufmerksam gemacht. [3]

Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 unter dem Eindruck der dreifachen Kernschmelze im japanischen Akw-Komplex Fukushima Daiichi den Ausstieg aus dem zuvor von ihr rückgängig gemachten Ausstieg aus der Atomenergienutzung angekündigt hatte, hat die Anti-Atombewegung an Unterstützung eingebüßt. Auch wenn der Ausstieg auf die lange Bank geschoben wurde und nach wie vor die ungeklärte Endlagerfrage erhebliche Brisanz aufweist, sind mit dem Atomthema nicht mehr die Massen zu mobilisieren wie in vergangenen Jahrzehnten, als um Wyhl, Grohnde, Brokdorf und andere Atomenergiestandorte heftige Kämpfe entbrannten, an denen sich teils Zehntausende Menschen demonstrierend und auf andere Weise beteiligten.

Wenn durch solche Aktionen wie an diesem Wochenende daran erinnert wird, daß Deutschland keinen Atomausstieg praktiziert, indem es lediglich seine Akws abschaltet, dann rühren die Beteiligten auch an dem gesellschaftlichen Widerspruch zwischen dem Wunsch der Menschen nach einer preiswerten, ungefährlichen, sozial- und umweltverträglichen Energieversorgung auf der einen Seite und dem Profitinteresse der Energiekonzerne und Herrschaftsanspruch der Regierung auf der anderen. Eine relative autonome Energieversorgung über dezentrale Anlagen wäre machbar, wird aber von der Regierung und Großindustrie torpediert.

Ebensowenig werden von der Regierung die militärischen Optionen der Atomtechnologie mit der gebotenen Konsequenz aus der Welt geschafft. So gehören die in Büchel stationierten US-amerikanischen Atomwaffen zu denen, die von der US-Regierung für viele Milliarden Dollar modernisiert werden sollen. Nachdem sich vor einigen Jahren der frühere deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) noch (relativ wirkungslos) dafür eingesetzt hatte, daß in Deutschland keinerlei Atomwaffen stationiert werden sollten, ist es offiziell still um diese Frage geworden, jetzt, wo Deutschland wieder mehr Verantwortung übernehmen will und seine Soldaten an der Grenze zu Rußland stehen, ohne dafür einen Schuß abgegeben zu haben. Und im Oktober 2016 hat Deutschland bei einer Abstimmung der Vereinten Nationen gegen die Abschaffung von Atomwaffen votiert. [4]

Die Frage des Atomausstiegs betrifft sowohl die zivilen als auch die militärischen Aspekte. Die Aktionen gegen Urantransporte in Deutschland richten sich gegen beides.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/nach-donald-trump-sieg-deutschland-muss-aussenpolitik-aendern-14547858.html

[2] http://www.deutschlandfunk.de/eu-verteidigungspolitik-nach-der-us-wahl-wir-werden-mehr.694.de.html?dram:article_id=371737

[3] http://urantransport.de/aktionstage/aktionsfahrt/

[4] https://hpd.de/artikel/deutschland-stimmt-gegen-atomwaffenverbot-13710

19. Februar 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang