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KLIMA/429: Starke Methanausgasung vom Ostsibirischen Schelf (SB)


Permeabler Permafrost

Arktischer Meeresboden instabiler als angenommen


Methan wird die zwanzig- bis dreißigfache Wirksamkeit als Treibhausgas gegenüber Kohlendioxid zugesprochen. Deshalb warnen Forscher, daß Maßnahmen gegen die Erderwärmung nicht auf die Verringerung von Kohlendioxidemissionen fixierten werden sollten, auch wenn dessen absoluter Atmosphärenanteil beträchtlich größer ist als der von Methan. In der Vergangenheit haben verschiedentlich Forschergruppen von Beobachtungen berichtet, wonach Methan innerhalb ihres Untersuchungsgebiets - sibirischer Permafrost, arktische Gewässer, etc. - stärker als zuvor vermutet freigesetzt wird und daß bei einer zukünftigen Erderwärmung mit einer weiteren Zunahme dieses Vorgangs zu rechnen sei. Die jüngste Meldung von überraschend starken natürlichen Methanemissionen scheint alle vorangegangenen an Brisanz zu übertreffen.

Eine Forschergruppe um Natalia Shakhova und Igor Semiletov von der Universität von Alaska in Fairbanks hat Messungen im Gebiet des Ostsibirischen arktischen Schelfs durchgeführt und von da aus hochgerechnet, daß jährlich rund acht Millionen Tonnen Kohlenstoff in Form von Methan aus dem Meer in die Atmosphäre entlassen werden. Allem Anschein nach wird das in eisförmigem Zustand im Permafrostbereich des Meeresgrunds lagernde Methanhydrat instabil - eine Horrorvorstellung aller Wissenschaftler, sollte die Auflösung solcher Hydrate weltweit in Gang kommen.

In den kontinentalen Schelfgebieten schlummert ein Potential an Treibhausgasen, das die Möglichkeiten der Menschen, durch Einsparungen von Treibhausgasemissionen Einfluß auf die Erderwärmung nehmen zu können, erbärmlich aussehen läßt. Sollte sich der Mechanismus, der das Gashydrat bindet, auch in anderen Weltregionen als so instabil erweisen, wie es die aktuellen Forschungsergebnisse vom sibirischen Schelf nahelegen, dann drohte der Erde eine massive Klimaveränderung.

Im Wissenschaftsmagazin "Science" vom 5. März erklären die Forscher, daß der Permafrost des Ostsibirischen Schelfs bislang als undurchdringliches Hindernis für Methan galt. [1] Nun aber habe man festgestellt, daß der Permafrost durchlässig ist und gewaltige Mengen Methan in die Atmosphäre entweichen. Gewaltig heißt, daß allein in dieser Region so viel Methan freigesetzt wird, wie es die Forscher bislang für alle Weltmeere zusammen angenommen haben.

Das Ostsibirische Schelf umfaßt eine Fläche von über zwei Millionen Quadratkilometern methanhydrathaltigen Meeresbodens, was der dreifachen Größe aller sibirischen Feuchtgebiete, die bislang als Hauptgefahr für Methanausdünstungen galten, entspricht. Zwischen 2003 und 2008 führten die Forscher kreuz und quer in diesem Gebiet ihre Messungen durch und nahmen mehr als 5.000 Proben aus verschiedenen Meerestiefen sowie in zehn Metern Höhe über der Meeresoberfläche. 2006 flogen Forscher mit dem Hubschrauber über das Gebiet und nahmen in 2000 Metern Höhe Gasproben; ein Jahr darauf gewannen sie im Rahmen einer Winterexpedition weitere Daten.

Summa summarum enthielten mehr als 80 Prozent der Proben vom Meersgrund und mehr als die Hälfte der näher an der Meeresoberfläche entnommenen Proben eine Methankonzentration, die achtmal über der gewöhnlichen Meerwassers lag. In besonders gesättigten Zonen war die Konzentration von Methan gegenüber der üblichen Hintergrundkonzentration sogar um das 250fache im Sommer und um das 1400fache im Winter erhöht. In der Atmosphäre unmittelbar über der Wasseroberfläche wurden ähnliche Verhältnisse nachgewiesen, und in größerer Höhe über dem Schelf wurden Methankonzentrationen registriert, die fünf bis zehn Prozent über dem für die Arktis zu erwartenden Methangehalt lagen. Der ist von vornherein acht bis zehn Prozent höher als der globale Durchschnitt. Darüber hinaus zeigten Eisproben, die während der Winterexpedition gezogen wurden, daß sich Methangas unter und in dem Meereis angesammelt hat.

Man hat es beim Ostsibirischen Schelf mit einer ungewöhnlichen geographischen Konstellation zu tun, da der Meeresboden, der erst nach der letzten Eiszeit vom Meer überflutet wurde, nicht nur große Methanmengen enthält, sondern vor allem weil das Meer mit einer Tiefe von nur 50 Metern relativ flach ist. Könnte das Methan (CH4) aus größeren Meerestiefen aufsteigen, bestünde die Chance, daß es oxidiert und sich über die Strecke in Wasser (H2O) und Kohlendioxid (CO2) wandelt. Damit wäre das Gas "entschärft".

Aus all dem zeichnet die Forschergruppe das Gesamtbild, daß sich gegenwärtig große Mengen Methangas aus dem Meeresboden des riesigen Ostsibirischen Schelfs lösen und in die Atmosphäre wandern. Sollte sich auch nur ein einziges Prozent des Methans, das Forscher in flachen Hydratlagern vermuten, lösen, so erhöht das laut Shakhova die Methanbelastung der Atmosphäre um das Drei- bis Vierfache. Die Folgen für das Klima seien schwer vorhersagbar, berichteten die Forscher, und ihre Unsicherheit stammt nicht daher, weil der Effekt auf das Weltklima so gering ausfiele, sondern weil er umgekehrt so gravierend wäre.

In einem Begleitkommentar von "Science" macht Martin Heimann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena auf die hohe Qualität der Messungen aufmerksam und betont die Notwendigkeit, die weitere Entwicklung sehr genau zu beobachten. [2] Das haben die Forscher vor. Sie wollen weitere Untersuchungen durchführen und unter anderem zuverlässiger abschätzen können, welche Methanmengen im Ostsibirischen Schelf schlummern ... bzw. anscheinend geweckt wurden.

Abgesehen von der Erwärmung als auslösender Faktor ist vorstellbar, daß tektonische Vorgänge die Freisetzung von Methan begünstigen. Die jüngsten Erdbeben in Haiti, Chile und Taiwan, über die in den Mainstreammedien berichtet wird, da Menschen unmittelbar davon betroffen sind, rufen auch den Bewohnern erdbebenarmer Gebiete in Erinnerung, daß die Erdkugel keineswegs die Stabilität hat, die ihr gern attestiert wird. Nach Einschätzung der NASA hat das Chile-Beben die Erdachse um etwa acht Zentimeter verschoben. Und durch das schwere Beben, das im Dezember 2004 im Indischen Ozean einen verheerenden Tsunami auslöste, wurde ganz Europa zeitweilig um durchschnittlich einen Zentimeter angehoben. Auch Ostsibirien wird von dem Beben nicht unbetroffen geblieben sein. Anzunehmen, daß diese geotektonischen Ereignisse keine Auswirkungen auf die Gas- und Hydrateinlagerungen innerhalb des bewegten Materials haben, wäre sicherlich unwissenschaftlich. Ob sich ein solcher Effekt messen läßt, steht auf einem anderen Blatt.


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Anmerkungen:

[1] Natalia Shakhova et al.: Extensive Methane Venting to the Atmosphere from Sediments of the East Siberian Arctic Shelf. Science 327, 1246
dx.doi.org/10.1126/science.1182221

[2] Martin Heimann: How Stable Is the Methane Cycle? Science 327, 121
dx.doi.org/10.1126/science.1187270

7. März 2010