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KLIMA/498: Amazonas-Regenwald wurde CO2-Senke - und was ist mit der Sauerstofffreisetzung? (SB)


Die Sauerstoffkonzentration der Erdatmosphäre (noch) kein Thema in der Umwelt- und Klimaschutzbewegung


Nach Meeresplankton sind die tropischen Regenwälder die zweitwichtigste Quelle für die Freisetzung atmosphärischen Sauerstoffs. Dessen Gehalt liegt zur Zeit bei rund 20,9 Prozent. Sollte es jemals dazu kommen, daß eine seiner bedeutenderen Quellen ausfällt, sein Verbrauch aber auf gleichem Niveau bleibt oder gar steigt, geschähe das, was mit jeder endlichen Ressource, die "übernutzt" wird, geschieht: Sie nähme ab. Ein Rückgang des freien Sauerstoffs in der Erdatmosphäre hätte jedoch gravierende Auswirkungen auf nahezu alle Lebensformen. Die Folgen stünden denen eines Klimawandels sicherlich in nichts nach.

Aus paläontologischen Funden von Pflanzen und Tieren leiten Wissenschaftler ab, daß die Lebensformen bei einer niedrigen Sauerstoffkonzentration kleinwüchsiger waren oder ausstarben und bei einer höheren wuchsen. Beispielsweise kam es im geologischen Zeitalter des Karbon (vor 359 bis 299 Mio. Jahren) zu einem Riesenwachstum bei Insekten. Damals lag der Sauerstoffgehalt bei 35 Prozent. Die Dinosaurier, die in der Kreidezeit (vor 145,5 bis 65,5 Mio. Jahren) lebten, existierten bei einem Sauerstoffgehalt von immerhin noch 26 Prozent.

Nun berichten Wissenschaftler um Eric Davidson vom Woods Hole Research Center, US-Bundesstaat Massachusetts, im Journal "Nature" [1], daß sich der Amazonas-Regenwald infolge menschlicher Aktivitäten im "Übergang" befindet und kleiner wird. In den letzten fünfzig Jahren sei dort die Bevölkerungszahl von sechs auf 25 Millionen gestiegen. Das Amazonas-Becken haben sich von einer Senke zu einer Quelle von Kohlenstoff entwickelt.

Obgleich die Forscher nicht die Bedeutung ihrer Beobachtungen in Hinsicht einer Freisetzung des atmosphärischen Sauerstoffs untersucht haben, sondern auf Prozesse, denen das Treibhausgas Kohlendioxid unterworfen ist, läßt sich ahnen, daß die beschriebene Entwicklung auch Folgen auf die Sauerstofffreisetzung haben muß. Wenn nicht mehr genügend Photosynthese treibende Pflanzen existieren, die das lebenswichtige Gas abspalten, verändert sich die Erdatmosphäre. Menschen und anderen Sauerstoffatmern wird die Luft ausgehen. Je nach Fortschritt dieser globalen Entwicklung werden sie leistungsschwächer und krankheitsanfälliger, bis sie schließlich zu existieren aufhören.

Tatsächlich nimmt die Sauerstoffkonzentration der Erdatmosphäre ab, wenngleich in einem sehr geringen Ausmaß. Angesichts der mutmaßlichen Trägheit des "Systems" Erde scheint die Gefahr eines gravierenden Sauerstoffverlusts vernachlässigbar. Ein anderer Eindruck entsteht jedoch, wenn man sich die verschiedenen Klimatrends vor Augen führt. Schon vor gut fünf Jahren hatten Forscher gemeldet, daß das Phytoplankton in den Weltmeeren in den Jahren zuvor dramatisch abgenommen hat. [2] In anderen Studien wird wiederum eine Zunahme sogenannter toter Zonen, in denen das Meerwasser kaum noch frei verfügbaren Sauerstoff enthält - ein Zustand, der Hypoxie genannt wird -, registriert. Als Hauptursache dieses Phänomens gelten Nährstoffeinleitungen aus der Landwirtschaft. Zugleich wird in jenen Zonen besonders viel Lachgas freigesetzt, das ein extrem wirksames Treibhausgas ist. Und Tote Zonen wiederum treiben den Klimawandel an. Sowohl die Erwärmung der Ozeane als auch ihre Versauerung reduzieren den Sauerstoffgehalt und beeinträchtigen somit die global bedeutendste Quelle für freien Sauerstoff.

Der Verringerung der Regenwaldfläche, wie sie nicht zum ersten Mal von Wissenschaftlern untersucht und beschrieben wurde, in Südamerika, Afrika, Asien und Nordaustralien infolge des menschlichen Einflusses weist in die gleiche Richtung: Die wichtigsten planetaren Faktoren zur Abspaltung und Freisetzung von Sauerstoff stehen unter einem beträchtlichen Druck, der in Zukunft noch zunehmen dürfte.

Auf der anderen Seite wächst der Verbrauch. Mehr Menschen und mehr Nutztiere benötigen zusammengenommen eine immer größere Menge an Sauerstoff, um zu überleben. Darüber hinaus wird mit jeder kleinen und großen Feuerquelle, sei es ein Streichholz oder ein Hochofen, Sauerstoff gebunden und somit der Atmosphäre entzogen.

Obwohl selbst die 150 Jahre währende Geschichte der Industriealisierung, bei der eine wachsende Zahl an Verbrennungsvorgängen in Gang gesetzt wurde, anscheinend kein signifikantes Echo in der globalen Sauerstoffkonzentration hinterlassen hat, könnte sich die Schlußfolgerung als fatal erweisen, daß dies in Zukunft so bleiben wird. Das wäre wohl nicht weniger verantwortungslos als der gedankenlose Gebrauch der Erdatmosphäre als Endlager für Abgase aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Die Folgen dieses Trends jedenfalls lassen den Spruch "nach mir die Sintflut" für viele Menschen tragische Realität werden. Über die Sauerstoffkonzentration der Erdatmosphäre wird in der Umwelt- und Klimaschutzbewegung kein Diskurs geführt, weil es anscheinend noch kein Problem gibt. Also abwarten und Däumchen drehen wie bei den Kohlendioxidemissionen?



Anmerkungen:

[1] "The Amazon basin in transition", Eric A. Davidson, et al., in: Nature 481, 321-328 (19 January 2012), doi:10.1038/nature10717

[2] "Researchers Find Huge Drop in Phytoplankton. Warmed-up oceans reduce key food line", Associated Press, 7. Dezember 2006
http://www.heatisonline.org/contentserver/objecthandlers/index.cfm?ID=6173&Method=Full&PageCall=&Title=ResearchersFind Huge Drop in Phytoplankton&Cache=False

20. Januar 2012