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KLIMA/743: Globale Wandlungen - Chaos in spe ... (SB)



In den letzten 40 Jahren haben sich die großen Ozeanwirbel in Richtung der Pole verlagert. Das wird in einer neuen wissenschaftlichen Studie auf die Erderwärmung zurückgeführt. Auch in Zukunft wird mit einer Fortsetzung des Trends gerechnet. Die Folgen dürften gravierend sein: Einbruch der Küstenfischerei, regional stärkerer Anstieg des Meeresspiegels, Dürren in bislang niederschlagsreichen Gebieten und damit einhergehend landwirtschaftliche Verluste. Und so, wie die Ozeanwirbel vom Wind angetrieben werden, beeinflussen sie umgekehrt auch die Windsysteme. Auf der Erde gerät also viel mehr durcheinander, als man sich gemeinhin vorstellt, wenn von "Klimawandel" die Rede ist.

Forschende um Erstautor Hu Yang vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven haben Satellitendaten aus einem Zeitraum von rund 40 Jahren zur Temperatur der Meeresoberfläche und zur Höhe des Meeresspiegels ausgewertet und miteinander in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis kam nicht überraschend, wie eine frühere Studie dieses Autors zeigt, war aber so bislang noch nicht beschrieben worden: Um durchschnittlich 800 Meter jährlich verschieben sich die Grenzen der Tausende Kilometer durchmessenden Ozeanwirbel und ihrer wichtigen Randströme polwärts. Als Hauptmotor wurde laut dem AWI-Klimasimulationsmodell die allgemeine Erderwärmung identifiziert, berichten die an der Studie Beteiligten im Magazin "Geophysical Research Letters". [1]

In einer Pressemitteilung des AWI verwies Hu Yang auf den grundlegenden Meereswandel, der gegenwärtig stattfindet und stärker werden dürfte: "Mit den westlichen Randströmen verschieben sich zum Beispiel die Pfade der Winterstürme und des Jetstream. In den Randbereichen der östlichen Randströme beobachten wir, dass die reichhaltigen Ökosysteme schrumpfen, weil sich durch die Strömungsverlagerung die Lebensbedingungen für die Meeresbewohner zu schnell ändern." [2]

Zu den Begleiterscheinungen der Verlagerung gehört beispielsweise das Abwandern der Kabeljaubestände aus dem Golf von Maine an der US-Ostküste und auf der Südhalbkugel vor der Ostküste Uruguays und Argentiniens. In Folge des Abwanderns der großen subtropischen Ozeanwirbel weiten sich die nährstoffarmen Meeresregionen aus, so daß die Produktivität der Weltmeere insgesamt abnimmt. Weniger Nährstoffe bedeutet jedoch Abnahme des Fischfangs. Laut AWI könnte das den Beginn "eines grundlegenden Wandels der Weltmeere" markieren.

Bereits vor drei Jahren hatte das Bremerhavener Forschungsinstitut über eine Studie berichtet, derzufolge sogenannte Randströme wie der Kuroshio-Strom vor der Küste Japans (der zu einem raschen Abtransport der Radionuklide aus dem Küstenabschnitt des havarierten Akw Fukushima-Daiichi gesorgt hat) und der Agulhasstrom vor der Ostküste Südafrikas kräftiger werden und sich in Richtung der Pole verlagern. Dadurch würde mehr Wärme in die gemäßigten Breiten eingebracht, wo sich daraufhin die Sturmgefahr erhöht. [3]

Allein der Golfstrom fällt aus dem Muster heraus, dem ansonsten alle Randströme folgen, da sie hauptsächlich vom Wind angetrieben werden. Als Teil des globalen Förderbands, das sich durch alle Weltmeere erstreckt, ist der Golfstrom weniger von den Windsystemen als vielmehr von Temperatur und Dichte (Salzgehalt) des Meerwassers abhängig. Ein starker Süßwassereintrag in Folge der Gletscherschmelze von Grönland könnte das globale Förderband lähmen oder sogar unterbrechen - wenngleich nicht in der atemberaubenden Geschwindigkeit, wie es in Roland Emmerichs Hollywood-Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow" (2004) dargestellt wird.

Die von Hu Yang et al beschriebenen Effekte der globalen Erwärmung sind nicht die einzigen, die gegenwärtig im Zusammenhang mit den Weltmeeren beobachtet werden. Daß sich diese aufheizen, wurde im Januar dieses Jahres in einer Studie mit dem Titel "Record-Setting Ocean Warmth Continued in 2019" im Journal "Advances in Atmospheric Sciences" beschrieben. [4] Die in den letzten 25 Jahren besonders starke Erwärmung der Ozeane löst Hitzewellen sowohl in den Meeren als auch an Land aus, läßt Korallenriffe absterben, stört die marine Nahrungskette, sorgt für kräftigere Hurrikane und läßt toxische Algenblüten gedeihen. In weiteren Forschungen wird von einer stetigen Versauerung der Ozeane, einer generellen Abnahme des Sauerstoffgehalts und der Zunahme von sogenannten toten Zonen gesprochen. Das heißt, daß sich nicht nur die Atmosphäre im Umbruch befindet, sondern daß auch die Ozeane eine grundlegende Wandlung erfahren.

Die wie selbstverständlich das Weltbild bestimmende, selten hinterfragte Stabilität und Ordnung der Verhältnisse in den Natursystemen erweist sich offenkundig als Irrtumsvorstellung. Auf der Erde geht vieles durcheinander, was bis dahin fest schien. Manchmal versucht die Wissenschaft, nicht nur Einzelaspekte ihrer speziellen Ausrichtungen darzustellen, sondern sich ein umfassenderes Bild von den unterschiedlichen Entwicklungen und ihren gegenseitigen Wechselverhältnissen zu verschaffen.

Ein Beispiel dafür ist die im August 2018 in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlichte Studie über das gleichzeitige Überschreiten mehrerer "Tipping Points". Das habe wahrscheinlich einen Kaskadeneffekt aufgrund von Rückkopplungen in den Natursystemen zur Folge, mit dem Ergebnis, daß eine "Hothouse Earth", also eine Heißzeit, entsteht.

"Die Auswirkungen eines "Hothouse Earth"-Ansatzes auf menschliche Gesellschaften wären wahrscheinlich gewaltig, manchmal schlagartig und zweifellos zerstörerisch", heißt es in der Studie. Noch innerhalb dieses Jahrhunderts werde diese Schwelle überschritten, sofern es nicht gelingt, die menschengemachten Treibhausgasemissionen drastisch zu senken. [5]

Der Kaskadeneffekt tritt möglicherweise bereits bei einer globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit ein, also innerhalb der Zielkorridors, der 2015 im Klimaschutzübereinkommen von Paris beschlossen worden war. Von dieser Erwärmung wurde bereits ein Grad Celsius in Anspruch genommen, und rechnet man den gegenwärtigen Trend der anthropogenen Treibhausgasemissionen hoch, so käme es zu einer Erwärmung von drei bis vier Grad C.

Mit der allmählichen Verlagerung der acht großen ozeanischen Wirbel kommt ein weiterer Effekt hinzu, der zeigt, wie umfassend sich die Weltmeere gegenwärtig verändern. Da diese Wirbel vor allem von Wind angetrieben werden, deutet das auf eine generelle Veränderung der Windgeschwindigkeit hin. Umgekehrt beeinflussen die Meeresströmungen ebenfalls die Windsysteme. Verändern sich dadurch beispielsweise die Jetstreams, jene kräftigen, in großen Bögen um die Erde mäandrierenden Luftströmungen, die hierzulande die Hochs und Tiefs heranschaufeln, betrifft das nicht nur die Küstenbereiche, wie in der AWI-Studie angedeutet, sondern auch die Kernregionen der Kontinente.


Fußnoten:

[1] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1029/2019GL085868

[2] https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse-detailansicht/presse/grosse-windgetriebene-meeresstroemungen-verschieben-sich-polwaerts.html

[3] https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse-detailansicht/presse/ozeanische-randstroeme-werden-staerker-und-verlagern-sich-richtung-pol.html

[4] https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00376-020-9283-7.pdf

[5] https://www.pnas.org/content/115/33/8252

1. März 2020


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