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KLIMA/293: Merkel besucht Grönland - Geopolitik und Klimawandel (SB)


Der Grönlandbesuch der Bundeskanzlerin kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich Dänemark am Wettrennen um den Nordpol beteiligt


Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar auch schwitzende Gletscher beim Kalben zuschauen, wenn sie nach Grönland fliegt, aber die aktuelle Reise des deutschen Staatsoberhaupts hat über den bloßen Appellcharakter zum Klimaschutz hinaus einen geopolitischen Anstrich erhalten, nachdem in den letzten Tagen und Wochen zwischen mehreren Staaten ein regelrechter Wettlauf zum Nordpol eingesetzt hat. Dänemark will sich ein kräftiges Stück vom Kuchen sichern und behauptet genauso wie Rußland, daß der territorial bislang vakante Nordpol zum untermeerischen Lomonossow-Rücken gehört, der mit der unter dänischer Verwaltung stehenden Insel Grönland verbunden sei.

Falls diese Behauptung anerkannt wird, würde der Nordpol zu Dänemark gehören. Der Lomonossow-Rücken erstreckt sich allerdings weiter und führt auf Sibirien zu, was die Rechtslage verkompliziert; auch Rußland hat Interesse angemeldet. Nicht einfacher wird die Frage, wem die Nordpolregion gehört, dadurch, daß die USA der UNO-Seerechtskonvention nicht beigetreten sind und die Ansprüche anderer sowieso nicht anerkennen.

Rußland hat vor kurzem seine Flagge auf dem Meeresboden am Nordpol aufgestellt; ein dänisches Forschungsschiff mit 45 Wissenschaftlern aus Dänemark und Schweden hat Kurs in die Arktis genommen; die USA lassen gegenwärtig den Meeresboden vor Alaska kartieren; und Kanada baut seine militärische Präsenz in der Nordwestpassage massiv aus.

Deutschland, das keine eigene Ansprüche an den Nordpol anmeldet, sitzt in der zweiten Reihe. Von dort läßt sich allerdings auch einiges bewegen. Ob beabsichtigt oder nicht, Merkels Flug zur grönländischen Stadt Ilulissat steht nicht nur unter dem Zeichen des Klimaschutzes (und der Aussicht der deutschen Wirtschaft, ihre Umwelttechnologien zu exportieren), sondern auch unter dem der Ressourcensicherung in der Arktis. Dänemark könnte jede Unterstützung zur Durchsetzung seiner Interessen gebrauchen, da dürfte Deutschland unter allen Staaten, die keine eigenen territorialen Ansprüche an die arktische Region erheben, noch einer der größten Bündnispartner sein. Deutschland unterhält sowohl in der Arktis als auch Antarktis eigene Forschungsstationen und entsendet regelmäßig international besetzte Forschungsschiffe in diese Regionen. Dänische Geologen wären zwar nicht auf ausländische Hilfe angewiesen, um die Behauptung zu stützen, daß der Lomonossow-Rücken zu Dänemark gehört, aber wenn sie von deutscher Seite wissenschaftliche Schützenhilfe erhielten, würden sie diese gewiß nicht ausschlagen.

Im internationalen Seerechtsabkommen, das 1982 beschlossen wurde und seit 1994 gilt, wird den Staaten eine 200 Seemeilen große exklusive Wirtschaftszone von der Küste aus zuerkannt. Bis zu 350 Seemeilen reicht die Zone hinaus, innerhalb der ein Küstenstaat Öl und Erdgas fördern darf. Sollte der Festlandsockel noch weiter ins Meer hinausragen, so darf ein Land Ansprüche auf Erweiterung des Nutzungsgebietes anmelden. Darüber würde dann eine Kommission unter dem Banner der Vereinten Nationen entscheiden.

Abgesehen von Grönland, das siebenhundert Kilometer vom Nordpol entfernt liegt, gehören auch die arktischen Färöer-Inseln zu Dänemark. Gegebenenfalls lassen auch sie sich in die Waagschale werfen, sollten die Arktisanrainer Nutzungsrechte auf diplomatischem Wege und nicht mit Waffengewalt aushandeln.

In Ilulissat an der westgrönländischen Küste soll die deutsche Delegation vom dänischen Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen und dem Direktor der grönländischen Selbstverwaltung, Hans Enoksen, begrüßt werden. Frau Merkel wird sich dann voraussichtlich vor den beeindruckenden Grönlandgletschern ablichten lassen und ihren Gastgeber Rasmussen, der 2009 zu einer Klimakonferenz lädt, bei diesem Vorhaben unterstützen.

Selbstverständlich soll mit der Grönlandreise der Kanzlerin, die von Umweltminister Sigmar Gabriel begleitet wird, auch auf den Klimawandel aufmerksam gemacht werden. Da eignet sich die von einem bis zu drei Kilometer dicken Eispanzer nahezu vollständig bedeckte Insel so gut wie kaum eine andere Weltregion. Falls das grönländische Eis abtaut, würde das den Meeresspiegel weltweit um sieben Meter anheben.

Und das Eis schmilzt. Nicht von heute auf morgen, aber schneller als noch vor zehn Jahren vermutet. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand könnte es in einigen Jahrhunderten verschwunden sein. Die Wassertemperaturen vor der grönländischen Küste steigen an. Die Lufttemperaturen auf der Insel sogar noch kräftiger; innerhalb der letzten Dekade um mehr als 1,5 Grad Celsius. Hierbei handelt es sich um einen Durchschnittswert, der nur für Laien unspektakulär erscheint. Zum Vergleich: Die globale Temperatur hat sich im selben Zeitraum um 0,74 Grad erhöht.

Grönland könnte bald wieder seinem auf die Wikingerzeit zurückgehenden Namen als "Grünland" alle Ehren machen. Die Fließgeschwindigkeit einiger grönländischer Gletscher hat sich in den letzten Jahren rasant beschleunigt, gleichzeitig dünnen die Eisströme aus. Außerdem haben Wissenschaftler vor kurzem festgestellt, daß das Eis tiefere Risse und Spalten aufweist als angenommen. Vieles deutet darauf hin, daß bisherige Einschätzungen, wie lange es dauert, bis daß das grönländische Eis verschwunden sein wird, zu optimistisch waren.

16. August 2007