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GENTECHNIK/317: Gengestützt - Mückenbekämpfungstests fragwürdig ... (SB)


Blick von einem Hügel auf die Stadt und ihr Umland - Foto: Ari Rios, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/] via Wikimedia Commons

Die Stadt Jacobina ist in alle Richtungen von mehreren Kilometern der "caatinga" umgeben, eines ökologisch trockenen Gebietes, in dem Mücken keine natürlichen Brutstätten haben.
Foto: Ari Rios, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/] via Wikimedia Commons

Der Plan klang zunächst bestechend einfach: Im Kampf gegen von Mücken übertragene Infektionskrankheiten wie Dengue, Zika und Chikungunya hat die Firma Oxitec in der Stadt Jacobina im ostbrasilianischen Bundesstaat Bahia viele Millionen gentechnisch veränderte, unfruchtbare männliche Vertreter der ägyptischen Tigermücke (Aedes aegypti) freigesetzt. Sie sollten sich mit den örtlichen Weibchen paaren, worauf die gemeinsamen Nachkommen dann bereits im Larvenstadium absterben würden, weil - genetisch "einprogrammiert" - zu ihrer Ausreifung das Antibiotikum Tetracycline erforderlich wäre.

Doch es kam anders. Einige Nachkommen haben überlebt und ihr verändertes Erbgut an die nächste Generation weitergeben. Darüber hinaus wiesen Mücken außerhalb des Testgebiets ebenfalls gentechnische Merkmale auf, die von den ausgesetzten Mücken stammten, berichtete eine unabhängige US-amerikanisch-brasilianische Forschergruppe im peer-reviewten Journal "Scientific Reports" (10. September 2019). [1]

Bei dem Versuch waren zwischen 2013 und 2015 über 27 Wochen hinweg wöchentlich jeweils rund 450.000 Gentech-Mücken - mutmaßlich steril und männlich - freigesetzt worden. Auch wenn es Oxitec nach eigenen Angaben zeitweilig gelungen war, dank der Freisetzung ihrer Mücken mit der Bezeichnung OX513A die Zahl der natürlichen Mückenpopulation in den Testgebieten zwischen 80 und 95 Prozent zu reduzieren, war dem Versuch nur ein kurzfristiger Erfolg beschieden. 18 Monate nach Ende des Tests hatte sich die ursprüngliche Populationsdichte unter Ae. aegypti wieder eingestellt.

In den Stichproben, die von einer Forschergruppe der Universität Yale in Newhaven, US-Bundesstaat Connecticut, und Kolleginnen und Kollegen der Universität von Sao Paulo in Brasilien nach sechs, zwölf und 27 bis 30 Monaten genommen worden waren, enthielten 10 bis 60 Prozent der Mücken Erbgut der Gentech-Mücken. Damit stand fest, daß nicht nur einige Nachkommen überlebt, sondern daß diese ihrerseits Nachkommen gezeugt haben.

Den Oxitec-Forschern war zwar aufgrund ihrer Laborversuche vorher klar gewesen, daß ein Teil der Nachkommen überleben würde - die Rede ist von drei bis fünf Prozent, die durchkommen -, doch von bis zu 60 Prozent genveränderten Mücken in der Nachfolgegeneration war bisher nicht die Rede gewesen. Im Labor hatten sich die Nachkommen als schwach, flügellos und kaum lebensfähig gezeigt. Daß sie dennoch ihre Gene weitergeben konnten, unterstützt die Erklärung, mit der der Fachartikel endet: "Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig ein genetisches Überwachungsprogramm während der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen ist, um unerwartete Folgen festzustellen."

Gut eine Woche nach Veröffentlichung der Ergebnisse hat Oxitec mit einer Gegendarstellung reagiert und darin die Wissenschaftlichkeit der Untersuchung in Frage gestellt. Der Artikel sei "irreführend und spekulativ". Auch jene Mücken, die überlebt haben, würden sterben, und die gentechnischen Veränderungen langsam, aber sicher aus der Umwelt verschwinden, lautet eines der (Gegen-)Argumente. [2]

Um seinen Standpunkt zu untermauern, hat das Unternehmen, das eine Ausgründung der Oxford University und seit 2015 Tochterunternehmen von Intrexon Corporation ist, eine Beschwerde bei Nature Research, dem Herausgeber des Journals "Scientific Reports" eingereicht. Als Antwort darauf wurde der Artikel eine Woche später mit dem Vermerk versehen, seine Schlußfolgerungen seien kritisiert worden, was nun seitens des Herausgebers geprüft werde.


Großaufnahme der hell gestreiften Mücke - Foto: USDA

Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti) beim Blutsaugen
Foto: USDA

Vor rund zehn Jahren hatte Oxitec angefangen, seine Gentech-Mücken im Freiland zu testen. Bisher war es auf den Kaymaninseln (ab 2009), Malaysia (2010), Juazeiro, Brasilien (2011/12), Panama (2014) und erneut zweimal in Brasilien (2013-15, 2018-19) tätig. Bei der US-Umweltschutzbehörde (EPA) wurde ein erster Freilandversuch in Florida mit Moskitos der zweiten Generation beantragt. Es steht somit viel Geld auf dem Spiel, da muß der in einem angesehenen Wissenschaftsjournal publizierte Artikel in der Fachwelt wie eine Bombe eingeschlagen haben. Es hätte ein schwerer Schlag gegen die gesamte Forschung an gentechnisch veränderten Mücken sein können, wäre nicht zügig das Räderwerk der Gegenregulation in Gang gesetzt worden.

Powell, der nicht als Erstautor der Studie genannt, aber am heftigsten in der Öffentlichkeit kritisiert wird, weil er zwar verständliche, aber möglicherweise über den Rahmen des Untersuchungsauftrags hinausgehende Überlegungen angedeutet hat, hatte die Freisetzungsversuche vor, während und nach der Mückenausbringung begleitet. Darin seien sie von Oxitec unterstützt worden, berichtete er. Er stimmt mit dem Unternehmen darin überein, daß nicht belegt ist, daß die Mückenhybriden eine größere Gefahr für Menschen darstellen als die Wildformen, oder daß die Strategie Oxitecs nicht aufgegangen ist. Entscheidend sei aber, so Powell, daß etwas "Unvorhergesehenes" passiert ist: "Die Jacobina Ae. aegypti stellen nun eine Mischung aus drei Populationen dar. Es ist unklar, wie das die Übertragung von Krankheiten oder andere Bemühungen zur Kontrolle dieser gefährlichen Vektoren berührt."

Nun hat Oxitec ein Feuerwerk von Kritikpunkten gegen die Studie entfacht. Das Unternehmen bezieht sich insbesondere auf die Schlußfolgerungen des Berichts, in dem es heißt:

"Der freigesetzte Stamm, OX513A, wurde von einem Laborstamm abgeleitet, der ursprünglich aus Kuba kam und dann mit einer mexikanischen Population gekreuzt wurde. Die drei Populationen, die jetzt die Tri-Hybrid-Population in Jacobina (Kuba/Mexiko/Brasilien) bilden, sind genetisch sehr unterschiedlich, was aufgrund der Hybridkraft sehr wahrscheinlich zu einer robusteren Population als die Population vor der Freisetzung führt."

An anderer Stelle wurde gemutmaßt, daß die Oxitec-Mücken und ihre Nachkommen womöglich Krankheiten leichter übertragen oder besser gegenüber Insektiziden geschützt sind. Diese spekulative Überlegung ist prinzipiell betrachtet deshalb zulässig, weil die Hybridmücken über eine breitere genetische Basis verfügen als die Wildform. Davon ist definitiv eine höhere Anpassungsfähigkeit zu erwarten.

Die beiden in die Naturform eingebrachten Oxitec-Gene - zum einen das sich selbst begrenzende Gen, das die Nachkommen absterben läßt, zum anderen ein fluoreszierendes Markergen, mit dem die gentechnisch veränderten Mücken identifizierbar werden - seien bald nach Abschluß des Freisetzungsversuchs erwartungsgemäß verschwunden, berichtet das Unternehmen, das damit die Harmlosigkeit der Tests betonen will. Und wenn bereits in dessen Überschrift von "Gentransfer" die Rede sei, so kritisiert es den Bericht weiter, dann führe das in die Irre. Lediglich Gene aus der Hybridisierung von mexikanischen und kubanischen Mücken, dem "genetischen Hintergrund", seien nachgewiesen worden. Diese "natürlichen Gene" der wenigen überlebenden OX513A-Mücken nähmen mit der Zeit ab.

Zwar trifft es zu, daß in der nächsten Generation (F1-Generation) keines der beiden künstlich eingebrachten Gene nachgewiesen wurde, aber das Argument läßt sich genausogut umkehren und gegen Oxitec in Stellung bringen: Das Unternehmen hat nicht gezeigt, daß die Nachkommen frei von seinen transgenen Gen-Konstrukten sind. Darauf machte Christoph Then von der in München ansässigen Organisation Testbiotech aufmerksam. Er hält dies für ein "Versagen der Sorgfaltspflicht des Unternehmens". Ihm zufolge ist es sehr wahrscheinlich, daß sich mit der Ausbreitung der Mücken, die für die gentechnischen Versuche verwendet wurden, auch die Genkonstrukte ausgebreitet haben. "Solange es keine Daten gibt, die das widerlegen, muss diese Annahme als die wahrscheinlichste angesehen werden." [3]

Powell ist kein Gentechnikkritiker, sondern verweist im wesentlichen darauf, daß die Laborversuche eben nicht ergeben haben, daß die wenigen überlebenden Mücken ihrerseits Nachkommen zeugen können: "Die Leute sagen immer, ich sei gegen genetisch veränderte Organismen. Das bin ich nicht. Ich denke, gentechnisch veränderte Mücken sind ein sehr mächtiges Werkzeug, um diese schweren Krankheiten einzudämmen. Und ich will nicht ausschließen, dass solche Programme sicher funktionieren können. Aber es gibt noch zu viele Unbekannte. Der Oxitec-Ansatz ist noch ziemlich einfach im Vergleich etwa zu Gene Drive Versuchen, und sogar da ist etwas Unerwartetes geschehen." [4]

Mit Gentech-Mücken der zweiten Generation will Oxitec die Erfolgsquote auf bis zu 96 Prozent steigern. Diese Mücken würden dann das sich selbst begrenzende Gen nur an die weiblichen Nachkommen weitergeben. Das heißt, die sterilen Männchen werden überleben und weitere weibliche Mücken mit dem tödlichen Gen infizieren. Da stellen sich Fragen wie, ob das die Risiken eines unerwünschten Gentransfers nicht sogar noch erhöht und ob das in Zukunft ausgiebig überprüft wird, nachdem jetzt feststeht, daß sich die Versuche nicht so genau eingrenzen lassen, wie die Bevölkerung in den Testgebieten glauben gemacht wurde.

Die Kontroverse um das im vergangenen Monat veröffentlichte Paper (und weniger um die offenbar erstmals nachgewiesene Vermehrungsfähigkeit der F1-Generation in der Natur) geht weiter. Inzwischen haben sich sechs Koautorinnen und -autoren von der Studie distanziert und die Forderung erhoben, sie zurückzuziehen. Angeblich waren wesentliche Inhalte erst kurz vor Drucklegung aus dem Paper gekürzt bzw. eingefügt worden. Am Himmel von Bahia flögen keine Gentech-Mücken, und die Bevölkerung sei auch nicht durch Superinsekten, die gegen Insektizide unempfindlich sind und tödliche Krankheiten übertragen, bedroht, heißt es. [5]

So etwas hatte Powell, wenn er überhaupt alleinverantwortlich für die Endfassung des Papers ist, an keiner Stelle behauptet. Die drastische Übertreibung seitens der um Rückzug bemühten Autorinnen und Autoren läßt Fragen hinsichtlich ihrer eigenen Interessen aufkommen. Kann ausgeschlossen werden, daß ihr Anliegen nicht allein in dem Wunsch nach wissenschaftlicher Qualität gründet, sondern darin, beispielsweise weiter Aufträge für Oxitec erledigen zu dürfen?

Unterliegen nicht Co-Autorin Margareth Capurro, Biochemikerin an der Universität von São Paulo, die sich öffentlich sehr kritisch gegenüber der Studie geäußert hat, und die anderen, die gleichfalls auf Abstand zu ihrem eigenen Paper gegangen sind, einem Interessenkonflikt, wenn sie mittlerweile exakt den Kurs Oxitecs einschlagen, in dessen Auftrag sie das Monitoring betrieben haben? Anders gefragt: Stünden sie fest zu der Studie, könnten sie dann noch weitere Aufträge von Oxitec oder anderen Unternehmen der Branche erwarten? Wohl kaum. Laut der industriefreundlichen Internetseite Question of Science plant Capurro gemeinsam mit weiteren Beteiligten, jedoch ohne Powell, die Studienergebnisse "mit angemessenen Schlußfolgerungen" demnächst in einem anderen Journal zu veröffentlichen. [6]

Ein Ausblick: Bei dem umstrittenen Versuch kam nicht die besonders umstrittene Gene-Drive-Methode zum Einsatz, bei dem dominante und somit besonders durchsetzungsfähige Gene weitergegeben werden. Solche Versuche werden zur Zeit nur im Labor durchgeführt und zielen am Ende darauf ab, beispielsweise ganze Wildpopulationen von Mücken auszulöschen. Ein nahezu unumkehrbarer Eingriff, wie es allerdings im Ansatz auch für die hier beschriebenen Versuche gilt.

Dabei sind bisher die ökologischen Folgen der Herausnahme einer Art aus einem Habitat noch gar nicht angesprochen. Es gibt Hinweise darauf, daß andere Mückenarten in die von den genetischen Experimenten gerissenen ökologischen Lücken vorstoßen. Auch müßten die Folgen des Verschwindens der Mücken in einer Region auf die Nahrungskette erforscht werden. Kommt es dadurch zum Verlust beispielsweise von Räubern? Und welche Konsequenzen hätte das wiederum für die Menschen?

Jährlich stirbt rund eine Million Menschen an von Mücken übertragenen Infektionskrankheiten. Das Ausmaß dieser Not erzeugt einen großen moralischen Druck, gentechnische Forschungen wie die hier vorgestellte zu betreiben. Zumal eine übliche Alternative, der Einsatz von Insektiziden gegen die Mücken, von begrenzter Wirksamkeit und gesundheitlich bedenklich ist.

Fortschritt bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, alles zuzulassen, nur weil es machbar ist oder Profit abwirft. Fortschritt könnte auch so verstanden werden, die Lebensverhältnisse der Menschen im allgemeinen zu verbessern, so daß ihr Lebensraum deutlicher von dem der Mücken getrennt wird. Ärmere Menschen sind relativ häufiger von Infektionskrankheiten betroffen. An den Voraussetzungen der sozialen Spaltung etwas zu ändern würde auch das Gefährdungspotential einer gefährlichen Infektion zumindest verringern.


Karte: gemeinfrei via Wikimedia Commons

Weltkarte der prognostizierten Verbreitung von Aedes aegypti im Jahr 2015.
Die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens bewegt sich zwischen Null (blau) und eins (rot) bei einer räumlichen Auflösung von fünf mal fünf Kilometern.
Karte: gemeinfrei via Wikimedia Commons


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/s41598-019-49660-6#change-history

[2] https://www.oxitec.com/news/oxitec-response-scientific-reports-article

[3] https://www.testbiotech.org/aktuelles/gentechnik-muecken-ziehen-weitere-kreise

[4] https://www.deutschlandfunk.de/freilandversuche-in-brasilien-genveraenderte-muecken.676.de.html?dram:article_id=459849

[5] tinyurl.com/y6cvehqr

[6] http://revistaquestaodeciencia.com.br/english/2019/09/26/brazilian-author-asks-retraction-oxitec-mosquito-paper


6. Oktober 2019


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