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GENTECHNIK/314: Lebensmittelcodes - strategische Versteckspiele ... (SB)



In den USA schreitet die Erosion der Umwelt- und Verbraucherschutzgesetzgebung unermüdlich voran. Im Dezember 2018 hat die US-Regierung eine neue Kennzeichnung für gentechnisch veränderte Produkte beschlossen. Statt "genetically-modified" (GE abgekürzt) heißt es auf dem Siegel nun "bioengineered" (BE), z. Dt. "biotechnologisch erzeugt". Das kann bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern leicht zu Verwechslungen führen. Außerdem haben die Hersteller vier Optionen zur Auswahl, wie sie die Produkte künftig kennzeichnen dürfen. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit, QR-Codes zu verwenden. Jene schwarz-weiß gemusterten Felder, die auch hierzulande auf vielen Lebensmittelverpackungen aufgedruckt sind, müssen mit einer Smartphone-App oder einem Spezialgerät ausgelesen werden. Wer kein Smartphone besitzt oder nicht das notwendige Lesegerät zur Verfügung hat, wird also im Zweifelsfall nicht ermitteln können, ob er ein gentechnisch verändertes Lebensmittel vor sich hat oder nicht.

Diese Verschleierungsmaßnahme der US-Regierung dürfte damit zu tun haben, daß in den letzten Jahren in der US-Bevölkerung die Vorbehalte gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln gewachsen sind und die Menschen beim Einkauf allmählich darauf achten, keine GM-Produkte zu erwerben. Das ist allerdings alles andere als einfach, denn in den USA enthält nahezu jedes Lebensmittel im Supermarkt GMO, also gentechnisch manipulierte Organismen.

Zum Hintergrund: Nachdem 2014 einige US-Bundesstaaten eine Kennzeichnungspflicht für GMO eingeführt hatten und dadurch ein Flickenteppich von unterschiedlichen Gentechnikgesetzen innerhalb der Vereinigten Staaten entstanden war, beauftragte der Kongreß im Juli 2016 das Landwirtschaftsministerium USDA, bundesweit einheitliche Bestimmungen auszuarbeiten. Diese wurden im Sommer 2018 vorgelegt und im Dezember vom US-Kongreß abgesegnet [1]. Ab dem 1. Januar 2020 treten die Bestimmungen in Kraft, außer für kleinere Lebensmittelproduzenten, die bis zum 1. Januar 2021 Zeit haben, sich darauf einzustellen. Ein weiteres Jahr darauf ist die Kennzeichnung für alle Produzenten von GM-Lebensmitteln verpflichtend.

Nach dem sogenannten National Bioengineered Food Disclosure Standard haben die Hersteller die Wahl zwischen vier Möglichkeiten, wie sie zukünftig ein BE-Produkt kennzeichnen wollen: Durch ein Symbol oder eine Beschriftung auf der Verpackung, die Angabe einer Internetadresse, wo weitere Informationen nachgelesen werden können, oder den erwähnten QR-Code. Die Verbraucherschutzorganisation Center for Food Safety (CFS) geht davon aus, daß 100 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger aufgrund schlechter Breitbandverbindungen oder einfach, weil sie kein Smartphone besitzen, von den Informationen, die per QR-Code abgerufen werden, ausgeschlossen sind. CFS-Direktor Andrew Kimbrell sagt dazu: "Die eigene Studie von USDA ergab, dass QR-Codes jenes Drittel der Amerikaner inhärent diskriminieren, das kein Smartphone besitzt oder keinen Zugang zum Internet hat. Das sind vor allem auf dem Land lebende, einkommenschwache und ältere Menschen." [2]

Hinzu kommt, daß einige Produkte, die mittels gentechnischer Verfahren hergestellt wurden, von vornherein ausgenommen sind und nicht gekennzeichnet werden müssen. Das betrifft hochverarbeitete Zutaten wie Zucker, Öl und Stärke, viele Erzeugnisse, die mittels neuer Verfahren wie CRISPR und TALEN hergestellt wurden, zahlreiche Fleisch- und Milchprodukte sowie Tierfutter. Nach Einschätzung der Environmental Working Group (EWG) müssen in Zukunft 10.000 bzw. rund ein Sechstel der GMO-Produkte nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Darüber hinaus darf laut EWG ein Produkt bis zu fünf Prozent unbeabsichtigte gentechnisch veränderte Anteile enthalten, ohne daß es gekennzeichnet werden muß. Zum Vergleich: In der Europäischen Union liegt die Grenze bei 0,9 Prozent [3].

Die neuen Bestimmungen werden nicht nur von Nichtregierungsorganisationen wie Food & Water Watch und Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) kritisiert [4], sondern auch von großen Lebensmittelkonzernen wie Danone, Mars, Nestlé und Unilever. Diese haben sich zur Sustainable Food Policy Alliance (SFPA) zusammengeschlossen und stellen sich in einer Presseerklärung auf die Seite der Verbraucherinnen und Verbraucher: "Die Sustainable Food Policy Alliance wird die Bestimmungen noch weiter prüfen. Jedoch bleiben wir besorgt darüber, daß die Standards hinter den Erwartungen der Verbraucher und den Praktiken führender Lebensmittelunternehmen zurückbleiben." [5]

Besonders hinsichtlich Bestimmungen zu den hochverarbeiteten Inhaltsstoffen ist der Konzernzusammenschluß skeptisch und ermuntert seine Mitgliedsunternehmen, "starke, proaktive Schritte zu gehen, um die Erwartungen der Verbraucher an Transparenz zu erfüllen". Andere Unternehmen der Branche sollen ermutigt werden, das gleiche zu tun.

In der Praxis wird es darauf hinauslaufen, daß ab 2022 lediglich ein grobgerasteter Flickenteppich durch einen feingerasterten abgelöst wird. Zum Beispiel kann dann eine Flasche mit Öl aus gentechnisch veränderter Soja auf vier verschiedene Weisen oder unter Umständen gar nicht gekennzeichnet sein. Und dank dem Label "bioengineered" unterscheidet sich diese Sojaölflasche womöglich nicht besonders deutlich von einer aus "biological", also biologischem Anbau.

Wundert es angesichts solcher Verschleierung des umstrittenen Gentechnikanbaus noch, daß der amerikanische Bauernverband American Farm Bureau Federation, der über sechs Millionen Mitglieder hat und gegen die Kennzeichnungspflicht war, die neuen Bestimmungen begrüßt? Dessen Präsident, Zippy Duvall, lobte Landwirtschaftsminister Sonny Perdue und seinen Staatssekretär Greg Ibach für ihre Arbeit und kommentierte das Gesetz mit den Worten: "Es schafft Klarheit auf dem Markt, damit die Verbraucher fundierte Entscheidungen über die für sie wichtigen Themen treffen können, und schützt die Innovation, die für die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft entscheidend ist." [6]

Die US-Regierung ist freundlich gegenüber der Agrarindustrie, was sich naturgemäß gegen das Interesse der Menschen richtet, die - eigentlich selbstverständlich - keine agrarindustriellen, potentiell gesundheitsschädigenden Lebensmittel essen wollen. Bei dem neuen US-Gesetz könnte man jedenfalls besser von einer Unkenntlichmachung der GM-Produkte denn ihrer Kennzeichnung sprechen.


Fußnoten:

[1] https://www.usda.gov/media/press-releases/2018/12/20/establishing-national-bioengineered-food-disclosure-standard

[2] https://www.centerforfoodsafety.org/press-releases/5487/long-awaited-final-regulations-for-gmo-food-labeling-leave-millions-of-americans-in-the-dark

[3] https://www.ewg.org/agmag/2018/06/ewg-analysis-loophole-could-exempt-10000-gmo-foods-disclosure-law

[4] https://www.iatp.org/documents/usdas-gmo-disclosure-rule-designed-cover-up

[5] https://foodpolicyalliance.org/news/national-bioengineered-food-disclosure-standard/

[6] https://www.fb.org/newsroom/farm-bureau-statement-on-usda-bioengineered-food-disclosure-standard

4. Januar 2019


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