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RESSOURCEN/085: Ölpreis übersteigt "magische Grenze" (SB)


New Yorker Börse notierte Rohöl mit über 100 Dollar pro Faß

Medien und Wirtschaftsanalysten verteilen Beruhigungspillen


Erstmals in der Geschichte ist der Rohölpreis an der New Yorker Börse kurzfristig auf über 100 Dollar pro Barrel (159 Liter) gestiegen. Die "magische Schwelle" wurde überschritten - was vor wenigen Monaten noch als Möglichkeit, die es unbedingt zu vermeiden gelte, beschrieben wurde und bis dahin als Grund für tiefste Beunruhigung galt, soll offensichtlich nun, da der Fall tatsächlich eingetreten ist, geradezu ins Gegenteil verkehrt werden. Ein typisches Beispiel dafür ist die Überschrift eines Berichts der Nachrichtenagentur Reuters vom heutigen Donnerstag. Dort lesen wir:

"Ölpreis könnte kurzfristig sinken - langfristig Anstieg erwartet"

Wohlgemerkt, Anlaß des Berichts war das Überschreiten der magischen Schwelle, nicht jedoch ein sinkender Ölpreis. Warum sprechen Experten überhaupt von sinkenden Ölpreisen? Und warum nimmt Reuters das als Aufhänger? Auch im ersten Teil des Berichts wird zunächst weiter beruhigt:

"Nach dem Rekordhoch beim Öl können sich Unternehmen und Verbraucher kurzfristig wohl auf nachlassende Preise einstellen.

Auf lange Sicht hingegen dürfte sich der Rohstoff wegen der starken weltweiten Nachfrage weiter verteuern. 'In nächster Zeit sollten die Preise runtergehen', sagte Rainer Wiek vom Energieinformationsdienst (EID) am Donnerstag zu Reuters. Denn das erste Vierteljahr sei üblicherweise das schwächste beim Ölverbrauch. Auch Commerzbank-Experte Eugen Weinberg erwartet eher eine Beruhigung der Märkte. 'Angesichts der hohen Konjunkturrisiken ist das derzeitige Preisniveau fundamental nicht gerechtfertigt.'"
(Reuters, 3.12.2008, 15.12 Uhr)

Leserinnen und Leser gewinnen somit den Eindruck, als wollten die Experten eine Senkung der Ölpreise ankündigen. Darum ging es jedoch nicht, sondern um den Anstieg. Und erst im weiteren Verlauf des Berichts erfährt man, daß die Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) damit rechnet, daß der Ölpreis "mit zunehmender Nachfrage" - und die wächst derzeit tatsächlich stark an - auf über 150 Dollar pro Barrel, in zwölf Jahren sogar auf 200 Dollar pro Barrel steigen wird.

Der Wirtschaftsanalystin Kemfert kann nun wirklich nicht unterstellt werden, sie sei eine glühende Anhängerin der Peak-Oil-Theorie. Deren Vertreter gehen davon aus, daß die Zeit der preiswerten Ölressourcen endgültig vorbei ist. Das Maximum der Ölförderung sei überschritten, künftig werde die geförderte Menge deutlich zurückgehen bei umgekehrt dramatisch steigenden Preisen. Diese Ansicht wird ebenso vehement vertreten wie sie Kritik seitens der um Beruhigung bemühten Ölindustrie einstecken muß, die einen Ölmangel in ferne Zukunft schiebt.

Der heutige Ölpreis, der inzwischen wieder knapp unter 100 Dollar pro Barrel liegt, entspricht ziemlich genau der Prognose der Peak-Oil-Vertreter, ebenso wie Kemferts Einschätzung der weiteren Entwicklung mit Rohölpreisen von 200 Dollar pro Barrel. Das stellt nicht einfach nur, wie die DIW-Vertreterin meint, "eine konjunkturelle Gefahr" dar, sondern ist im ersten Schritt ein Schlag gegen die Mehrheit der Menschen in den ärmeren Ländern, im zweiten gegen die unteren sozialen Schichten in relativ wohlhabenden Staaten wie Deutschland und könnte im dritten Schritt zur globalen Verelendung riesiger Gebiete führen - es sei denn, es gelänge, in kurzer Zeit eine fundamentale Systemveränderung durchzusetzen. Das würde jedoch an den Grundfesten der hiesigen Gesellschaftsordnung rütteln, der Eigentumsfrage.

Das gegenwärtige System ermöglicht es einzelnen Menschen, ungeheuren Reichtum anzuhäufen. Besitz definiert sich ausschließlich darüber, daß allen anderen die Verfügbarkeit über etwas entzogen werden soll. Wenn zum Beispiel jemand tausend Apfelbäume seinen Besitz nennt, dann kann er sie gar nicht selbst nutzen, wohl aber andere davon abhalten, von den Äpfeln zu essen. Und weil er seine Plantagen nicht alleine verteidigen kann, wird sich der Besitzer überlegen, ein paar Äpfel an Wächter abzugeben, die das für ihn übernehmen.

Dieses Prinzip, das sich millionenfach in extrem ausdifferenzierter Form in der heutigen Gesellschaft wiederfindet, kann nicht unangetastet bleiben, wollte man verhindern, daß große Teile der Menschen technologisch marginalisiert und in der Konsequenz wahrscheinlich existentiell gefährdet werden. Umgekehrt setzt ein Schritt in eine andere Richtung voraus, daß die Dinge beim Namen genannt werden und nicht, wie obiges Beispiel zeigt, daß das heraufziehende Gewitter als Sonnenschein angekündigt wird.

Die hohen Preise für Öl und Benzin haben unter anderem zur Verteuerung von Dünger, der Herstellung von Lebensmitteln und deren Transport geführt. Aus Irak, Sudan, Somalia und einer Reihe weiterer Länder wird bereits über einen eklatanten Lebensmittelmangel berichtet. Dieser Trend setzt sich im neuen Jahr fort. Eine treibende Kraft geht vom knappen Öl aus, ob der Gipfel der Förderung überschritten ist oder noch nicht.

3. Januar 2008