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RESSOURCEN/101: Weltwasserforum - Kein Menschenrecht auf Wasser (SB)


Gegengipfel zum 5. Weltwasserforum in Istanbul fordert Menschenrecht auf Wasser und Ende der Privatisierung


So wenig, wie vom kommenden G20-Gipfel in London zu erwarten ist, daß die versammelten Staats- und Regierungschefs der wirtschaftsstärksten Industrienationen eine Abschaffung des euphemistisch "freie Marktwirtschaft" genannten globalen, permanent Mangel generierenden Systems beschließen werden, so wenig sollte auch von einem Weltwasserforum erwartet werden, daß es andere Resultate zeitigt, als die elitären Verfügungsinteressen zu stärken. Das hat das am vergangenen Sonntag, den 22. März, mit dem Weltwassertag zu Ende gegangenen 5. Weltwasserforum in Istanbul unter Beweis gestellt.

Rund 20.000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilbevölkerung forderten in ihrem Abschlußdokument unter anderem, daß der Zugang zu Trinkwasser verbessert werden müsse. Wasser sei ein "Grundbedürfnis" des Menschen, konstatierten die aus 180 Ländern angereisten Forumsteilnehmer nach der einwöchigen Konferenz. Da drängt sich der Verdacht auf, den Gästen wurden verdummungsfördernde Substanzen ins Wasser gemischt. Denn die Aussage, daß Wasser ein "Grundbedürfnis" ist, lautet übersetzt: Der Mensch muß trinken, sonst stirbt er.

Wer zu solch tiefschürfenden Lebenserkenntnissen gelangt, hat natürlich keine Zeit, sich so profanen Problemen zu widmen wie, allen Menschen ausreichend Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, damit sie nicht sterben. Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hatte bereits in seiner Eröffnungsansprache die Meßlatte dermaßen tief gehängt, daß jenes abschließende Ergebnis der Konferenz niemanden überraschen durfte. Gül erklärte: "Wir müssen verstehen, daß Wasser eine begrenzte Ressource ist." Aha. Darauf wären die eine Milliarde Menschen, die keinen ausreichenden Zugang zu Wasser haben, sicherlich nicht gekommen.

In der Aussage Güls steckt aber mehr, als es auf den ersten Eindruck scheinen mag. Er versucht damit den Boden für die fortgesetzte Begründung der künstlichen Verknappung von Wasser mittels des Preises zu bereiten. Denn das Grundkonzept des aus privaten Geldern gesponsorten Weltwasserforums lautet: Wenn Wasser etwas kostet (also verknappt wird), gehen die Menschen sorgsam damit um.

Gül spricht zwar von "wir", meint damit aber selbstverständlich nicht sich selbst und seinesgleichen - und er meint damit schon gar nicht die Vertreter der großen Wasserkonzerne, sie sich ebenfalls in Istanbul eingefunden haben, um neue Geschäfte zu tätigen. Geschäfte, die ohne eine künstliche Verknappung des Wassers gar nicht denkbar sind.

Wäre es technisch machbar, den Menschen die Atemluft vorzuenthalten, würde auch sie zur Ware, das heißt zur Mangelware. Die bislang nicht zu realisierende technische Verknappung ist der einzige Grund, warum Menschen noch nicht die Luft zum Atmen vorenthalten wird, um sie ihnen anschließend wieder zu verkaufen, nachdem sie in der Spanne zwischen Vorenthalt (Raub) und Verkauf (Gunst) ihre Arbeitskraft ausbeuten lassen mußten.

Bei Wasser hingegen verhält es sich anders. Es kann verknappt werden. Der Mangel am zur "Ressource" erklärten Wasser kam erst in die Welt, als Menschen begannen, Verfügungsansprüche zu erheben und diese gegenüber den Mitmenschen durchzusetzen, in der Regel unter Anwendung von physischer Gewalt. Das heißt, erst als Land, Wasser, Lebewesen, etc. zu Eigentum wurden, trat bei jenen, die durch den Eigentumsanspruch ausgeschlossen wurden - und Ausschluß wäre als eigentliche Funktion von Eigentum zu bezeichnen -, Mangel auf. Ursprünglich wurden die Eigentumsansprüche gegenüber den Mitmenschen mit der Keule oder anderen grobmechanischen Gerätschaften durchgesetzt. Später kamen abstraktere Gewaltformen, zum Beispiel das Recht, hinzu. Auch das bedurfte und bedarf noch heute zwingend der physischen Gewaltmittel zu seiner Durchsetzung, ansonsten bliebe es bedeutungslos.

Es ist wichtig, sich darüber im klaren zu sein, daß aus dem Recht Unrecht entsteht - nicht umgekehrt! Das Recht war zuerst da, und damit der Rechtsanspruch gegenüber anderen Menschen, die erst durch ihn ins Unrecht gesetzt wurden. Das ist insofern hinsichtlich der Frage der Wasserverfügbarkeit wichtig, als daß es hilft, das Anliegen eines Alternativgipfels zum Weltwasserforum einzuordnen. Dessen Teilnehmer forderten ein Menschenrecht auf Wasser und sahen sich von Anfang an Repressionen seitens der türkischen Sicherheitskräfte, die mit großer Härte gegen Demonstranten vorgingen, ausgesetzt. Ein bunter Strauß von engagierten Einzelpersonen und Organisationen wie Attac, Verdi, BUND, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Gegenströmung - Ilisu-Kampagne Deutschland, Berliner Wassertisch, die sich zu SuKo (was für türkisch "Wasserkoordinierung" steht) zusammengefunden hatten, zählte allein von deutscher Seite aus zu der Gegenbewegung.

Unter den zahlreichen Vorschlägen des Gegengipfels gab es neben vielen unbedingt begrüßenswerten Forderungen wie keine Privatisierung und Ökonomisierung des Wassers, Abschaffung seines Warencharakters, Förderung eines ökologisch schonenden Umgangs mit Wasser auch einen zentralen Vorschlag, der zumindest diskutierenswert ist. Der Gegengipfel griff eine Forderung vom letzten Weltwasserforum 2006 in Mexico City auf und verlangte, ein Menschenrecht auf Wasser zu verabschieden.

An dieser Stelle soll nicht in Frage gestellt werden, daß eine Welt, in der Wasser als Menschenrecht anerkannt ist, für viele Menschen lebenswerter sein kann als eine Welt, in der mit Hilfe dieses existentiell unverzichtbaren Lebensmittels Geld gescheffelt wird. Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen zum Zusammenhang von Eigentum, Mangel und Recht als verlängerter Arm auf der Seite des Stärkeren, der in der Regel über die Gewaltmittel verfügt, bleibt allerdings festzustellen, daß durch die Forderung nach einem Menschenrecht auf Wasser das Problem der Verknappung nicht grundsätzlich in Angriff genommen wird.

Es gibt viele wohlklingende Menschenrechte ... schade um die Bäume, die gefällt wurden für das Papier, auf dem diese Rechte geschrieben sind. Ein weiteres Menschenrecht wird die Not eines Großteils der Menschheit nicht beheben, und es bestehen ernsthafte Zweifel, daß ein Menschenrecht auf Wasser auch nur ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Eigentlich rührt die Frage der Verfügbarkeit von Wasser für jedermann an der Grundfrage, warum der Mensch überhaupt in einer Gesellschaft leben sollte, wenn diese nicht ihren ursprünglichen und nach wie vor unterstellten Anspruch erfüllt, dank der Ausdifferenzierung der menschlichen Gemeinschaft (Arbeitsteilung) eine allgemeine Verbesserung an Lebensqualität zu bieten. Da jedoch die Vergesellschaftung des Menschen zur Folge hatte, daß ein Großteil der Menschheit heute in Armut lebt und beispielsweise vom Zugang zu sauberem Trinkwasser aktiv abgehalten wird - auch wenn es anders aussieht: nichts anderes machen die europäischen Grenzschutzwächter, wenn sie afrikanische Bootsflüchtlinge zurücktreiben -, wäre das Prinzip der Gesellschaft als angeblich alternativlose Form menschlichen Zusammenlebens in Frage zu stellen.

Vor diesem Hintergrund ausgerechnet an jene Interessensgruppen zu appellieren und sie um uneingeschränkte Verfügbarkeit von Wasser zu bitten, die maßgeblich von diesem System profitieren, indem sie beispielsweise Wasserkonzerne ihr Eigentum nennen und vom Wassermangel der anderen leben, wird wahrscheinlich nicht reichen, um zum gewünschten Ergebnis zu führen.

24. März 2009