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KLIMA/674: CO2 - Erderwärmung schneller als erwartet ... (SB)


Weltkarte mit Standorten der 3881 betriebsbereiten Argo-Treibbojen, nach Ländern gekennzeichnet - Grafik: Hjfreeland, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]Weltkarte mit Standorten der 3881 betriebsbereiten Argo-Treibbojen, nach Ländern gekennzeichnet - Grafik: Hjfreeland, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]

Das Argo-System im Februar 2018
Grafik: Hjfreeland, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en]

Anfang Oktober hat der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, daß die Menschheit in den nächsten zwölf Jahren eine Trendwende eingeleitet und die CO₂-Emissionen halbiert haben muß. Gelänge das nicht bis zum Jahr 2030, drohe die Erde so weit aufgeheizt zu werden, daß unter den Folgen viele hundert Millionen Menschen unmittelbar leiden werden.

In einer aktuellen "Nature"-Studie [1] wird festgestellt, daß die Erderwärmung beträchtlich schneller abgelaufen sein muß als angenommen. Diese Feststellung ist selbstverständlich nicht mehr in den IPCC-Sonderbericht, der auf der Auswertung der umfangreichen wissenschaftlichen Literatur beruht, eingeflossen, aber sollten die Neuberechnungen bestätigt werden und sich solche Berichte häufen, dann wäre sogar die erwähnte Frist noch zu kürzen.

Demnach haben die Weltmeere in den letzten Dekaden jedes Jahr 60 Prozent mehr Sonnenenergie aufgenommen als gedacht. Bei dieser Angabe stellt sich natürlich sofort die Frage, warum man das nicht gemessen hat und ob denn die Thermometer alle falsche Werte angezeigt haben. Die Antwort ist simpel: Erst ab 2007 stand ein weltweites System mit sogenannten Argo Floats zur Verfügung. Das sind Treibbojen, die Temperatur, Salzgehalt und Strömungsgeschwindigkeit messen. Heute treiben fast 4000 dieser Meßplattformen im Meer. Sie bewegen sich dabei auf etwa 1000 Meter Meerestiefe; alle zwei Wochen sinken sie automatisch auf 2000 Meter ab, um anschließend bis an die Meeresoberfläche aufzutauchen. Während des Aufstiegs werden Meßdaten aufgenommen und, oben angekommen, an einen Satelliten gefunkt, der die Angaben an einen zentralen Rechner weiterleitet.

Man kennt also den Ist-Zustand der Temperatur. Man weiß aber deshalb noch lange nicht, in welchem Zeitraum bzw. mit welcher Geschwindigkeit die Ozeane die Wärme aufgenommen haben, um diesen Ist-Zustand zu erreichen. Wenn nun festgestellt wird, daß die Ozeane in deutlich kürzerer Zeit viel mehr Wärme aufgenommen haben, als in den bisherigen Klimamodellen berücksichtigt wurde, bedeutet das, daß die Erde mehr Energie von der Sonne zurückgehalten hat, anstatt sie wieder abzugeben, und die Meere die Erwärmung abgepuffert haben.

Was folgt daraus für die Menschen? Ihre CO₂-Emissionen entfalten offenbar eine stärkere Treibhausgaswirkung und damit eine größere Energieaufnahme der Erde, als in früheren Klimasimulationen berechnet worden war. Das bedeutet aber, daß sich das CO₂-Budget verkleinert. Das heißt, daß die Menge, die an Treibhausgasen emittiert werden darf, um unterhalb des im Übereinkommen von Paris im Jahr 2015 beschlossenen Mindestgrenzwerts zu bleiben, kleiner ist.

Jener Grenzwert besagt, daß sich die Erde nicht um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit vor rund 200 Jahren erwärmen sollte, weil ansonsten die Folgen katastrophal wären. Das Wunschziel des Pariser Übereinkommens lautet sogar, daß die globale Durchschnittstemperatur möglichst nur um 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ansteigt. Davon hat die Menschheit schon 1,0 Grad in Anspruch genommen. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit, um eine Kehrtwende einzuleiten, womöglich wird der 1,5-Grad-Grenzwert noch vor 2030 überschritten. Somit bestätigt sich die Forderung aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft einmal mehr, daß aus Klimaschutzgründen 80 bis 90 Prozent der bekannten Reserven an fossilen Energieträgern im Boden bleiben müssen.

Die Wärmeaufnahme der Ozeane in der Zeit vor 2007, als es noch kein umfassendes Argo-System gab, konnte von jeher größtenteils nur indirekt berechnet werden, da bis dahin die Meerestemperatur nur sporadisch und an räumlich weit auseinanderliegenden Punkten gemessen worden war. Für die aktuelle, ebenfalls indirekte Meßmethode wurde ein Verfahren gewählt, bei dem das Volumen an Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid bestimmt wurde, das in den letzten Jahrzehnten von den Ozeanen in die Atmosphäre entwichen sein muß, während sich diese aufgewärmt hat.

Ähnlich wie Mineralwasser Gase abgibt, wenn es wärmer wird, entweichen auch aus den Meer Gase, wenn sich das Wasser erwärmt. Wichtig war nun, daß zuverlässige Daten über den Gehalt von Kohlenstoffdioxid und Sauerstoff in der Atmosphäre vorliegen und daß andere Quellen dieser Gase - ebenso wie Senken - aus der Bilanz herausgerechnet werden konnten. Nur dann läßt sich sagen, welche Mengen die Ozeane ausgegast haben und, daraus abgeleitet, aufgrund welchen Temperturanstiegs dies geschehen sein muß.

"Wir haben uns geirrt. Der Planet hat sich stärker erwärmt, als wir dachten. Es hat sich vor uns versteckt, einfach weil wir es nicht richtig beprobt haben", sagte Studienleiterin Laure Resplandy, Geowissenschaftlerin an der Princeton University in den USA. [2]

Demnach haben sich die Ozeane seit den 1960er, 70er Jahren bis heute mehr als doppelt so schnell erwärmt als gedacht. Die Forschergruppe, an der auch Andreas Oschlies, Leiter der Forschungseinheit Biogeochemische Modellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, beteiligt war, hat ausgerechnet, daß das CO₂-Budget zum Einhalten des Zwei-Grad-Grenzwerts um 25 Prozent verringert werden muß.

Das ist ein gewaltiger Wert, wo doch die Politik schon bei weit geringeren Eingriffen wie zum Beispiel dem Ausstieg aus der Kohleverstromung kneift.


Oschlies beim Interview - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Sauerstoff wurde immer ein bißchen mitmodelliert, aber es wurde nie so genau hingeschaut. Die Modelle sind inzwischen so komplex wie die ganze Welt. Da weiß man zunächst nicht, wo man überall hinschauen soll, und man hat nicht genug Leute und nicht genug Zeit, alles zu untersuchen. Doch jetzt haben wir mit dem Sauerstoff eine gute Fährte und werden darüber hoffentlich auch die Sensitivität der Modelle gegenüber Klimaänderungen oder CO2-Änderungen besser in den Griff bekommen, um daraufhin bessere Vorhersagen treffen zu können."
(GEOMAR-Forscher Prof. Dr. Andreas Oschlies, Sprecher des Sonderforschungsbereich 754 "Klima - Biogeochemische Wechselwirkungen im Tropischen Ozean" der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im September 2018 gegenüber dem Schattenblick [3].
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] https://www.nature.com/articles/s41586-018-0651-8.epdf

[2] https://www.washingtonpost.com/energy-environment/2018/10/31/startling-new-research-finds-large-buildup-heat-oceans-suggesting-faster-rate-global-warming

[3] INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ... Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0281.html


9. November 2018


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