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KLIMA/445: Hitzestreß im Jahr 2300 - Erde weitgehend unbewohnbar (SB)


Menschen und andere Säugetiere werden auf der Erde im Jahr 2300 ihre Körperwärme nicht mehr abführen können

Neue Klimastudie bietet Anlaß zu weitergehenden Fragen


Die meisten Klimaforscher haben ihre Computermodelle, mit denen sie zukünftige Szenarien entwerfen, auf die Jahre 2030, 2050 oder 2100 ausgerichtet. Bis Ende des Jahrhunderts, so heißt es häufig, dürfe die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen, andernfalls träte eine unumkehrbare Entwicklung ein, die den Planeten zunehmend unbewohnbar mache.

Nun haben ein australischer und ein US-amerikanischer Forscher ein Modell aufgestellt, das sehr viel weiter in die Zukunft greift. Schließlich, so argumentieren sie, werde die Erderwärmung nicht im Jahre 2100 enden. Professor Steven Sherwood vom Klimawandel-Forschungszentrum der University of New South Wales und der assoziierte Professor Matthew Huber von der Purdue University beschreiben in einem Artikel des Journals "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) ein Szenarium, nach dem sich die Temperaturen auf der Erde im Jahre 2300 stark verändert haben. Sie werden auf Werte steigen, an die sich die Menschen und andere Säugetiere nicht mehr anpassen können. Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit würden so hoch sein, daß die Wärme nicht mehr aus dem Körperkern abgeführt werde könne, beispielsweise mittels Schweiß. [1] Für einige Weltregionen gelte das bereits bei einer Erderwärmung um durchschnittlich sieben Grad. Bei elf bis zwölf Grad jedoch würden sich die unbewohnbaren Regionen über den größten Teil der von den heutigen Menschen besiedelten Fläche ausdehnen.

Prof. Sherwood geht nicht davon aus, daß der Sieben-Grad-Wert noch in diesem Jahrhundert erreicht wird. Doch langfristig schätzt er die Chancen auf 50 zu 50 ein. Gegenüber AFP [2] sagte der Forscher, daß die Klimawandelforschung zu "kurzsichtig" sei, da sie nicht die langfristigen Auswirkungen von Treibhausgasemissionen untersuche: "Das muß man beobachten. Es gibt nicht viel, was wir hinsichtlich des Klimawandels in den nächsten zwei Jahrzehnten machen können, aber es gibt eine Menge zu den langfristigen Veränderungen zu tun."

In einem Begleitkommentar des Wissenschaftsmagazins PNAS bezeichnete der australische Wissenschaftler Prof. Tony McMichael das Szenarium bis 2300 als realistisch. Wenn die globale Durchschnittstemperatur bis dahin auf zwölf Grad oder mehr steige, würden "unsere heutigen Sorgen über Meeresspiegelanstieg, gelegentliche Hitzewellen und Buschfeuer, über den Verlust der Biodiversität und landwirtschaftliche Schwierigkeiten zur Bedeutungslosigkeit verblassen verglichen mit der größeren Gefahr, daß mehr als die Hälfte des gegenwärtig bewohnten Erdballs einfach zu heiß sein wird, um dort zu leben". [2]

Nicht zum ersten Mal warnen Forscher davor, daß die Erde unbewohnbar werden könnte, sollte die Erwärmung nicht gestoppt werden. Ungeachtet dessen ist die aktuelle Studie ein geeigneter Anlaß, um daran einige Fragen anzuknüpfen. Da sich bereits in der heutigen Zeit Menschen gezwungen sehen, ihre - unter anderem klimatisch - benachteiligte Heimat zu verlassen, und sie daraufhin als "illegale" Flüchtlinge bezeichnet und kriminalisiert werden - um wieviel mehr wird sich der privilegierte Teil der Menschheit gegenüber dem Rest abgrenzen, sobald der potentiell verfügbare Lebensraum weiter schrumpft?

Kann die Erderwärmung mit dem ziemlich vagen "Zwei-Grad-Ziel" des Copenhagen Accord begrenzt werden oder wird damit nicht verschleiert, daß ein nicht unerheblicher Teil der Menschheit - mehr als eine Milliarde Menschen hungern - bereits heute abgeschrieben ist und eher zu- denn abnehmen wird?

Ist der Mensch überhaupt willens und fähig, eine andere als die gesellschaftliche Form des Zusammenlebens zu entwickeln, die keine aktive Vernichtung (bewaffnete Konflikte) und passiv herbeigeführte Vernichtung (mangelnde Unterstützung im Kampf gegen Hunger, Armut und Naturkatastrophen) hervorbringt und pflegt?

Welche Bedingungen - gesellschaftlich, politisch, sozial - stehen einer entschlossenen Inangriffnahme des Problems des sich in geologischen Zeiträumen gerechnet rasant verändernden Klimas entgegen?

Es sieht zur Zeit nicht so aus, als würde gegenwärtig eine systemkritische Bewegung entstehen, die sich gegen die zweifellos massiven vorherrschenden Kräfte durchsetzen könnte. Womit nicht geleugnet werden soll, daß viele Menschen etwas zum Klimaschutz beitragen wollen und den Wunsch hegen, den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Erde zu hinterlassen. Das hat nicht zuletzt der Klimagipfel im bolivianischen Cochabamba gezeigt. Die Frage lautet jedoch, ob hieraus etwas derart Durchsetzungsfähiges erwächst, daß es weder von außen noch von innen her an der Verwirklichung einer anderen, von den vorherrschenden Kräften befreiten und damit logischerweise herrschaftsfreien Welt abgehalten werden kann.


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Anmerkungen:

[1] "Global warming heat stress could make life intolerable: study", 4. Mai 2010
http://www.science.unsw.edu.au/news/global-warming-heat-stress/

[2] "Earth may be too hot for humans by 2300: study", AFP, 11. Mai 2010
http://www.terradaily.com/reports/Earth_may_be_too_hot_for_humans_by_2300_study_999.html

13. Mai 2010