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KLIMA/726: Erderwärmung - klimatisierte Ausflüchte ... (SB)



Derzeit bemühen sich Politiker und Politikerinnen mit dem bewährten opportunistischen Repertoire dieses Berufsstands, Klimaschutzbewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion zu vereinnahmen. Mal werden die vorwiegend jungen Leute ermahnt, nicht die Fähigkeit der Demokratie, ihr Fähnchen stets nach dem Wind zu drehen (bzw. sich selbst zu korrigieren, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Interview mit dem "Tagesspiegel" formulierte) zu unterschätzen, mal wird versucht, ihnen Sand in die Augen zu streuen und so zu tun, als sei man auf ihrer Seite.

Wenn zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel "Klimaschutz" sagt und wenn eine Vertreterin von Fridays for Future "Klimaschutz" sagt, dann meinen beide nicht unbedingt das gleiche. So hat sich Merkel am Donnerstag in ihrer Rede auf dem Kongreß "Eine Welt - Unsere Verantwortung" in Berlin grundlegende Standpunkte der Klimaschutzbewegung vermeintlich zu eigen gemacht. Laut n-tv sagte sie Sätze wie, "wir verbrauchen immer noch mehr als 30 Prozent mehr Ressourcen, als der Planet regenerieren kann", "mit den heute bestehenden Klimazielen der Welt würde sich die Erde um drei Grad erwärmen", "wir sind mit unseren Zielsetzungen noch längst nicht da insgesamt, wo wir hinmüssen" und "den Klimawandel zu verhindern und seine Folgen einzudämmen, das ist eine Existenzfrage". [1]

Merkel stellt sich mit solchen Aussagen jedoch nur vordergründig auf die Seite der Klimaschutzbewegung. Das wird daran deutlich, daß sie, mit Bezug auf die äußerst marginale und für die Klimabewegung insgesamt nicht repräsentative Forderung, die Regierung möge alles Geld statt in den Klimaschutz in Deutschland lieber in Afrika einsetzen, sagte, das gehe "am Problem" vorbei.

Hätte sie sich dagegen auf viel verbreitetere Forderungen bezogen, daß sich Deutschland von der industriellen Landwirtschaft oder der Bundeswehr verabschieden sollte, da beides extreme Klimatreiber sind, wäre sie in Erklärungsnot geraten.

Welche Absichten verfolgt die Kanzlerin also, wenn sie sich an einer Außenseiterposition abarbeitet, aber so tut, als spreche sie über die Klimaschutzbewegung insgesamt? Sind ihre Absichten wohlgesonnen gegenüber deren Anliegen? Wohl kaum, denn dann käme sie gar nicht auf die Idee zu solch einem Winkelzug.

Im übrigen bezahlen die afrikanischen Staaten reichlich für unseren privilegierten Lebensstil. Die sogenannte Entwicklungshilfe, die Deutschland und andere Industrieländer in Afrika investieren, bleibt weit hinter dem zurück, was erstens an Kapital aus Afrika an den dortigen Steuerbehörden vorbei in die Länder des Globalen Nordens fließt, was zweitens dort an Rohstoffen, ohne die es gar keine Wertschöpfungskette gäbe, von der ein Industriestandort wie Deutschland profitiert, zu extrem niedrigen Preisen und unter Verletzung fundamentaler Sozial- und Umweltstandards gefördert und außer Landes geschafft wird, und was drittens die afrikanischen Länder der sogenannte Brain Drain kostet, das Abwandern von Fachkräften, für deren Ausbildung sie in Vorleistung gegangen sind, während die "Ernte" aber von den reichen Ländern eingefahren wird. Diese sparen sich die Ausbildung und greifen die Fachkräfte ab, sobald sie "reif" sind.

Zudem bleibt, viertens, die sogenannte Entwicklungshilfe auch hinter den Kosten für das zurück, was die Länder des Globalen Nordens durch rund zwei Jahrhunderte Industrialisierung mit ungebremsten Treibhausgasemissionen bereits an Klimaveränderungen ausgelöst haben, von deren verheerenden Folgen ausgerechnet die Länder des Globalen Südens, die am wenigsten zu dieser Entwicklung beigetragen haben, am schwersten getroffen werden. All das aber nur am Rande, anläßlich der Behauptung Merkels, Afrika vollumfänglich zu unterstützen gehe "am Problem" vorbei, erwähnt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat laut Reuters diese Woche mit einem neuen Gesetzentwurf aufgewartet, nach dem es doch keine zwangsweise Abschaltung von Kohlekraftwerken geben soll, wie es ursprünglich vorgesehen war. Die Regierung will statt dessen den Kraftwerksbetreibern so hohe Prämien anbieten, daß sich für sie die Abschaltung rentiert.

Wer den Fortbestand von Kohlekraftwerken bis 2038 beschließt und eine Vollbremsung beim Ausbau von Wind- und Sonnenenergie vollzieht, gleichzeitig die Verbreitung der unsäglichen individuellen Elektromobilität forciert, anstatt den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen, erzeugt gezielt im Jahr 2021, wenn eigentlich die letzten Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden sollen, eine eklatante Mangelsituation, einen vermeintlichen Sachzwang, der dann nicht zufällig nur durch eine Verlängerung der Laufzeiten von Atom- und Kohlekraftwerken behoben werden kann.

Für diese Art der Politik steht Merkel, die, das wird häufig vernachlässigt, nicht nur den sogenannten Atomausstieg beschlossen hat, sondern zuvor auch den Ausstieg aus dem Ausstieg, wie er von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeleitet worden war. Die Bundeskanzlerin hat sich einmal um die eigene Achse gedreht, und wer weiß, ob sie angesichts der dabei entfalteten Dynamik der Schwung nicht noch weiterträgt und ein zweites Mal aus dem Ausstieg ausgestiegen wird. Um an dieser Stelle auch nur der entferntesten Möglichkeit eines Mißverständnisses entgegenzutreten, sei angemerkt, daß hier nicht auf die aus gequirltem Braun hervorgegangene Merkel-muß-weg-Einstellung Bezug genommen wird. Die Bundeskanzlerin vertritt die Kapitalinteressen und tut so, als könnten die Verursacher des Klimawandels zugleich eine Lösung "des Problems" sein. Damit stellt sie sich nicht an die Seite der Klimaschutzbewegungen, sondern diesen gegenüber, egal, welche kreideweichen Worte sie verwendet.


Fußnote:

[1] https://www.n-tv.de/politik/Merkel-redet-Industrielaendern-ins-Gewissen-article21396214.html

15. November 2019


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