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KLIMA/713: CO2 - Scheinmanöver ... (SB)



Viele Jahre lang konnte die Forderung der Klimaschutzbewegung nach Einführung einer CO₂-Steuer nicht durchgesetzt werden, doch inzwischen ist sie sogar in der Regierung im Gespräch. Weil die einkommensschwachen Haushalte von solch einer regressiven Steuer verhältnismäßig härter getroffen würden als die wohlhabenderen, wird zugleich ein sozialer Ausgleich gefordert. Über dessen Ausgestaltung findet zur Zeit eine lebhafte gesellschaftliche Debatte statt. Man kann sicherlich mit einiger Berechtigung annehmen, daß der Ausgleich nicht wesentlich über den Umfang jener Maßnahmen hinausgehen würde, die zwecks Befriedung des Heers an Lohnabhängigen und zur Sicherung der gesellschaftlichen Eigentumsordnung sowieso installiert sind.

Die bevorzugte neoliberale Politik Deutschlands und der Europäischen Union weist allerdings in eine ganz andere Richtung, nämlich die des Abbaus sozialer Errungenschaften und der Verbreiterung der Kluft zwischen Arm und Reich. Sollte also jemals eine CO₂-Steuer eingeführt werden, würde dies höchstwahrscheinlich von Scheinkompromissen begleitet werden, die verschleiern sollen, daß jene vorherrschenden Interessen unangetastet bleiben.

Im übrigen lassen die inzwischen spürbar raschen Klimaveränderungen gar nicht zu, die globale Krise rechtzeitig über Marktmechanismen, zu denen die Erhebung einer CO₂-Steuer zählt, zu regeln. Wenn man vor dreißig Jahren begonnen hätte, die CO₂-Emissionen, die bei der Herstellung einer Ware entstehen, zu besteuern, hätte das womöglich den gewünschten Lenkungseffekt erzielt. Aber soviel Zeit hat die Menschheit nicht mehr. Nach einem im Oktober vergangenen Jahres vom Weltklimarat (IPCC) veröffentlichten Sondergutachten, in das umfangreiche Erkenntnisse aus der verfügbaren relevanten Literatur eingeflossen sind, muß der Anstieg der anthropogenen CO₂-Emissionen bis 2030 gestoppt und anschließend umgekehrt werden. Je später man damit anfängt, desto drastischer müssen die Maßnahmen sein. Die Einführung einer CO₂-Steuer käme viel zu spät.

Eigentlich hört sich das Konzept plausibel an: Produkte mit hohem "CO₂-Gehalt" verteuern sich, werden deshalb weniger gekauft und verschwinden nach und nach vom Markt. Weil reiche Menschen ein deutlich höheres Konsumniveau haben als ärmere Menschen, müssen sie mehr CO₂-Steuern entrichten. Weil letztere dennoch einen deutlich höheren Anteil ihrer Einnahmen für die neue Steuer aufbringen müßten, wohingegen die Reichen die Unkosten kaum spüren würden, werden verschiedene Konzepte vorgeschlagen, wie für die Armen ein Ausgleich aussehen könnte. Das Grundgesetz sieht zwar keine CO₂-Steuer vor, aber laut dem Öko-Institut könnte sie, vergleichbar beispielsweise mit Heizöl und Treibstoff, als sogenannte Verbrauchssteuer deklariert werden. [1]

Nun verhält es sich aber so, daß die Regierung, wenn ihr jemals daran gelegen wäre, eine weitreichende gesellschaftliche Umverteilung vorzunehmen, um die Armen zu stärken, sie das längst hätte tun können. Dazu bedarf es keiner CO₂-Steuer. Aber was ist in den letzten Jahrzehnten statt dessen geschehen? Die Unternehmen wurden steuerlich entlastet; der Wirtschaftsstandort Deutschland errang aufgrund seiner jahrelangen Lohnzurückhaltung gegenüber anderen Ländern Vorteile; das Spekulationskapital gewann mehr und mehr Oberhand über das Industriekapital; die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zum sogenannten Hartz IV schuf ein Verarmungsregime; der Niedriglohnsektor gewann mehr und mehr Anteile am Arbeitsmarkt; über Freihandelsabkommen (auch mit der EU wurde im wesentlichen eine große Freihandelszone geschaffen) wird die Wirtschaft gegenüber dem Staat gestärkt, und zugleich tritt die einzelne Arbeitskraft in Konkurrenz mit derjenigen auf der anderen Seite der Welt.

Auch wenn die Lebensverhältnisse in Deutschland verglichen mit denen in anderen Weltregionen trotz des beschriebenen Verarmungstrends im allgemeinen noch komfortabel sind, werden auch hierzulande sowie im Rahmen der EU die Einkommensunterschiede strukturell abgesichert. Eine CO₂-Steuer wäre dann eine weitere Variante der Steuererhebung. Sie besäße mit Sicherheit einen klimafreundlichen Touch, aber gewiß würde der Staat damit nicht plötzlich weitreichende Befugnisse des Klimaschutzes an sich ziehen und zugleich die sozioökonomischen Unterschiede aufheben. Jedenfalls ist das in den 26 Ländern, die bereits eine CO₂-Steuer erheben, nicht geschehen.

Ein weiteres Marktinstrument zur Senkung der CO₂-Emissionen stellt der Handel mit Verschmutzungsrechten dar. Doch das Europäische Emissionshandelssystem erfüllt auch vierzehn Jahre nach seiner Einführung nicht die Wirkung, die vorgeblich mit ihm erzielt werden sollte. Bei diesem System wurden ausgerechnet die größten Emittenten mit so vielen handelbaren Zertifikaten beschenkt, daß der Preis für die Zertifikate in den Keller ging und der gewünschte Lenkungseffekt - Reduzierung der Treibhausgasemissionen und somit der globalen Erwärmung - nicht eintrat. Darüber hinaus hat sich einer der größten CO₂-Emittenten Europas, der Energiekonzern RWE, weitreichend mit CO₂-Zertifikaten eingedeckt, als diese billig waren, so daß er damit mindestens bis zum Jahr 2022 versorgt ist und vom Anstieg des Preises für CO₂-Emissionen unbehelligt bleibt. Die Europäische Union wiederum hat dafür gesorgt, daß dies überhaupt möglich ist und die Zertifikate der 2020 endenden Zuteilungsperiode III nicht verfallen, sondern auf die nächste Zuteilungsperiode bis 2030 angerechnet werden können.

Wie locker dieses unternehmerisch sicherlich nachvollziehbare RWE-Manöver von der EU aufgenommen wird, machte Dr. Artur Runge-Metzger, Abteilungsleiter in der Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission, im vergangenen Oktober auf einer Veranstaltung zum neuen IPCC-Sonderbericht deutlich. Das sei nun mal die freie Marktwirtschaft, sagte er bei einer Podiumsdiskussion - ganz so, als sei jener ominöse Markt ein naturgesetzliches Phänomen und nicht etwa so gestaltet worden, daß damit die Profitinteressen einflußreicher Lobbygruppen bedient werden. [2]

Wenn nun in Deutschland oder sogar EU-weit, wie es manche Vorschläge vorsehen, eine CO₂-Steuer eingeführt wird, dann würde sie vielleicht nicht von denselben, wohl aber den gesinnungsgleichen Leuten ausformuliert, die bereits das Europäische Emissionshandelssystem auf eine Weise ausgestaltet haben, daß kein Klimaschutz stattfindet, der den Konzernen und ihren Eigentümern zum Nachteil gereicht.

Den dringend notwendigen Klimaschutz durch eine CO₂-Steuer betreiben zu wollen, dürfte Wunschdenken bleiben und ist geradezu als irreführend anzusehen.


Fußnoten:

[1] https://www.energate-messenger.de/news/194318/oekoinstitut-co2-besteuerung-rechtlich-moeglich

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0147.html

21. August 2019


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