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KLIMA/680: CO2 - Eispanzerschmelzen ... (SB)



Während bei den UN-Klimaschutzverhandlungen in Katowice erdölexportierende Staaten wie die USA, Saudi-Arabien, Kanada und Rußland Beschlüsse von dringend notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung der CO₂-Emissionen torpedieren, berichtet die Wissenschaft von außergewöhnlichen Beobachtungen in den polaren Breiten: Die Arktis verzeichnet eine für diese Jahreszeit relativ geringe Meereisausdehnung; der Eispanzer Grönlands schrumpft immer schneller; die bislang stabilsten Eismassen der Welt, die Gletscher im Osten der Antarktis, fließen rascher ins Meer als noch vor wenigen Jahren angenommen.

Dem noch nicht genug, meldet eine Forschergruppe um Angelika Humbert vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, daß die in der Fachwelt verbreitete These, der riesige Recovery-Gletscher in der Ostantarktis würde aufgrund übervoller Seen an seiner Sohle ins Gleiten geraten wie Autos beim Aquaplaning, ihren Beobachtungen zufolge nicht mehr haltbar ist. Was den Gletscher antreibt, weiß man nicht und will es untersuchen, denn an dieser doch sehr bedeutenden Stelle weisen die Klima- und Eismodelle offensichtlich eine breite Lücke auf. Der Recovery-Gletscher ist ein eisiger Riese, über den die Ostantarktis am meisten Eis verlieren würde, falls die Temperaturen weiter ansteigen [1].

Ebenfalls aktuell berichtet die US-Weltraumagentur NASA, daß sich im Osten der Antarktis nicht nur ein weiterer großer Gletscher, der Totten-Gletscher, in Bewegung gesetzt hat und mit zunehmender Geschwindigkeit ins Meer fließt, sondern sowohl vier kleinere Gletscher westlich und eine Handvoll Gletscher östlich von ihm. All diese Gletscher zeigen eine beschleunigte Fließbewegung und schrumpfen in der Höhe. Einige sind binnen zehn Jahren um rund einen Meter kleiner geworden, andere erleben zur Zeit gleichfalls einen beschleunigten Schrumpfungsprozeß. Der Glaziologe und NASA-Forscher Alex Gardner geht davon aus, daß das Verhalten dieser Gletscher nicht zufällig erfolgt, sondern daß ein System dahintersteckt und daß dies etwas mit dem Ozean zu tun hat [2].

Ähnlich wie warme Meeresströmungen in der Westantarktis eine starke Gletscherdynamik in Gang gesetzt haben, könnte nun auch die Ostantarktis unter den Einfluß wärmeren Meerwassers geraten. Da der Eispanzer der Antarktis nur teilweise auf Land aufliegt, sich einige Gebiete jedoch unterhalb des Meeresspiegels befinden, bieten sich dem Meerwasser unterschiedlich große Angriffsflächen. Jene beiden Gebiete in Nachbarschaft zum Totten-Gletscher entleeren die beiden größten subglazialen, also unter dem Eispanzer liegenden Meeresbecken der Ostantarktis. Sollte deshalb das wärmere Meerwasser unterhalb dieser Gletscheransammlungen immer tiefer ins Innere der Antarktis vorrücken, würde das die aufliegenden Eismassen zunehmend unterhöhlen und somit deren Fließgeschwindigkeit erhöhen.

Wie zu der obigen Frage, wieso der Recovery-Gletscher überhaupt fließt, wenn nicht Wasser den Schmierstoff bildet, über den er gleitet, stellen sich auch hinsichtlich der Folgewirkungen des wärmeren Meerwassers auf die Ansammlung kleinerer Gletscher wesentliche Fragen zur Entwicklung der Erde, insbesondere natürlich hinsichtlich des Meeresspiegelanstiegs, die bis heute noch nicht beantwortet sind.

Auf den Anstieg des Meeresspiegels hat auch die überdurchschnittlich starke Erwärmung der Arktis Einfluß. Zwar schwimmt sogar am Nordpol das Meereis, was bedeutet, daß sein Schmelzen keine unmittelbare Veränderung des Meeresspiegels bewirkt, aber die verstärkte Wärmeaufnahme eisfreien Wassers trägt allgemein zur Erwärmung der nordpolaren Breiten bei, erstens mit der Folge, daß der Permafrost schneller auftaut und vermehrt Methan freigesetzt wird. Dieses hochpotente Treibhausgas befindet sich einerseits in Form von Methanhydrat unter dem ostsibirischen Schelfgebiet, und andererseits würde es bei der Zersetzung der im Permafrost bis dahin gebundenen organischen Masse freigesetzt werden.

Eine weitere Folge der allgemeinen Erwärmung der Arktis betrifft den Eispanzer Grönlands. Seit Beginn der Industrialisierung hat dessen Schmelzrate um 50 Prozent zugenommen, und der Beschleunigungstrend hält an, wie kürzlich im Wissenschaftsjournal "Nature" berichtet wurde [3]. Der Hauptautor einer neuen Studie, der Klimaforscher Luke Trusel von der Rowan University, sagte, daß die Gletscherschmelze von Grönland inzwischen in den "Overdrive"-Modus gegangen ist. Hätten sich die Eismassen erst einmal in Bewegung gesetzt, behielten sie diese bei. "Das ist ein Weckruf, der zeigt, wie schnell sich Grönland verändert", so Trusel [4].

Unter anderem anhand von Eisbohrkernanalysen können die Forscher sagen, daß der stellenweise bis zu 3,2 Kilometer dicke Eispanzer Grönlands in den letzten 350 Jahren nicht so schnell abgeschmolzen ist wie heute. Laut Trusel spricht sogar einiges dafür, daß die Geschwindigkeit der Eisschmelze in den letzten 6.000 bis 7.000 Jahren nicht so hoch war. Die aktuellen Untersuchungen bestätigten frühere Abschätzungen, wonach noch bis Mitte des Jahrhunderts der weltweite Meeresspiegel um 20 bis 30 Zentimeter höher steigen dürfte, als vom Weltklimarat IPCC angenommen. Dessen Projektionen bewegten sich in dieser Frage zwischen rund 25 und 75 cm.

In der Klimaforschung rechnet man damit, daß die Eisschilde Grönlands und der Antarktis im Zuge der Erderwärmung anfangen, beschleunigt abzuschmelzen. Einige Abschätzungen lauten, daß der sogenannte Kippunkt bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit eintreten wird. Dann werde die Gletscherschmelze für lange Zeit nicht mehr aufzuhalten sein, bis daß ein gänzlich neues "Gleichgewicht" der Natursysteme eintritt. Der Meeresspiegelanstieg wird sich dann nicht mehr in Zentimetern rechnen lassen, sondern in Metern.

Welche Folgen das auf die Küstengebiete und flachen Inselstaaten hat, darüber und über die Frage, was jedes Land bereit ist, an Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine absehbar verheerende Entwicklung zu verhindern, wird zur Zeit abschließend auf dem UN-Klimagipfel in Katowice verhandelt. Bis Redaktionsschluß sah es nicht so aus, als würde der fossilen Energiewirtschaft binnen kürzester Frist der Hahn zugedreht.


Fußnoten:

[1] https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse-detailansicht/presse/viel-weniger-seen-unter-dem-eisschild-der-ostantarktis-als-angenommen.html

[2] https://www.nasa.gov/feature/goddard/2018/more-glaciers-in-antarctica-are-waking-up

[3] https://www.nature.com/articles/s41586-018-0752-4

[4] https://insideclimatenews.org/news/05122018/greenland-ice-sheet-melting-tipping-points-sea-level-rise-climate-change-arctic-warming

14. Dezember 2018


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