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KLIMA/545: Friß oder stirb! (SB)


Unmißverständliche Botschaft der neuen PIK/Weltbank-Studie an die Armen

Bereitet euch auf den Klimawandel vor, er wird nicht mehr verhindert!



Wenn es zutrifft, was die große Mehrheit der Wissenschaftler behauptet, daß der gegenwärtig zu beobachtende Klimawandel menschengemacht ist, dann wäre es nur konsequent einzugestehen, daß der Mensch ebenfalls für die Folgen dieser Entwicklung verantwortlich ist. Das wird jedoch im allgemeinen verschleiert, ob unbedacht oder absichtlich, sei dahingestellt.

Wobei hier nicht offensichtliche Widersprüche gemeint sind wie, daß mit den von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen zur Verringerung des Treibhausgases CO2 nicht das gesteckte Ziel einer CO2-Emissionsreduzierung bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen sein wird, oder daß dieses "ehrgeizig" genannte Ziel seinerseits nicht genügt, um zu verhindern, daß die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Mit "verschleiern" ist vielmehr ein bestimmter Sprachgebrauch gemeint, der sich einschleicht und durch den der Eindruck aufkommt, das Klima ändere sich aufgrund nicht näher zu bestimmender Einflüsse.

Ein typisches Beispiel aus jüngster Zeit ist eine Pressemitteilung des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die mit "'Der neuen Normalität ins Auge sehen': Weltbank veröffentlicht PIK-Klimareport" [1] überschrieben ist und sich an den Titel des PIK/Weltbankberichts "Confronting the New Climate Normal" [2] anlehnt.

Bei jener "neuen Normalität", der nun auf Empfehlung des PIK und der Weltbank ins Auge gesehen werden soll, handelt es sich ganz offensichtlich um Folgen einer Politik der Vernachlässigung wirksamer Maßnahmen, um die globale Erwärmung aufzuhalten. Denn was zu tun wäre, ist bekannt, und wurde den politischen Entscheidungsträgern seitens der Wissenschaft durchaus ausreichend vermittelt. Wenn diese nun anders handeln, sind sie es, die die "neue Normalität" geschaffen haben. Nicht irgendein ominöses Schicksal, sondern die Politik setzt die Normen.

Das aber hat sie schon immer getan. Insofern kann man sagen, daß zwar die Normalität neu ist, aber daß diese den eigens produzierten Verhältnissen angepaßt wurde und die Normengeber die gleichen geblieben sind.

Da diese in der Vergangenheit nicht angemessen (im Sinne des Schutzes der am stärksten vom Klimawandel Betroffenen) auf die Analysen der Wissenschaftler reagiert haben, haben die politischen Entscheidungsträger erheblich an Glaubwürdigkeit, es in Zukunft ernst zu meinen mit dem Klimaschutz, eingebüßt. Warum sollte man ihnen etwas abnehmen, was sie auch in der Vergangenheit nicht geleistet haben? Was ist heute anders als beispielsweise vor zehn Jahren? Allenfalls hat sich seitdem die Gewißheit, daß die gegenwärtig zu registrierende Klimaveränderung anthropogenen Ursprungs ist, weiter verfestigt; aber selbst dieses Argument taugt als Ausrede für Untätigkeit nicht. Denn auch wenn der Mensch nicht hauptverantwortlich für den Klimawandel wäre, wäre es auch vor zehn Jahren schon geboten gewesen, Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Linderung der Erderwärmung zu ergreifen.

Wenn nun die "neue Norm" darin besteht, daß vielen Menschen die Lebensgrundlage entzogen wird, wie es im PIK/Weltbankbericht geschildert wird, dann stellt sich die Frage, ob nicht fundamental in die gesellschaftlichen Entscheidungsprozesse eingegriffen werden sollte. Dann müßte eine Voraussetzung der Normgebung, die gesellschaftliche Ordnung, hinterfragt werden, wozu das vorherrschende Gesellschaftssystem jedoch nicht in der Lage ist oder, noch deutlicher, was die gesellschaftlich vorherrschenden Interessen bislang erfolgreich verhindert haben, da sie zu Recht ihre Privilegien in Gefahr sehen.

Eine weitere Frage lautet: Wer muß der neuen Normalität ins Auge sehen? Und was soll demjenigen damit gesagt werden?

Innerhalb einer Gesellschaft werden von der globalen Erwärmung als erstes diejenigen Menschen betroffen, die über die geringsten Mittel verfügen, sich zu schützen, beispielsweise indem sie in weniger von Naturkatastrophen gefährdete Gebiete umsiedeln, etc. Und im Kontext der Staatengemeinschaft erwischt es die ärmeren Länder am stärksten. Also richtet sich der neue Bericht vor allem an diese Personen und Länder, und was mit "ins Auge sehen" gesagt werden soll, ist eindeutig: Sie sollen sich damit abfinden und sich den Gegebenheiten fügen, also anpassen.

Dabei wird ihnen sogar geholfen ... könnte man meinen. So waren vor kurzem auf einer internationalen Geberkonferenz im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Berlin von verschiedenen Ländern Zusagen für den "Grünen Klimafonds" (GCF) in Höhe von 9,3 Milliarden Dollar für vier Jahre zugesagt worden, um ärmeren Ländern bei Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel zu helfen.

Nun haben die ärmeren Länder schon im Zusammenhang mit Entwicklungshilfe und der G8-Entschuldungsinitiative die Erfahrung gemacht, daß Hilfszusagen nicht unbedingt eingehalten werden. Somit handelt es sich bei jenen 9,3 Milliarden Dollar zunächst einmal um ein Versprechen. Außerdem weiß man nicht, ob die Auszahlung der Gelder nicht an bestimmte Bedingungen gebunden wird, beispielsweise an eine den Geldgebern gegenüber positive Regierungsführung. Das könnte bedeuten, daß Länder wie Kuba, Bolivien oder Simbabwe - unabhängig von ihrer Bedürftigkeit - keine Gelder aus dem Westen erhalten oder gedrängt werden, "Strukturanpassungsmaßnahmen" vorzunehmen. Es könnte auch sein, daß jene Zusagen nicht ausgezahlt, sondern als Sach- und Dienstleistung beglichen werden - wovon wiederum Energiekonzerne, Bauunternehmen, Beratungsfirmen, Rechtsanwälte, etc. rundum einer sicherlich zukünftig weiter wachsenden "Klimaschutzindustrie" aus den Geberländern profitieren würden, es sich beim GCF primär um eine seitens der Industriestaaten "über Bande gespielte" Subventionierung der eigenen Wirtschaft handeln würde.

Das wäre aber nur als Nebenaspekt des eingangs angesprochenen, sich in dem PIK/Weltbankbericht abzeichnenden Trends zu bewerten, neue Normen der Betroffenheit als gegeben zu postulieren, also für eine gewisse Katastrophenakzeptanz bei den Menschen zu sorgen. Der Trend in der internationalen Klimaschutzpolitik weist gegenwärtig sowieso weg von der Verminderung (engl. "mitigation") hin zur Anpassung (engl. "adaptation"), was sich in einer bereits seit Jahren anhaltend hohen, wenn nicht sogar steigenden Zahl an wissenschaftlichen Klimastudien zur Verletzbarkeit (engl. "vulnerability") und Widerstandsfähigkeit oder Belastbarkeit (engl. "resilience") bestimmter Regionen und Bevölkerungsgruppen gegenüber den Klimawandelfolgen niederschlägt.

Der PIK/Weltbankbericht befürwortet keineswegs, aber repräsentiert, was man als Ausdruck einer allgemeinen "Friß oder stirb!"-Einstellung bezeichnen könnte - ungeachtet dessen, daß sich Hans-Joachim Schellnhuber, PIK-Direktor und erster Leitautor dieses Berichts, vor wenigen Monaten auf der ersten Internationalen Climate Engineering Conference (CEC'14), die das IASS (Institute for Advanced Sustainability Studies) in Berlin organisiert hat [3], entschieden gegen Konzepte aussprach, die von seiner Forderung abweichen könnten, Klimaschutz über Maßnahmen des Einsparens von Energie und der gesellschaftlichen Transformation weg von fossilen Energieträgern zu leisten. Mit anderen Worten, Prof. Schellnhuber ist gegen Technologien zur Verringerung der Sonneneinstrahlung (SRM - Solar Radiation Management) durch das Ausbringen von Schwefelaerosolen in der Stratosphäre oder das Ausbringen von Spiegelflächen im Weltraum, die zum "Geoengineering" oder "Climate Engineering" gerechnet werden.

Und doch kommen die Wissenschaftler nicht an der Feststellung vorbei, daß die Gefahr eines Überschreitens bestimmter Schwellenwerte (engl. "tipping points") wächst, je länger die Politik auf der Bremse steht oder die Staaten nicht willens sind, dem Schutz vor dem Klimawandel eine größere Bedeutung beizumessen als beispielsweise der Verteidigung ihrer vorteilhaften Position innerhalb der Staatenkonkurrenz. "Wetterextreme wie Hitzewellen, die bislang ungewöhnliche Ereignisse waren, könnten bald die neue Normalität sein", heißt es in der Pressemitteilung des PIK. Das könnte schon ein halber Schritt in Richtung Geoengineering sein, lautete doch eine auf der CEC'14 vertretene Einschätzung, daß eines Tages rasch wirksame Maßnahmen der Klimabeeinflussung notwendig werden könnten, wenn die Verzweiflung unter den Menschen wächst. Das dürfte der Zeitpunkt sein, an dem in einem weiteren PIK/Weltbankbericht eine "neue Normalität" der Katastrophenentwicklung konstatiert wird.


Fußnoten:

[1] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/der-neuen-normalitaet-ins-auge-sehen-weltbank-veroeffentlicht-pik-klimareport

[2] https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/20595/9781464804373.pdf?sequence=3

[3] Berichte und zahlreiche Interviews zur Climate Engineering Conference 2014 finden Sie unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" unter UMWELT → REPORT → BERICHT
und UMWELT → REPORT → INTERVIEW.

28. November 2014