Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

KLIMA/454: Dürre, Unruhen, hohe Lebensmittelpreise - globaler Hunger (SB)


Schwere Ernteverluste in Rußland und anderen Getreide-Exportnationen

Preissteigerungen für Lebensmittel in Indien, China und den USA


Es ist sicherlich zu früh, um für dieses Jahr endgültige Aussagen über die weltweiten Erntezahlen zu treffen. Dürrephasen in Afrika, China und Rußland lassen allerdings die Ahnung aufkommen, daß das Angebot an Getreide weniger denn je den Bedarf decken wird. Eine Folge wird sein, daß die Zahl von mehr als eine Milliarde Hungernden in der Welt nicht reduziert wird, wie in den Millenniumszielen zugesagt, sondern daß sie zunehmen wird.

In einigen russischen Regionen verdorrt die Ernte nahezu vollständig. Warme, trockene Winde aus Südosten lassen bereits die Zuflüsse zur Wolga versiegen. [1] In Tartastan und anderen Regionen des europäischen Teils Rußlands wurde der Notstand ausgerufen. Wochenlang war das Thermometer über 30 Grad geklettert. Geregnet hatte es dort zuletzt im April. Die Regierung läßt Trinkwasser in Tankwagen in die Dürreregionen fahren. Die Landwirtschaft liegt jedoch am Boden. In Orenburg und Woronesch fallen eine über halbe Million Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche der Trockenheit zum Opfer und müssen umgepflügt werden.

Um sich Linderung von der außergewöhnlichen Hitze zu verschaffen, suchen viele Einwohner Abkühlung in Flüssen oder Seen. Bei solchen Gelegenheiten sind innerhalb der letzten Wochen rund 300 Personen ertrunken. In den Republiken Mari El und Baschkirien sowie im Raum Rostow brannten die zundertrockenen Wälder. In manchen Gebieten vermehren sich die gefräßigen Heuschrecken rasant; sie gedeihen bei dem trockenen Klima prächtig und geben der kargen Ernte den Rest. [2]

Die russische Regierung behauptet zwar, daß keine Lebensmittelengpässe zu erwarten sind, aber bei dieser Einschätzung spielt wohl eine gehörige Portion Wunschdenken hinein. RIA Novosti schrieb, daß laut Expertenangaben die anhaltende Dürre nicht die Lebensmittelsicherheit in Rußland gefährde. [3] Jewgeni Iwanow, Experte vom Institut für die Konjunktur des Agrarmarktes, behauptet in dem Bericht, daß die Hersteller in einigen Fällen "bewusst" ihre Angaben über die Dürre übertrieben, weil sie auf zusätzliche Subventionen, Ausgleichszahlungen und Versicherungszahlungen aus dem Haushalt hofften. Der Staat werde den am stärksten Betroffenen helfen, aber man erwarte eine nicht so reichliche Hilfe wie im vorigen Jahr. Die Dorfbewohner sollten überzeugt werden, daß sie eigene Versicherungen abschließen.

Alexander Korbut, Vizepräsident des russischen Getreideverbandes, behauptet, in diesem Jahr werde mehr Getreide eingefahren, als Rußland benötige. [3] Der Agrarfunktionär erklärte, daß sich die Ernteprognose auf 90 Millionen Tonnen Getreide beliefe, wohingegen nur 72 bis 74 Millionen Tonnen pro Jahr verbraucht würden.

Allerdings meldete RIA Novosti am 5. Juli, daß das Landwirtschaftsministerium in Moskau wegen der Dürre die Prognose für die diesjährige Getreideernte von 90 Millionen auf 85 Millionen Tonnen abgesenkt hat. [4] Dennoch könne Rußland fast 20 Millionen Tonnen Getreide exportieren, sagte Landwirtschaftsministerin Jelena Skrynnik am vergangenen Montag.

Hier besteht augenscheinlich ein Widerspruch, denn bei diesem Wert bliebe Rußland in diesem Jahr nur 65 Mio. Tonnen Getreide übrig. Angesichts des von Korbut angegebenen Bedarfs von mindestens 72 Millionen Tonnen käme es zu einem heimischen Mangel in Höhe von sieben Millionen Tonnen. Legt man den Verbrauchswert des russischen Landwirtschaftsministerium in Höhe von 77 Millionen Tonnen Getreide als Eigenbedarf zugrunde, so betrüge der Mangel gar zwölf Millionen Tonnen. Ganz und gar unverständlich wird die Behauptung der Ministerin jedoch, wenn sie erklärte, daß Rußland seine Getreidereserven in diesem Jahr um 20 Prozent bzw. 24 Mio. Tonnen steigern wolle. Der russische Premierminister Wladimir Putin erweckt den Eindruck, als lasse er sich von solchen kryptischen Mathematik nicht beirren. Er hat Skrynnik und seinen Stellvertreter Viktor Subkor angewiesen, ihm bis zum 8. Juli eine Analyse der Lage in den Dürreregionen vorzulegen.

Dem aktuellen Stand der Berichterstattung zufolge wurden von der Dürre 6300 Landwirtschaftsobjekte in mehr als 200 russischen Regionen heimgesucht; mehr als 5,3 Millionen Hektar Anbaufläche sind schlicht vertrocknet. An den internationalen Börsen wird auch deshalb bereits ein Anstieg der Getreidepreise verzeichnet. Eugen Weinberg, Analyst der Commerzbank, bewertet die Korrektur der Ernteprognose in Rußland als einen "gravierenden Ernterückgang gegenüber dem Vorjahr in einem der größten Exportländer für Getreide". Nachrichten "wie diese" - es gibt dennoch noch ähnliche - hätten den Preis für Weizen an der Chicagoer Getreidebörse erstmals seit zwei Monaten zwischenzeitlich über die Marke von 5 US-Dollar je Scheffel geschickt, so Iris Merker für boerse-frankfurt.de. [5]

Selbst in Brandenburg erwarten die Bauern dramatische Ernteeinbußen aufgrund des langen Winters, der wochenlangen Trockenheit sowie der Reduzierung der Ackerfläche. Der Landesbauernverband (LBV) prognostiziert Verluste in Höhe von 600.000 Tonnen - eine riesige Menge verglichen mit der zu erwartenden Erntemenge von zwei Millionen Tonnen Getreide. Wobei die Qualität des Getreides "durch die Bank ... als schlecht eingestuft" wird, so Heiko Terno, Geschäftsführer der Agrargemeinschaft Klein Radden, zum offiziellen Ernteauftakt am heutigen Donnerstag. [6]

In Pakistan herrscht nicht nur Krieg, bei dem zahlreiche Einwohner durch das eigene Militär sowie durch Kampfdrohnen der US-amerikanischen Verbündeten ums Leben kommen oder vertrieben werden, sondern es herrscht auch Trockenheit. Von 6,3 Millionen "ernährungsunsicheren" Personen drohen 1,3 Millionen demnächst in Hungeragonie zu fallen, befürchten Experten. [7]

In Indien steigen die Lebensmittelpreise seit einiger Zeit enorm und haben Millionen Kleinbauern zusätzlich in Existenznot gebracht. Reis, Kartoffeln und Erbsen kosten heute doppelt so viel wie vor zwei Jahren. Auch Weizen und Linsen sind deutlich teurer. Obst wurde zu einer Luxusware. Bereits vor der Verteuerung der Grundnahrungsmittel war jedes zweite indische Kind unterernährt - steht dem Land wieder eine jener verheerenden Hungerkatastrophen bevor, bei denen im 19. und 20. Jahrhundert Dutzende Millionen Inder ums Leben kamen?

Zwischen 80 und 200 Millionen Inder legen sich abends regelmäßig mit knurrendem Magen schlafen, berichtet Harsh Mander, der vom indischen Supreme Court einberufen wurde, um die Hungerlage im Land zu beobachten. [8] Da stellt sich die Frage, ob diese Personen morgens auch wieder aufwachen. Jedenfalls war es im April in Indien zu landesweiten Streiks und heftigen Protesten im indischen Parlament gekommen. In der nordindischen Stadt Lucknow wurden Busse in Brand gesteckt, in der südlichen Stadt Hyderabad zogen Demonstranten durch die Straßen und in der ostindischen, von Kommunisten regierten Stadt Kolkata (Kalkutta) wurde ein Massenstreik ausgerufen. Und auch in Indien haben die Demonstrationen und Unruhen mit klimatischen Veränderungen zu tun. Im vergangenen Jahr fiel der Monsun so schwach aus wie seit 37 Jahren nicht mehr. [9]

Eine ungewöhnliche Verteuerung der Lebensmittelpreise verzeichnen auch die USA. Laut dem Producer Price Index (PPI), den das Bureau of Labor Statistics (BLS) am 22. April bekannt gab, waren die Preise für Lebensmittel sechs Monate hintereinander gestiegen; im März 2010 sogar um 2,4 Prozent, was der stärkste Anstieg seit mehr als 26 Jahren war. Gegenüber dem Vorjahresmonat kletterten die Verbraucherpreise für Milchprodukte um 9,7 Prozent, für Rindfleisch um 10,7 und Schweinefleisch um 19,1 Prozent. Für frisches Obst und Melonen mußten die US-Bürger 28,8 Prozent und für Gemüse (frisch oder getrocknet) 56,1 Prozent mehr ausgeben. Die National Inflation Association (NIA) befürchtet für die USA eine ähnliche Entwicklung wie in Indien. [10] 39,4 Mio. US-Bürger erhalten Lebensmittelmarken, weil sie andernfalls nicht über die Runden kämen - eine Steigerung um 22,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr!

Der Südwesten Chinas wurde in den ersten Monaten dieses Jahres zunächst von der schwersten Dürre seit Jahrzehnten, regional sogar seit über einem Jahrhundert heimgesucht. Die Lebensmittelpreise stiegen an. Von der Dürre waren 61,3 Millionen Einwohner und fünf Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche in den Provinzen Guizhou, Yunnan, Sichuan, Chongqing, and Guangxi betroffen. [11] Dann erfolgte ein Wetterumschwung, und plötzlich regnete es so stark, daß die Flüsse über die Ufer traten und viele Leute in den Tod gerissen wurden. Aufgrund des klimatischen Doppelschlags ist in dieser wichtigen landwirtschaftlichen Regionen mit empfindlichen Ernteverlusten zu rechnen.

Im afrikanischen Sahelstaat Niger ist die halbe Bevölkerung auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Was nicht gleichbedeutend damit ist, daß sie diese auch erhalten. Das Welternährungsprogramm (WFP), das bereits im Februar auf die Not der Menschen aufmerksam gemacht hat, appelliert in regelmäßigen Abständen an die internationale Gemeinschaft und bittet um Spenden. Laut WFP-Direktorin Josette Sheeran hat die Hungerkrise in Niger das Potential, zum Verlust "einer ganzen Generation" zu führen. [12] Die Hungerlage in Niger verschlechtert sich viel schneller als befürchtet, das WFP hat die höchste Alarmstufe ausgerufen. Eigentlich will die UN-Organisation in den nächsten Wochen und Monaten 4,5 Millionen Einwohner versorgen, aber dazu fehlen die Mittel.

Im Dezember haben sich die Staats- und Regierungschefs nicht darauf einigen können, entschiedene Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen. Die oben genannten Beispiele über Ernteverluste und damit einhergehende Not in der Bevölkerung sind ein Vorgeschmack auf die verheerenden Konsequenzen dieser Politik.


*


Anmerkungen:

[1] "Dürre und Hitze lassen Wolga-Zufluss austrocknen", Rußland aktuell, 30. Juni 2010
http://www.aktuell.ru/russland/news/duerre_und_hitze_lassen_wolga_zufluss_austrocknen_27265.html

[2] "Land und Leute. Die Hitze in Russland sorgt weiter für Rekorde", 2. Juli 2010
http://german.ruvr.ru/2010/07/02/11260339.html

[3] "Trotz Dürre: Russlands Landwirtschaft erwartet keine Engpässe - 'Rossijskaja Gaseta'", RIA Novosti, 5. Juli 2010
http://de.rian.ru/business/20100705/126977770.html

[4] "Trotz Dürre in Russland bleibt Potenzial für Getreideexport erhalten", RIA Novosti, 5. Juli 2010
http://de.rian.ru/business/20100705/126985969.html

[5] "Rohstoffe: Gold verliert. Marktbericht vom Handel mit Rohstoff-ETCs", 7. Juli 2010
http://www.boerse-frankfurt.de/DE/index.aspx?pageID=44&NewsID=4973

[6] "Wenig Getreide nach Kälte und Dürre", ddp, 8. Juli 2010
http://nachrichten.t-online.de/wenig-getreide-nach-kaelte-und-duerre/id_42201942/index

[7] "Emergent remedial measures needed for food security in Pakistan", Associated Press of Pakistan, 4. Juli 2010
http://www.app.com.pk/en_/index.php?option=com_content&task=view&id=108187&Itemid=2

[8] "High food costs force Indians to do more with less", Associated Press.
Geposted 1. Mai 2010 von Eric deCarbonnel auf seinem Blog Market Sceptics.
http://www.marketskeptics.com/2010/05/india-goes-hungry.html

[9] "Food price protests heap up in India", 28. April 2010
http://www.macaudailytimes.com.mo/asia-pacific/11609-Food-price-protests-heap-India.html

[10] "U.S. Food Inflation Spiraling Out of Control", PRNewswire, 22. April 2010
http://www.prnewswire.com/news-releases/us-food-inflation-spiraling-out-of-control-91848684.html

[11] "Drought-stricken southwest China moves to curb food price hikes", Xinhua, 25. März 2010
http://news.xinhuanet.com/english2010/china/2010-03/26/c_13224954.htm

[12] "Niger food crisis could cost a generation - WFP chief", Reuters, 2. Juli 2010
http://www.alertnet.org/db/an_art/20316/2010/06/2-184315-1.htm

8. Juli 2010