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KLIMA/422: "Klimakriege" - ein Begriff führt in die Irre (SB)


Bei der Warnung vor "Klimakriegen" wird die systemische
Massenvernichtung ignoriert


Wenn sich die Erde weiter erwärmt, die Gletscher schmelzen, flache Inseln und Küstenstreifen vom Meer überspült werden und Wüsten sich ausbreiten, wird die Not vieler Menschen zunehmen. Denn es wird zu Wassermangel, Mißernten und generell einem Verlust an Lebensraum kommen. Es ist zu erwarten, daß daraus Konflikte entstehen, die mit zerstörerischen Mitteln ausgetragen werden. "Klimakriege" lautet das griffige Stichwort, mit dem Autoren wie der Kultur- und Sozialwissenschaftler Harald Welzer [1] und inzwischen auch die Tagespresse selbst in den zunehmend "klimaskeptischen" USA [2] das düstere Bild einer Erde zeichnen, auf der die Lebensverhältnisse in Folge des Klimawandels so verengt werden, daß die Menschen übereinander herfallen und sich gegenseitig den letzten Schluck Wasser stehlen. Als Beispiele werden gern die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und Seßhaften in der unter Niederschlagsarmut leidenden westsudanesischen Provinz Darfur sowie die Stammesfehden im dürregeplagten Norden Kenias genannt.

Die Bezeichnung "Klimakriege" greift allerdings zu kurz, sie lenkt sogar von dem mörderischen Grundverhältnis der vergesellschafteten Menschen ab. Der Sudankonflikt zwischen seßhaften und nomadisierenden Völkern hat nicht wegen des Klimas eine über lokale Stammesauseinandersetzungen hinausgehende Dimension erhalten, vielmehr wuchs er zu der hinlänglich beschriebenen Größenordnung an, weil hier unterschiedliche Interessen hineinspielen, die nichts mit dem Klima, aber sehr viel mit Herrschaftssicherung auf nationaler Ebene zu tun haben. Auch werden in Darfur Stellvertreterkriege ausgetragen; das macht es so schwierig, den Konflikt aufzulösen. Der Tod von mehreren hunderttausend und die Vertreibung von Millionen Einwohnern Darfurs läßt sich auf keinen Fall ursächlich auf klimatische Veränderungen zurückführen.

Es trifft zwar zu, daß auch in Nordkenia gekämpft wird, weil Wasserstellen austrocknen, und der gewaltsame Tod von womöglich mehreren hundert Menschen ist auch tragisch, aber im gleichen Zeitraum wie die rund vier Wochen langen Kämpfe sind weltweit schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen schlicht verhungert. Da tobt offensichtlich ein ganz anderer Krieg, der mit sehr viel wirksameren Mitteln als mit Messern, Speeren und Handfeuerwaffen, wie sie in Nordkenia eingesetzt werden, ausgetragen wird. Selbst die Hightech-Waffensysteme, die von der größten Militärmaschinerie der Welt gegen irakische und afghanische Aufständische in Stellung gebracht werden, verblassen hinsichtlich ihres Vernichtungspotentials gegenüber den Waffen und Werkzeugen einer nach den Maßgaben der Herrschaftssicherung entstandenen Weltordnung, durch die permanent Menschen marginalisiert und über den Abgrund geschoben werden. Mit dem "Kampf gegen den Klimawandel" wird das gleiche in grün fortgesetzt.

Wer den Begriff "Klimakriege" als zukünftige Bedrohung der menschlichen Gesellschaft und Faktor ihrer Destabilisierung bezeichnet, übersieht, daß sich im Zuge der Vergesellschaftung des Menschen Verfügungsgewalten entwickelt haben, die das Massensterben als vermeintlich schicksalhafte Fügung erscheinen lassen, selbst aber maßgeblich daran beteiligt sind und von diesem Grundverhältnis profitieren. Wer Gefallen an dem Begriff "Klimakrieg" gefunden hat, sollte ihn konsequenterweise nicht auf ferne Stammeskriege beschränken, sondern auf die Fortsetzung der vernichtenden Herrschaft des Menschen über den Menschen im Zeichen der mehrheitlichen Verschlechterung der Überlebensvoraussetzungen verwenden. Diese werden nicht aufgrund des Klimas, sondern aufgrund des gegen seine Artgenossen gerichteten Umgang des Menschen mit den Klimafolgen abgebaut.


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Anmerkungen:

[1] Siehe Schattenblick-Buchrezension unter: INFOPOOL -> BUCH -> SACHBUCH
REZENSION/440: Welzer - Klimakriege. Wofür im 21. Jh. getötet wird (SB)

[2] "Kenyans draw weapons over shrinking resources", Los Angeles Times, 27. November 2009
http://www.latimes.com/news/nation-and-world/la-fg-climate-conflict27-2009nov27,0,28864,full.story

21. Dezember 2009