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KLIMA/710: Candida auris - Evolution in der Offensive ... (SB)



Zusätzlich zu den massiven physikalischen Umbrüchen der Erde in Folge des Klimawandels wie dem allgemeinen Meeresspiegelanstieg, Gletscherschwund, Auftauen der Permafrostböden und den beschleunigten Erosionsvorgängen, ändern sich auch die biologischen Verhältnisse. Arten sterben, wenn sich in Folge der höheren Temperaturen die Vegetationsstufen nach oben in Richtung der Bergspitzen verlagern; tropische und subtropische Fische wandern in die vormals gemäßigteren Breiten ein, deren Meeresbewohner wiederum in die polaren Zonen ausweichen; Überträger von Infektionskrankheiten wie Zecken oder Mücken tauchen in Regionen auf, in denen sie zuvor nicht überwintern konnten. Auch Pilze passen sich den wärmeren Umweltbedingungen an und ändern dabei ihre Eigenschaften, so daß sie für Pflanzen, Tiere und Menschen zu einer Bedrohung werden.

Beispielsweise der schwer zu bekämpfende Pilz Candida auris, der 2009 erstmals bei einem Menschen entdeckt, aber bald darauf zeitgleich in verschiedenen Weltregionen nachgewiesen wurde. Er stellt für immungeschwächte Menschen eine tödliche Gefahr dar. Bei dem Versuch, einen Befall mit diesem Hefepilz einzudämmen, schlugen in einigen Fällen bis zu drei von vier Antimykotika-Klassen überhaupt nicht mehr an. Zudem hält sich der Pilz so hartnäckig, daß vor einigen Jahren das Royal Brompton Hospital in London seine Isolierstation tagelang schließen mußte, da die Desinfektion partout nicht gelingen wollte. In dem Krankenhaus war es in diesem Zusammenhang zu drei Todesfällen aufgrund multiplen Organversagens gekommen. Alle Versuche, die Räumlichkeiten zu desinfizieren, scheiterten. Sicherheitshalber waren sogar manche Kacheln herausgebrochen worden, weil sich der Hefepilz trotz kräftigen Abschrubbens und einer Behandlung mit schärfsten Bekämpfungsmitteln immer wieder gezeigt hatte.

Noch ist unklar, wie es zu der Resistenzentwicklung bei C. auris kommen konnte. Inzwischen wurde er in über 30 Staaten nachgewiesen. Eine Vermutung lautet, daß der häufige Gebrauch von Fungiziden in der Landwirtschaft eine Umgebung geschaffen hat, in der sich der Hefepilz bestens weiterentwickeln konnte [1]. In der Landwirtschaft werden zwar andere Mittel (Fungizide) verwendet als bei der Behandlung von Menschen (Antimykotika), doch beide Mittel setzen an ähnlichen Mechanismen an. Auch unzureichende Krankenhaushygiene gilt als Risikofaktor.

Ein großes Rätsel besteht darin, daß vier Stämme von C. auris dem Anschein nach unabhängig voneinander in weit voneinander entfernten Weltregionen wie Südafrika, Indien und Südamerika entstanden sind. Es ist aber noch niemals gelungen, diese für Menschen gefährlichen genetischen Abweichungen aus einer natürlichen Umgebung zu isolieren. C. auris kann Infektionen der Blutgefäße, des Herzens und des Gehirns auslösen. Einer Studie zufolge endete in 30 bis 60 Prozent der Fälle der Befall immungeschwächter Personen tödlich. Hierzu muß allerdings angemerkt waren, daß es sich bei den Betroffenen um stark immungeschwächte Personen handelte, die bereits im Sterben lagen. Gesunde Menschen dagegen können von C. auris kolonisiert werden, ohne selber daran zu erkranken. Sie verbreiten den Pilz jedoch über Kontaktflächen weiter.

Vor kurzem hat eine amerikanisch-niederländische Forschergruppe in mBio [2], dem Journal der American Society of Microbiology, die Hypothese vorgestellt, daß sich C. auris in Folge der globalen Erwärmung weiterentwickelt hat. Das wäre womöglich der erste neu entstandene Pilz in der heutigen Zeit des Klimawandels, heißt es.

Pilzerkrankungen treten bei Menschen bei weitem nicht so häufig auf wie Infektionen mit Bakterien oder Viren, und auch C. auris ist verglichen mit dem Pilz Aspergillus fumigatus, an dem oder mit dem jährlich rund 200.000 Menschen sterben, unbedeutend. Dennoch hat der Hefepilz die Fachwelt in Unruhe versetzt, weil er nach so kurzer Zeit multiresistent geworden ist und, wie gesagt, sich vier resistente Stämme zur gleichen Zeit entwickelt haben.

Bei der menschlichen Körpertemperatur von 37 Grad Celsius gedeihen die meisten Pilze nicht besonders gut, berichtet einer der Autoren der Studie, Arturo Casadevall, Mikrobiologe und Immunologe an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health. Jedoch könnte C. auris sich an das wärmere Klima angepaßt haben, so daß er nun mit der menschlichen Körpertemperatur besser zurechtkommt. Die globale Erwärmung sei aber wohl nicht der einzige Faktor, der das Entstehen der resistenten Pilzart erklärt, sagte der Forscher laut der "Washington Post". [3]

Ihre Hypothese, daß C. auris zunächst ein harmloser Umweltpilz war und sich dann zu einem menschlichen Pilz weiterentwickelt hat, werde unter anderem dadurch gestützt, daß er erstmals am vergleichsweise kalten Ohr eines Menschen nachgewiesen wurde, bislang aber nicht im sehr warmen Verdauungsapparat. C. auris zählt nicht zu den anaeroben Pilzen, ist salztolerant und gedeiht in seiner ursprünglichen genetischen Ausprägung vor allem in Feuchtgebieten. Die Forscher spekulieren, daß Zugvögel als Zwischenträger gedient haben könnten. Mit ihnen sei der Pilz in Gebiete gelangt, in denen Menschen und Vögel relativ nahe beieinander lebten.

Die Forscher sind sich darüber im klaren, daß sie bisher nicht mehr als eine Vermutung angestellt haben und daß es wahrscheinlich noch weitere Überträger von C. auris gibt. In der Umwelt existiere eine große Zahl von Pilzen mit pathogenem Potential, die nur deshalb noch nicht für Menschen gefährlich geworden sind, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, bei den Körpertemperaturen von Säugetieren zu wachsen; Umweltpilze könnten das 21. Jahrhundert als eine Zeit der Expansion der Pilze prägen, schreiben die Forscher in ihren Schlußbemerkungen.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinung/umme-297.html

[2] https://mbio.asm.org/content/mbio/10/4/e01397-19.full.pdf

[3] https://www.washingtonpost.com/health/2019/07/23/deadly-fungal-disease-may-be-linked-climate-change-study-suggests/

2. August 2019


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