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GENTECHNIK/276: Resistenzbildung bei Insekten provoziert (SB)


Problematische Methode

Forscher wollen Resistenzbildung durch Massenaufgebot an Toxinen bekämpfen


Der Hunger in der Welt nimmt zu und wird nach Expertenmeinung auch in den nächsten Jahren nicht geringer werden. Die Millenniumsziele, die eine Halbierung der Zahl der Hungernden weltweit von 2000 bis 2015 vorsehen, werden mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit verfehlt. Es hat den Anschein, als sei der Nahrungsproduktion der Menschheit Grenzen gesetzt, auch wenn noch längst nicht alle Landflächen landwirtschaftliche genutzt werden, wie die FAO unlängst feststellte, und auch wenn die Biotechnologiebranche nach wie vor behauptet, daß ohne sie das Hungerproblem nicht gelöst wird - eine Aussage, die die Industrie wohlweislich nicht umkehrt, denn auch mit ihr wird das Hungerproblem nicht zu bewältigen sein. Das belegen die Produktionszahlen nach nunmehr fast zwei Jahrzehnten kommerzieller Grüner Gentechnologie, und das belegen ebenfalls die enormen Probleme, die sich aus dieser Art der Pflanzenproduktion ergeben.

Am Beispiel von gentechnisch veränderter Baumwolle berichteten das Wissenschaftsmagazin "Nature"[1] über die zunehmende Resistenzbildung von Schädlingen und was die Forscher sich als Gegenmaßnahmen ausgedacht haben. Anstatt eine Baumwollpflanze nur mit einem oder zwei Abwehr-Toxinen zu bestücken, sollen ganze "Pyramiden" an Insektiziden in die Baumwolle eingebracht werden. Dabei besteht die Hoffnung, daß typische Baumwollschädlinge wie die Rosarote Baumwollkapselraupe (Pectinophora gossypiella), die womöglich gegen ein Toxin, nicht jedoch gegen eine Gruppe von Toxinen resistent sein kann.

Der Pyramiden-Ansatz sei gegenwärtig Trend bei allen Unternehmen , sie alle kombinierten mehr als ein Gen (Toxin), um den Pflanzenschutz wirksamer zu machen und Resistenzen zu verzögern, erklärte Juan Ferré, Genetiker an der Universität von Valencia. Das Stichwort "Verzögerung" trifft die Sache schon recht genau, denn bereits heute ist bekannt, daß jene Baumwollraupe sowohl gegen das in der Grünen Gentechnik typischerweise verbreitete Gen Cry1Ac als auch das Gen Cry2Ab unempfindlich werden kann. Die beiden Toxine verfügen über verschiedene Aminosäureketten und binden an unterschiedliche Oberflächenmoleküle an. Sie werden natürlicherseits von dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis generiert.

Der Entomologe Bruce Tabashnik von der Universität von Arizona in Tucson erklärte im selben Bericht, daß die Raupen meist dadurch resistent gegen das Gift werden, daß sie die Andockmoleküle verändern. Die Idee bei der Pyramiden-Methode lautet nun: Wenn die Andockstelle für Cry1Ac verändert wird und nicht mehr wirkt, bleibt immer noch die Andockstelle für Cry2Ab. Die Spezifität des Toxin-Andockstellen-Komplexes verhindert Kreuzresistenzen.

Allerdings haben Tabashnik und seine Kollegen beobachtet, daß einige der Cry2Ab-resistenten Insekten ebenfalls gegenüber dem Toxin Cry1Ac unempfindlich waren. Das bedeutet, daß langfristig auch der Pyramiden-Ansatz keine Garantie liefern kann, daß es nicht eines Tages doch noch zur Entstehung von multiresistenten Insekten kommt, vergleichbar mit der Welt der Krankheitserreger, die bereits gegen eine ganze Phalanx an Antibiotika resistent sind.

Die Spitze der gentechnologischen Forschung läuft also auf einen Zeitgewinn hinaus, damit Pflanzenschädlinge keine hohen Ernteverluste - im obigen Beispiel kein Nahrungsmittel, sondern Baumwolle - bewirken. Allein das sollte zu denken geben. Dem noch nicht genug, haben die Pflanzengenetiker mit dem Pyramidenansatz einen äußerst problematischen Weg eingeschlagen. Sie machen anscheinend das genaue Gegenteil von dem, was in Krankenhäusern gepredigt wird: Nicht mit der vollen Antibiotika-Breitseite versuchen, Keime zu bekämpfen, sondern Schritt für Schritt vorgehen; nicht gleich das volle Programm auffahren und die stärksten Antibiotika einsetzen, wenn weniger starke genügen. Denn eines steht fest, und das gilt auch für Insekten, die gegen Toxine in Schädlingsbekämpfungsmitteln resistent werden: Je häufiger und verbreiteter Insektizide - das Äquivalent in der Medizin wären Antibiotika - eingesetzt werden, desto höher die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung.

Man könnte auch sagen, daß die Pflanzengentechniker alle Mittel auf einmal einsetzen und hoffen, daß es eine Zeitlang gut geht. Vielleicht trifft das zu - aber sollte man bei einem so lebenswichtigen Thema wie die Nahrungsversorgung der Menschheit auf solche vagen Aussichten setzen?


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Anmerkungen:

[1] "Pests could overcome GM cotton toxins. Caterpillars reveal a chink in the armour of transgenic crops", Nature, 6. Juli 2009, doi:10.1038/news.2009.629br> http://www.nature.com/news/2009/090706/full/news.2009.629.html

9. Juli 2009