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RESSOURCEN/080: Kanada und andere Arktis-Anrainer rüsten auf (SB)


Kanadas Premierminister Harper mit bellizistischen Tönen

Zugleich trafen sich US-Militärs in Washington und berieten über das strategische Interesse der USA an der Arktis


Wenn das Eis der Arktis weiter schmilzt, eröffnen sich gänzliche neue Räume, die erschlossen werden können, frohlocken Ölgesellschaften, Bergbaukonzerne und auch Handelsunternehmen, die ihre Schiffe künftig durch die Nordwestpassage entlang des hohen Nordens Kanadas lotsen können. Jene perspektivisch bereits verfügten Räume unterliegen aber bislang noch keiner unstrittigen Aufteilung. Länder wie Rußland, USA, Kanada, Dänemark, Norwegen beanspruchen einen Teil des Kuchens, der zugleich von anderen ins Auge gefaßt wird, so daß ohne Übertreibung festgestellt werden kann, daß die Region auf eine schwere Auseinandersetzung, die womöglich sogar mit militärischen Mitteln geführt werden wird, zusteuert.

Unter dem Nordpol werden bis zu 25 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven vermutet. Zudem dürfte der Meeresboden viele weitere wertvolle Rohstoffe wie Diamanten, Silber, Kupfer, Zink und möglicherweise Uran enthalten, deren Abbau dann wirtschaftlich attraktiv wird, wenn die Eisfläche zumindest sommers verschwindet. Im Zeitalter der zunehmenden Nahrungsmittelverknappung besitzen die fischreichen nordischen Gewässer außerdem großen Wert als Proteinlieferant.

Vergangene Woche Dienstag wurde in Washington eine Tagung zum Thema Klimawandel und neue strategische Herausforderungen für die USA abgehalten. Dort warnte US-Konteradmiral Timothy McGee, der bei der US-Marine für die Bereiche Meteorologie und Ozeanografie zuständig ist, daß die Zeit knapp sei und sich die Lage zuspitze. Deshalb müßten die USA ihr Interesse an der Region deutlich machen und voranbringen.

Wie sehr der hegemoniale Anspruch im Denken des US-Admirals verankert ist, beweist sein Vergleich der unerschlossenen Regionen der Arktis mit dem Mittleren Osten vor einhundert Jahren - als sei die Region vor dem Einmarsch der Kolonialherren unbewohnt gewesen! Damals seien Fehler gemacht worden, die diesmal nicht wiederholt werden dürften, mahnte McGee. Was genau der Konteradmiral damit meinte, blieb offen, aber wahrscheinlich hätte er es bevorzugt, wenn die USA im Mittleren Osten von Anfang an ihren Anspruch stärker militärisch vorgetragen hätten, anstatt sich heute in verschleißreichen Besatzungskriegen in Afghanistan und Irak zu verausgaben oder eine Drohkulisse gegen Iran aufzubauen.

US-Konteradmiral Brian Salerno von der Küstenwache der Vereinigten Staaten machte bei dem Treffen darauf aufmerksam, daß Washington den neuen internationalen Seerechtsvertrag noch nicht unterzeichnet habe und sich deshalb in einer schwachen Position gegenüber anderen Ländern befände, die ihren Anspruch auf eine eigene, angemessen große Wirtschaftszone im Polarkreis durchsetzen könnten.

Die Einschätzung von der geschwächten USA ist nicht nachvollziehbar, denn jedes Recht muß letztlich militärisch durchgesetzt werden. Militärisch sind die USA aber weltweit führend. Selbst wenn sie zur Zeit Rußland auf dem Gebiet der Eisbrecher nicht im mindesten das Wasser reichen können, so ließe sich diese Lücke innerhalb eines Jahrzehnts schließen. Im übrigen besitzen die USA eine U-Bootflotte, mit der sich territoriale Ansprüche auf Teile der Nordpolarregion sehr wohl durchsetzen lassen - auch wenn das ein Bruch mit dem Internationalen Seerecht bedeutete. Wer wollte das bei welchen Land einklagen?

Bereits der Umstand an sich, daß sich hochrangige Militärs in Washington treffen und über die Folgen des Klimawandels und das strategische Interesse der USA an der Arktis diskutieren, zeigt die Brisanz des Themas. Alle oben genannten Länder würden gegen die Ansprüche der USA opponieren, insbesondere natürlich Rußland. So hatten russische Wissenschaftler Ende Juni dieses Jahres unter Verweis auf geologische Studien behauptet, daß es zwischen dem russischen Festlandsockel und der Nordpolregion eine direkte Schelfverbindung, den Lomonosow-Rücken, existiere und daß das Territorium deshalb zu Rußland gehöre. Dessen territorialer Anspruch wurde prompt auf rund 1,2 Millionen Quadratkilometer erweitert - Dänemark hatte vor einiger Zeit ebenfalls behauptet, von Grönland aus gebe es eine kontinentale Verbindung zum Lomonosow-Rücken. Nach der bisherigen Aufteilung gehört der Nordpol jedoch niemandem, und die anderen Anrainerstaaten werden entweder ebenfalls eine geologische Struktur "entdecken", die zu ihrem Kontinent paßt, oder Rußlands Ansprüche - sofern sie aufrechterhalten werden - mit anderen Mitteln zu begegnen suchen.

Rußland hatte bereits im Jahr 2001 beim zuständigen UN-Gremium für die Grenzen der Kontinentalschelfe eine Eingabe gemacht und gefordert, daß ihm eine Erweiterung der 200-Meilen-Wirtschaftszone zusteht. Der Antrag wurde zurückgewiesen. Mit den neuen geologischen Funden dürfte der nächste Antrag in gleicher Sache nicht lange auf sich warten lassen.

Selbst Kanada, ein enger Verbündeter der USA, betont mit unverhohlenem Blick in Richtung seines südlichen Nachbarn, daß seine Recht auf die Nutzung großer Teile der Arktis notfalls militärisch abgesichert werde. Vor wenigen Tagen besuchte der konservative kanadische Premierminister Stephen Harper eine Marinebasis bei Victoria in der Provinz British Columbia und betonte, niemand solle sich vertun, Kanada werde seine Souveränität über die Arktis verteidigen - sprich: um die ölreiche Region kämpfen.

Kanada hat den Bau von bis zu acht militärischen Eisbrechern sowie den eines neuen Tiefseehafens im Norden des Landes in Auftrag gegeben. Kosten: über fünf Milliarden Euro. Darüber hinaus wird Kanada die Region mit Unterwassersensoren gegen Eindringlinge bestücken und ein Bataillon der Luftwaffe speziell auf arktische Verhältnisse trainieren. Die britische Zeitung "The Guardian" (11. Juli 2007) bezeichnete Harpers Botschaft und die kriegerische Art, in der sie vorgetragen wurde, recht treffend als ein Zeichen, daß die Arktis heißer werde - sowohl wörtlich aufgrund der Erderwärmung als auch metaphorisch, weil die Region zu einem Politikum geworden sei.

Ähnlich wie US-Konteradmiral McGee sprach auch Harper davon, daß die Nordpolarregion von wachsendem Interesse sei, aber auch zur Besorgnis Anlaß gebe. Dies dürfte nicht nur auf die ungeklärte Frage der Ressourcennutzung gemünzt sein, sondern auch auf den Streit um die Nordwest-Passage. Sobald sie nicht nur kurze Zeit, sondern mehrere Wochen oder gar Monate weitgehend frei von Treibeis ist, werden große Handelsströme von Europa nach Asien nicht mehr durch den Panama-Kanal geführt, sondern quer durch den zerklüfteten Norden Kanadas. Das verkürzt die Strecke um sagenhafte 2150 Seemeilen, also um rund 3900 Kilometer.

Die USA behaupten, bei dem bislang zu Kanada zählenden Territorium handele es sich um neutrales Gewässer, und lassen die Strecke regelmäßig von atomar getriebenen U-Boote befahren. Eine Verschärfung der Auseinandersetzung mit Kanada scheint vorprogrammiert. Niemand will bei dem Ringen um die bedeutende Ressourcenregion zurückstecken, und der Ost-West-Konflikt dürfte sich in naher Zukunft nicht mehr vornehmlich an der westeuropäisch-russischen Grenze entzünden, an der entlang die USA Raketen positionieren wollen, mit denen Rußlands Zweitschlagskapazität neutralisiert werden könnte, sondern auch in Alaska, wo die USA bereits einen Raketenabwehrschirm errichten.

16. Juli 2007