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GENTECHNIK/280: Food Strategy 2030 - Genfood für die Briten (SB)


Britische Regierung kündigt Nahrungsmangel an

Gentechnologie als eine von mehreren Lösungsansätzen propagiert


Bis heute dürfen die Briten beim Widerstand gegen die Grüne Gentechnik eine weltweite Führungsrolle beanspruchen. Die gesellschaftlich breite Ablehnung der Hybridisierung von Pflanzen mittels mikrobiologischer Verfahren über Art- und Gattungsgrenzen hinweg nahm in den 1990er Jahren in Großbritannien ihren Anfang. Damals hatte der Agrokonzern Monsanto, beinahe ein Monopolist auf dem Gebiet der pflanzengenetischen Züchtung, versucht, mittels einer über Aktien- und Firmenbeteiligung eng mit der Biotechbranche verbandelten britischen Regierung einen Brückenkopf in den lukrativen Absatzmarkt der Europäischen Union zu schlagen. Der Versuch wurde zunächst abgewehrt, nicht zuletzt weil entsprechende Dokumente, die Monsantos Strategie belegten , von Gentechnikgegnern ans Tageslicht gebracht. Der Widerstand in Großbritannien stärkte die Anti-Gentechnikbewegung in anderen europäischen Ländern und umgekehrt, woraufhin die nationalen Regierungen, aber auch die Europäische Union als transnationale Administration, zu reagieren gezwungen waren. Die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Anteile in Lebensmitteln, die Erklärung zahlreicher europäischer Regionen, sie seien "gentechnikfrei", der Widerstand einer Reihe von Umweltministern im EU-Ministerrat gegen Bestrebungen der gentechnikfreundlichen EU-Kommission und die relativ zögerlich Zulassung von gentechnisch veränderter Pflanzen sind Ausdruck dessen, wie zäh der Vormarsch der Biotechbranche in der Europäischen Union vonstatten geht. Aber er geht voran. Schritt für Schritt. Ein Freilandversuch hier, eine Zulassung von Gentech-Mais da sowie geschmeidige personelle Wechsel zwischen Aufsichtsbehörden und Wirtschaft unterlaufen bzw. übergehen permanent den Umfragen zufolge mehrheitlichen Widerstand der Bevölkerung gegen GMO (gentechnisch modifizierte Organismen) auf ihrem Teller.

Nun trägt ausgerechnet die britische Regierung mit ihrer neuen "Food Strategy 2030" - die erste seit fünfzig Jahren - dazu bei, daß die Gentechnik doch noch auf den Tellern der Briten landen könnte. [1] Die Regierung vermittelt in der Strategie den Eindruck, daß auf die Bevölkerung ein Zeit des Mangels zukommt und nicht mehr alle gewohnten Lebensmittel in der verfügbaren Quantität und Qualität zur Verfügung stehen. Schon im Vorwort des Berichts stellt der britische Premierminister Gordon Brown mit düsterem Unterton fest:

"Gute, sichere Nahrung auf unseren Tellern wird von den meisten Menschen als selbstverständlich angenommen - und so sollte es auch sein. In den letzten Jahrzehnten fand eine Wandlung in der Auswahl, Qualität, Sicherheit und Verfügbarkeit von Nahrung, die wir tagaus, tagein zu uns nehmen, statt. Doch heute stehen wir vor großen Herausforderungen, was bedeutet, daß wir anders über Nahrung nachdenken müssen. Wir können so nicht mehr weitermachen. Wir müssen mehr Nahrung produzieren, ohne die natürlichen Ressourcen - Luft, Boden, Wasser und marine Ressourcen, Biodiversität und Klima - zu zerstören, von den wir alle abhängig sind." [1]

Wer die jahrelange Kontroverse um die Grüne Gentechnik mitverfolgt hat, wird sich bei solchen Formulierungen an die Argumente der Biotechindustrie erinnert fühlen. Deren Vertreter behaupten unermüdlich, daß der globale Nahrungsmangel nur mit Hilfe der Gentechnik erfolgreich bekämpft werden kann. Schlimmer noch, mitunter werden die Gentechnikgegner sogar für die vielen Mangelernährten und Hungertoten in der Welt verantwortlich gemacht. Indem nun die britische Regierung ein düsteres Zukunftsszenario entwirft und versteckt, aber unmißverständlich der Bevölkerung droht, daß zukünftig auch für sie nicht mehr genügend Nahrung zur Verfügung steht, spielt sie nicht nur der Biotechindustrie in die Hände, sondern bringt sich selbst als Sachwalter, der die Lösung des Dilemmas kennt, in Position.

Dabei hat die Regierung aus der Vergangenheit gelernt. Um den Gentechnikgegnern so wenig Angriffsfläche wie möglich zu liefern, wird die Bezeichnung "Gentechnik" zwar nicht völlig unerwähnt gelassen, doch taucht sie nur sehr selten und scheinbar marginal auf. Da gruppiert sich die Food Strategy um sechs "Prioritäten", und nur unter dem sechsten und letzten Punkt, "Vermehrung des Einflusses von Fertigkeiten, Wissen, Forschung und Technologie", wird eine Förderung der gentechnischen Verfahren vorgeschlagen.

Was aber bedeutet das? Ein "bißchen" Gentechnik, abgegrenzt auf wenigen Feldern? Nein, es bedeutet, daß die britische Regierung in den nächsten zwanzig Jahren auch die Grüne Gentechnik fördern will. Das soll zunächst nicht der Schwerpunkt der Ernährungsstrategie sein, aber wenn sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der Umwelt ausbreiten oder es kaum noch gentechnikfreie Lebensmittel in den Regalen gibt, dann haben die Gegner dieser umstrittenen Nahrungserzeugung aus heutiger Sicht ihren Kampf verloren. Da spielt es keine Rolle, daß die britische Regierung außerdem die Menschen auffordert, sich gesund und nachhaltig zu ernähren (Punkt 1), daß sie ein belastbares, profitables und konkurrenzfähiges Nahrungssystem aufbauen (Punkt 2), die Nachhaltigkeit der Nahrungsproduktion stärken (Punkt 3), die Treibhausgasemission des Nahrungssystems verringern (Punkt 4) und Lebensmittelabfälle reduzieren, wiederverwerten und aufbereiten (Punkt 5) will. Jedem dieser Punkte wird sich die Regierung hundertprozentig widmen, und somit auch der Grünen Gentechnik.

Weil das auf reichlich Widerstand treffen dürfte, werden in bewährter orwellscher Manier Aussagen getroffen, die verschleiern sollen oder sogar das Gegenteil von dem bedeuten, was vordergründig mit ihnen gesagt wird. So heißt es auf Seite 61 der Ernährungsstrategie, daß GM (Grüne Gentechnik) ebenso wie die Nanotechnologie "kein technologisches Allheilmittel" ist, um die verschiedenen und komplexen Anforderungen der Ernährungssicherheit zu erfüllen, "aber sie hat einiges Potential, um sich zukünftigen Herausforderungen zu stellen".

Und weiter: "Sicherheit muß unsere höchste Priorität bleiben, und die Regierung wird sich bei der Bewertung der Sicherheit der Gentechnologie weiterhin von der Wissenschaft leiten lassen." Damit wird unterstellt, daß sich die Regierung in der Vergangenheit von Wissenschaft hat leiten lassen. Das mag zutreffen, aber von welcher? Etwa von jener Wissenschaft, wie sie Lord David Sainsbury, ehemaliger Wissenschaftsminister, Sproß eine großen Supermarktkette und mit einem Vermögen von 4,7 Mrd. Euro drittreichster Brite (2002) vertreten hat, als er Mitglied der New Labour-Regierung war und sich für die Gentechnik aussprach? [2] Oder von jener Wissenschaft, wie sie die angeblich unabhängige EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bei der Risikobewertung von GMO vertritt? Die Umweltorganisation Friends of the Earth hat der EFSA eine zu große Nähe zur Industrie vorgeworfen und unter anderem darauf aufmerksam gemacht, daß dies auch für die deutschen Gremiumsmitglieder Dr. Detlef Bartsch und Dr. Hans-Jörg Buhk gelte. [3] Manche EFSA-Mitglieder wechseln offenbar nach ihrem Behördeneinstand auch wieder in die Industrie. [4]

Die britische Food Standards Agency erarbeite ein Programm der Verbraucherbeteiligung, heißt es weiter in der Food Strategy 2030. Es sehe vor, daß die Verbraucher die Gelegenheit erhalten, "ihr Verständnis von GM", der Vorzüge und der Bedenken hinsichtlich dieser Technologie, "zu diskutieren". Wie könnte eine solche Verbraucherbeteiligung aussehen? Vielleicht so ähnlich wie der runde Tisch der Bundesregierung, an dem auch einmal vermeintliche Gentechnikgegner Platz nehmen (und Pfötchen geben) dürfen? Oder wird die Diskussion auf die Einrichtung eines Meckerkastens hinauslaufen, in den jeder seine Beschwerden schriftlich einwerfen darf und der eine feste Verbindung geradewegs zum Mülleimer hat? Mit den Konsumenten zu diskutieren heißt genau nicht, sie an der Entscheidungsfindung beteiligen zu wollen.

Der behutsame, aber entschlossene Schwenk der britischen Regierung in Richtung Grüne Gentechnik wird auch an jüngsten Aussagen des führenden wissenschaftlichen Regierungsberaters, Prof. John Beddington, erkennbar. Es bedürfe einer "neuen und grünen Revolution", um in einer vom Klimawandel betroffenen Welt des Jahres 2040, mit drei Milliarden zusätzlichen Bewohnern, die Nahrungsproduktion zu erhöhen, zitierte die Zeitung "The Guardian" [5], der ein Redemanuskript Beddingtons für die bevorstehende Oxford Farming Conference vorlag, den Forscher. Dieser erwähnte ausdrücklich die Nanotechnologie und die Gentechnologie als Forschungsdisziplinen, die gefördert werden sollten.

Das ist der vorläufige Schlußpunkt einer seit rund sechs Monaten laufenden Propagandakampagne der britischen Regierung, um die Bevölkerung zur Akzeptanz der Gentechnologie zu verleiten. Da werden befürwortende "Verbrauchermeinungen" verbreitet, da wartete das Ministerium für Umwelt, Ernährung und ländliche Angelegenheiten (Defra - Department for the Environment, Food and Rural Affairs) mit dem Argument auf, die Verbreitung der Gentechnologie sei eine moralische Pflicht, um die Welt zu ernähren. Und das Kabinettbüro schrieb bereits im Sommer 2008, daß "erhebliche Kostenimplikationen" von Rückrufaktionen zu bedenken seien, wenn ungenehmigte Pflanzenvarianten in der Lebensmittelkette gefunden würden.

Mit der Food Strategy 2030 grenzt sich die britische Regierung deutlich gegen die wissenschaftliche Expertise des im vergangenen Jahr auch auf Deutsch erschienenen Weltagrarberichts (IAASTD - International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development) ab. [6] Darin kommen mehr als 400 internationale Wissenschaftler - übrigens ausgerechnet unter Führung des Chefwissenschaftlers der Defra, Prof. Robert Watson - zu der Einschätzung, daß die Grüne Gentechnik ebensowenig wie eine zweite Grüne Revolution in der industriellen Landwirtschaft das Potential hat, den Hunger in der Welt erfolgreich zu bekämpfen. Statt dessen sollte die Subsistenzwirtschaft und das Kleinbauerntum gefördert werden. Damit könne voraussichtlich viel mehr erreicht werden als durch neue gentechnische Zuchtergebnisse.

Mit dieser unbequemen Einschätzung, die gar nicht nach dem Geschmack der über ihre Lizenzen starken Einfluß auf die Lebensmittelproduktion und -verteilung ausübenden Biotechindustrie war, haben die Autorinnen und Autoren des Weltagrarbericht, der von den USA, Kanada und Australien nur unter Vorbehalt zugestimmt wurde, reichlich Kritik eingesteckt. Übrigens wurde der Bericht von Deutschland gar nicht erst unterzeichnet.

Die Ziele der "Food Strategy 2030" passen zu der Verschmähung des Weltagrarberichts durch offizielle Stellen auch auf der Klimakonferenz von Kopenhagen und kurz zuvor auf dem Welternährungsgipfel in Rom. Die Regierungen von Großbritannien und anderen westlichen Staaten beabsichtigen, die Lebensmittelindustrie zu stärken, und ignorieren dabei völlig, daß der großmaßstäbliche landwirtschaftliche Anbau in den Ländern des Südens und die daran gebundene Exportorientierung (bei gleichzeitiger Diffamierung und Liquidierung der Subsistenzwirtschaft) ein wesentlicher Faktor der Verarmung und Hungerentwicklung war und ganz sicher nicht Teil der Lösung sein wird.

Darüber hinaus löst die in der Food Strategy 2030 vorgenommene Verknüpfung von Hunger in den Entwicklungsländern und Unsicherheit der Ernährung auch in einem relativ reichen Land wie Großbritannien den beklemmenden Eindruck aus, daß hier - ganz im Sinne des Gleichheitsanspruchs im Zeitalter der Globalisierung - eine Angleichung der Lebensverhältnisse auf dem Niveau der Existenznot stattfinden soll. Dazu würde passen, daß die Briten laut Punkt 5 der neuen Ernährungsstrategie darauf eingestimmt werden, demnächst mehr Lebensmittelabfälle zu essen ...


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Anmerkungen:

[1] http://www.defra.gov.uk/foodfarm/food/pdf/food2030strategy.pdf
Übersetzung: Schattenblick

[2] http://www.manager-magazin.de/koepfe/artikel/0,2828,198440,00.html

[3] "THROWING CAUTION TO THE WIND. A review of the European Food Safety Authority and its work on genetically modified foods and crops", Friends of the Earth Europe, November 2004
http://www.foeeurope.org/GMOs/publications/EFSAreport.pdf

[4] "Führende Mitarbeiterin der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA wechselt zur Industrie. Leiterin der Abteilung Gentechnik geht zu Syngenta". Internetzugriff am 7. Januar 2010
http://www.testbiotech.org/node/261


Die Rede ist von Suzy Renckens, wissenschaftliche Leiterin der EFSA-Abteilung Gentechnik, die 2008 offiziell für den Biotechkonzern Syngenta sprach.

[5] "Britain must launch GM food revolution, says chief scientist", The Guardian, 6. Januar 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/jan/06/gm-food-revolution-government-scientist

[6] "Weltagrarbericht. Synthesebericht", hrsg. von Stephan Albrecht und Albert Engel, Hamburg University Press, Hamburg 2009
http://hup.sub.uni-hamburg.de/opus/volltexte/2009/94/pdf/HamburgUP_IAASTD_Synthesebericht.pdf

7. Januar 2010