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KLIMA/675: CO2 - bis die Dämme brechen ... (SB)




Kurvendiagramm mit CO₂-Konzentration (y-Achse) und Zeit vor heute (x-Achse) - Schaubild: NOAA

CO₂-Gehalt der Atmosphäre ermittelt anhand von Eisbohrkernen
Schaubild: NOAA

Das obige Diagramm bringt anschaulich auf den Punkt, warum die Wissenschaft so eindringlich dazu aufruft, entschiedene Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, damit die Erde keine verheerende Entwicklung einschlägt. Wie man an dem Kurvenverlauf ablesen kann, war in den letzten 400.000 Jahren der CO₂-Gehalt der Atmosphäre niemals über 300 ppm (parts per million) gestiegen. Doch seit Ende der letzten Kaltzeit vor rund 10.000 Jahren und dann noch einmal mit Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren geht die Kurve steil nach oben, hat Mitte des 20. Jahrhunderts die 300 ppm-Marke überschritten und ist seitdem auf über 400 ppm emporgeschnellt.

Um dieses Schaubild genauer zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, daß die CO₂-Konzentration und die globale Durchschnittstemperatur über weite Strecken einen sehr ähnlichen Verlauf nehmen. Als Faustregel gilt: Mehr CO₂ in der Atmosphäre bedeutet höhere Temperatur, und umgekehrt. In dem hier repräsentierten Zeitraum haben sich vier komplette Kalt- und drei Warmzeiten abgespielt. Diese enorme Schwankungsbreite des Klimas, die mal mit einer kompletten Vereisung vom Nordpol bis in unsere Breiten und mal mit fünf Grad höheren Temperaturen auf Grönland einherging, wird gegenwärtig mit dramatischer Geschwindigkeit zurückgelassen. Wir befinden uns in einer Warmzeit, die alles übersteigt, was aus den letzten 400.000 Jahren Erdgeschichte bekannt ist. Zum Vergleich: Während der letzten Warmzeit, auch Eem-Warmzeit oder Riss-Würm-Interglazial genannt, war es im globalen Durchschnitt nur wenige Zehntel Grad Celsius wärmer als heute. Doch der Meeresspiegel lag um vier bis sechs Meter höher, was als Hinweis auf bevorstehende Entwicklungen zu werten ist.

Länder wie China, Rußland und Kanada betreiben zur Zeit eine Klimaschutzpolitik, die, wäre sie weltweit für alle anderen Staaten Vorbild, nicht auf eine nur wenige Zehntel Grad, sondern auf eine gegenüber heute um vier Grad Celsius wärmere Welt hinauslaufen würde. Die USA und Australien stehen dem hinsichtlich ihrer CO₂-Emissionen kaum nach, und selbst die Klimapolitik der Europäischen Union führt noch weit, weit über die maximalen Durchschnittstemperaturen der letzten Warmzeiten hinaus. Das geht aus einer vergangene Woche in "Nature Communications" erschienenen Analyse der nationalen Selbstverpflichtungen (Nationally Determined Contributions - NDCs) aus dem 2015 beschlossenen Klimaschutzübereinkommen von Paris hervor [1].

Die in dieser Studie untersuchten NDCs besagen noch nicht, daß sie auch eingehalten werden. Es gibt kein Exekutivorgan, das darüber wachen würde. Daher könnte es sein, daß die Erderwärmung noch krasser zunehmen wird als gedacht. Nimmt man zum Beispiel Deutschland als Vorbild, das seine selbstgesteckten Klimaschutzziele bis 2020 deutlich verfehlt, so gäben die untersuchten NDCs noch ein geschöntes Bild ab.

Wie brisant die Lage ist, zeigt ein aktueller Bericht über die Eisschilde Grönlands und der Antarktis. Beide könnten partiell kollabieren, selbst wenn die im Übereinkommen von Paris beschlossene Grenze einer maximalen Erderwärmung von zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit nicht überschritten wird. Es bestehen in der Wissenschaft große Unsicherheiten hinsichtlich nichtlinearer Reaktionen, auch Tipping Points oder Kippunkte genannt. Das heißt, selbst bei einer Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 oder zwei Grad Celsius bis Ende dieses Jahrhunderts könnten Prozesse angelaufen sein, die zu signifikanten Eismassenverlusten beitragen, heißt es im Journal "Nature". Beide Eisschilde wiesen Kippunkte bei oder leicht über der Schwelle von 1,5-2,0 °C auf. Die Folge wären große Eismassenverluste mit abnehmender Höhe des Eisschilds von Grönland sowie kollabierendes Schelfeis mit anschließend beschleunigtem Gletscherabfluß aus dem Landesinnern der Antarktis [2].

Schon vielfach beschrieben und auf tragische Weise bewiesen sind es in der Regel nicht die wohlhabenden Menschen, die von den Klimawandelfolgen am schwersten getroffen werden. Auch wenn die eine oder andere Celebrity ihre Villa im kalifornischen Malibu bei den jüngsten Waldbränden verloren hat, dürften diese Menschen noch über komfortable Ausweichsmöglichkeiten verfügen. Das gilt jedoch um vieles weniger für Menschen, die sich zu Fuß auf den Weg von Mittelamerika in Richtung USA oder quer durch die Sahelzone nach Libyen und von da weiter übers Mittelmeer nach Europa machen.

Auch wenn der Klimawandel nicht als monokausale Erklärung für die aktuellen Migrationsströme reicht, tragen Dürre und andere Klimwandelfolgen dazu bei, daß sich Menschen entscheiden, ihre Heimat zu verlassen. Und so wenig sich die internationale Staatengemeinschaft an die Aufgabe macht, einer auf permanentes Wachstum getrimmten, menschliche Arbeitskraft sowie Naturstoffe verwertenden Wirtschaft den Boden zu entziehen, um die Erderwärmung zu stoppen, so wenig bereitet sie sich darauf vor, die im Laufe der nächsten Jahrzehnte wachsende Zahl an Klimaflüchtlingen bereitwillig bei sich aufzunehmen. Heute schon wird von rechts bis in die bürgerliche Mitte hinein die Frage ernsthaft gestellt, ob man Flüchtlinge im Mittelmeer retten soll oder nicht. Die ganz und gar unzureichenden NDCs lassen eine Welt entstehen, in der eine noch viel größere Zahl an Menschen als heute aufbrechen wird, weil ihnen ihre Heimat keine Lebensperspektive bietet.


Fußnoten:


[1] https://www.nature.com/articles/s41467-018-07223-9

[2] https://www.nature.com/articles/s41558-018-0305-8#Abs1


20. November 2018


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