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RESSOURCEN/106: Geostrategisches Geschachere um Wolfram (SB)


China sitzt auf den weltgrößten Lagerstätten für Wolfram

USA befürchten geostrategische Nachteile aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit des seltenen Metalls


Die Sicherung von Ressourcen durch wirtschaftspolitische und militärische Maßnahmen gewinnt in den nächsten Jahren mehr denn je an Bedeutung. Mit 2,13 Billionen US-Dollar hat China die weltweit größten Währungsreserven. [1] Aber kann es die Währung in entsprechende Verfügungsgewalt umsetzen? Was nutzen die Billionen, wenn das Land die Währung nicht anlegen und sie nicht in weniger fiktive Werte, beispielsweise Rohstoffe, ummünzen kann?

Eine solch enorme Währungssumme kann nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eingesetzt werden, nämlich so lange, wie der Schuldner USA mitspielt. Wenn er sich hingegen weigert, und das könnte sich die Vereinigten Staaten dank ihrer militärischen Stärke - in letzter Konsequenz dank der Atomwaffen -, leisten, dann würden sich 2,13 Billionen Dollar in Luft auflösen. Selbstverständlich sind auch die Vereinigten Staaten von Amerika wirtschaftlich global fest eingebunden, so daß sie zur Zeit keine grundstürzenden Schritte wie die Abschaffung des Dollar und beispielsweise als Ersatz den Amero, wie er vor einigen Jahren im Gespräch war, als gemeinsame Währung mit Kanada und Mexiko einführen werden, da mit einem solchen Schritt für sie unkalkulierbare Risiken verbunden wären.

Aber es könnte eines Tages entweder ein so hoher wirtschaftlicher oder politischer Druck entstehen, daß sich die US-Regierung genötigt sieht, den Dollar abzuschaffen, weil sie über diese Währung erpreßbar ist, oder aber es könnte globalpolitisch zu einer Situation kommen, in der der Dollar als Währung nicht mehr benötigt wird, weil qualifiziertere Formen der Herrschaftssicherung als Währung geschaffen wurden. Dann würde deutlich werden, daß die unvorstellbar hohe Summe von 2.130.000.000.000 Dollar nichts wert wäre. Es handelt sich um papiernes Geld, das verbrannt, oder elektronisches Buchungsgeld, das per Löschtaste getilgt werden kann. Dann offenbarte sich die ursprüngliche Bedeutung von Währung als "gewähren" - oder eben nicht gewähren. Das Versprechen ist die eigentliche Funktion von Geld.

Die US-Notenpresse läuft zur Zeit auf Hochtouren. Der Dollar verliert an Wert, und damit sinkt auch der Wert der chinesischen Währungsreserven. Falls die USA eines Tages erklärten, daß sie - vielleicht mit dem Argument ungeahnter weltpolitischer Probleme - gezwungen sind, sich von jenem Versprechen zu entbinden, könnte China zwar Gegenmaßnahmen ergreifen, um die USA zu schädigen, aber die 2,13 Billionen Dollar haben an sich keinen Wert. Das heißt, der Gegenwert zu dieser Form abstrakter Verfügungsgewalt läßt sich nicht eintreiben, Gegenmaßnahmen Chinas liefen dann voraussichtlich auf Erpressungsversuche - umgekehrte Geldeintreiberei - oder Zerstörungen hinaus, was in einen militärischen Waffengang münden könnte.

Mit einer Währungsreserve von 2,13 Bio. Dollar hat China kein geringfügiges, sondern ein riesiges Problem. Es muß versuchen, den fiktiven Wert in materielle Werte oder andere, weniger abstrakte Mittel zur Sicherung von Verfügungsgewalt zu transformieren, beispielsweise Rohstoffe, mit denen die eigenen Wirtschaft dauerhaft befeuert werden kann. Aber Selbst materielle Werte müssen geschützt werden, denn sie lassen sich rauben. Ein gutes Beispiel liefert Sudan, das über Erdölvorkommen verfügt, die zur Zeit vornehmlich an China fließen. Das Land hat sich eingekauft und erhebt nun entsprechend Anspruch auf den großen Teil des sudanesischen Öls. Die USA, die sich 1983 aus dem Land zurückgezogen haben, versuchen durch das ständige Schüren von Konflikten - zunächst zwischen Nord- und Südsudan, ab 2003 in der westsudanesischen Provinz Darfur -, wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Mit einem gewissen Erfolg. Nord- und Südsudan haben 2005 einen Friedensvertrag abgeschlossen, und der Zugriff auf die erdölreiche Region um die Stadt Abyei wird unter den Kontrahenten aufgeteilt, wie in der vergangenen Woche der Ständige Schiedgerichtshof (Permanent Court of Arbitration, PCA) in Den Haag entschieden hat. [2] Südsudan ist jedoch ein Protegé der USA, und sollte sich 2011 die Abyei-Region für einen Anschluß an Südsudan, in dem im selben Jahr ein Referendum über eine vollständige Trennung vom Norden abgehalten wird, entscheiden, würde China weiter an Einfluß zugunsten der USA verlieren. In der Konsequenz bedeutet das, daß sich die USA über den Umweg Sudan, in dem teils mit militärischen Mitteln ein Stellvertreterkrieg ausgefochten wird, Erdöl zu Lasten von China aneignen - ungeachtet dessen, daß die USA tief in der Schuld Chinas stecken.

Das Projekt "Sudan" ist von den USA langfristig angelegt, die geopolitische Verschiebung des Einflusses erstreckt sich über viele Jahre. Um einiges schwieriger, aber strukturell auch ganz anders gelagert, verhält es sich mit Rohstoffen, die in keinem Drittstaat, sondern auf chinesischen Territorium liegen. Auch hier finden Verteilungskämpfe zwischen den wirtschaftlich führenden Ländern statt, nur mit dem Unterschied, daß sie auf andere Weise als in Sudan ausgetragen werden. Wolfram zum Beispiel wird seine strategische Bedeutung in den nächsten Jahren nicht verlieren, nur weil in Zukunft keine klassischen Glühbirnen mit Wolframfäden mehr verkauft werden. Die strategische Bedeutung von Wolfram wird zunehmen.

China verfügt über reichlich Wolframvorkommen, schätzungsweise 80 Prozent der Weltproduktion entfallen auf das Reich der Mitte und werden auch dort verarbeitet. Wolfram kommt in der Militär-, Luft- und Raumfahrt- sowie der Informationstechnologie eine besondere Bedeutung zu. Chinas Reserven an diesem Rohstoff schwinden jedoch rapide. [3] Vor zehn Jahren machten sie 88 Prozent der globalen Reserven aus, 2007 waren es nur noch 52 Prozent. Umgekehrt verzehnfachten sich die Exporte. Bei gleichbleibender Ausfuhrgeschwindigkeit würde China in 30 bis 50 Jahren seine Spitzenposition eingebüßt haben.

Wolfram und andere seltene Erden entziehen sich der Wiederverwertung, was die Endlichkeit der Verfügbarkeit noch deutlicher als bei recycelbaren Rohstoffen vor Augen führt. Eine Reihe von Staaten hat deshalb begonnen, sich strategische Wolframreserven anzulegen. Nun belauern sich die Staaten gegenseitig oder versuchen, anderen die Beute abzujagen. Da reichen zum Beispiel die USA und EU gemeinsam bei der Welthandelsorganisation WTO Klage gegen die chinesischen Exportrestriktionen ein, nachdem Peking beschlossen hat, die Ausfuhr von Wolfram mit deutlich höheren Zöllen zu belegen.

China wiederum verteidigt seine Maßnahmen, bezeichnet sie als konform mit den WTO-Bestimmungen und macht den Schutz der Umwelt und der Bodenschätze geltend. Laut einem Sprecher der chinesischen Regierung sind in Zeiten der Rezession restriktive Maßnahmen für strategische Metalle wichtig. Mei Xinyu, Forscher des Handelsministeriums, stellte klar, daß nach UN-Recht jedes Land den Abbau seiner Ressourcen überwachen dürfe. Umgekehrt beschuldigte der Sprecher die USA und EU, daß sie gegen grundlegende Vereinbarungen der internationalen Gemeinschaft verstoßen und die Souveränität Chinas mißachten. [4] Kürzlich hat das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie neue Richtlinien für den Umgang mit Rohstoffen bekanntgegeben. Demnach wird der Export von Wolfram und anderen Metallen noch strenger überwacht als bisher. Unumwunden wird erklärt, daß die nationale und wirtschaftliche Sicherheit nicht gefährdet werden sollte.

Der Schutz der Wolframreserven ist somit eine Frage der nationalen Sicherheit Chinas. Aber auch der nationalen Sicherheit der USA. Sie oder zumindest Teile des Establishments reklamieren potentiellen Zugriff auf die chinesischen Wolframreserven. Wie der Rede von Sharon Burke, Vizepräsidentin für "Natürliche Sicherheit" des US-amerikanischen Think Tanks CNAS (Center for a New American Security) am 21. Juli 2009 vor einem US-Senatsausschuß zum Thema "Klimawandel und Nationale Sicherheit" belegt. [5] Mit Bezug auf Aussagen von Verteidigungsminister Robert Gates zur Frage der Ressourcensicherung erklärte sie, daß "die Herausforderungen, denen sich unsere Nation ausgesetzt sieht, nicht allein mit militärischen Mitteln bewältigt werden können".

Es ist keine neue Erkenntnis, aber diese Aussage bedeutet umgekehrt, daß die USA ihre überlegene Waffengewalt zur Sicherung von Rohstoffen eingesetzt haben und auch in Zukunft einsetzen werden. Burke führte weiter aus, daß die Vereinigten Staaten auf den Import strategischer Güter angewiesen sind, und sagte: "Die Importabhängigkeit stellt nicht von sich aus notwendigerweise eine Bedrohung oder gar Herausforderung dar. (...) Importabhängigkeit kann aber zu einer strategischen Verpflichtung werden, wenn sich die Sourcen in einer Hand befinden, der Bedarf zunimmt oder Ersatzrohstoffe begrenzt sind." [5] Und am Beispiel von Wolfram, bei dem China eine hohe Marktmacht aufweist, behauptete Burke, daß die USA seit 1995 kein Wolfram mehr abgebaut haben, obgleich es fünf Prozent der Weltreserven besitzt. Damit will die US-Analystin andeuten, daß chinesisches Wolfram konkurrenzlos günstig angeboten wird, was angeblich die USA vom Markt verdrängt bzw. zur Einfuhr von Wolfram (2007: 10.000 t) genötigt hat.

Die Existenz des von Burke kritisierten Bieterwettbewerbs bei Wolfram ist unstrittig, wenngleich obsolet. China hat längst wirksame Exportbeschränkungen verhängt. Aufgrund dessen stieg der Wolframpreis zwischen 2005 und 2007 um 150 Prozent an. [6] Warum sie dies in ihrer Rede nicht erwähnt hat, muß die CNAS-Analystin selbst verantworten, setzt sie sich doch dem Verdacht aus, die letzten Jahre verschlafen zu haben oder aber China ins schlechte Licht rücken zu wollen.

Chinas Exportboom hatte einst wesentlich zum Preisverfall beigetragen. 2005 betrug der Durchschnittspreise für seltene Erden nur 64 Prozent des Preisniveaus von 1990, während die Gewinnspanne lediglich zwischen 1 und 5 Prozent lag. Doch am 1. Juni 2007 erhöhte China die Exportsteuern für Wolfram von zehn auf 15 Prozent, um den Ausverkauf einzudämmen. Am 1. August desselben Jahres wurden die Ressourcensteuern auf Wolfram, Kupfer, Zink und Blei angehoben. [6]

Burke unterschlägt, daß die US-Wolframreserven, die seit 1999 von der Defense Logistics Agency verkauft werden, weitgehend aufgebraucht sind. Das war der wichtigere Grund für die Exportzurückhaltung als Chinas Markteroberungsvorstoß. Außerdem hat Washington ein strategisches Interesse daran, eine gewisse Menge an Wolfram zu horten, um nicht erpreßbar zu sein.

In Verbindung mit der Erklärung, daß nicht immer das Militär Ressourcensicherung betreiben kann, haben wir es hier also mit einer gefährlichen Mischung aus militärischer Stärke und dem Anspruch, dieses nach Belieben zur strategischen Rohstoffsicherung in Stellung zu bringen oder aber andere Zwangsmittel einsetzen zu dürfen, zu tun. Einerseits wird China von Burke dafür kritisiert, daß es Wolfram billig in großen Mengen auf den Weltmarkt wirft, andererseits reichen die USA und EU Klage gegen China ein, wenn es - im Sinne Burkes - eine anständige Wirtschaftspolitik betreibt und den Preisverfall aufhält.

In beiden Fällen wird China bezichtigt. Darum geht es. Das Land soll unbedingt unter Druck gesetzt werden, denn es greift den Führungsanspruch der USA und ihres wirtschaftlich starken, aber militärisch erheblich schwächeren Juniorpartners EU an. Würde China auf die Idee kommen, ein absolutes Exportverbot für Wolfram zu verhängen, riefe es damit die letztlich die NATO auf den Plan, denn ohne Nachschub an Wolfram wären die Möglichkeiten des Militärs langfristig sehr, sehr eingeschränkt.

Die Weltreserven an Wolfram werden auf 2,9 Millionen Tonnen geschätzt. Bei einem Jahrsverbrauch von 73.300 Tonnen (2006) sind die nächsten Jahrzehnte gesichert. Allerdings könnten die Preise weiter steigen, und da die Militärapparate langfristig denken, werden sie sich heute Gedanken machen, wie übermorgen ihre Versorgung mit Rohstoffen aussehen wird.

Wolfram ist ein seltenes, für viele Produkte unverzichtbares Metall, das in vergleichsweise geringen Mengen verarbeitet wird. An ihm kann übrigens beispielhaft abgelesen werden, daß Gesundheits- und Umweltschutzfragen im Zusammenhang mit Rohstoffabbau, -verarbeitung und den Endprodukten sowie mit dem eingangs erwähnten massiven Anlageproblem aufgrund der Akkumulation einer gewaltigen Summe an fiktiven Werten dem grundlegenden Anliegen der Regierungen zur Wahrung der nationalen Sicherheit - womit in der Regel ein elitärer Kreis innerhalb der Gesellschaften gemeint ist - von vornherein untergeordnet werden. Wenn Burke und ihre Kollegen, die vor allem aus dem Militär stammten, bei der Anhörung vor dem Senatsausschuß der Vereinigten Staaten den Klimawandel mit der nationalen Sicherheit verknüpfen und Rohstoffsicherung als "globale Herausforderung" bezeichnen, dann reden sie nicht zuletzt der militärischen Lösung das Wort. In Kriegszeiten fragt niemand mehr danach, ob ein Metall zu gesundheitlichen oder umweltbezogenen Schäden führen kann.


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Anmerkungen:

[1] "Aus Spekulation wird Klarheit: Chinas Reserven 2,13 Bio. USD", 15. Juli 2009
http://www.financial.de/news/emerging-markets/2009/07/15/aus-spekulation-wird- klarheit-chinas-reserven-213-bio-usd/

[2] "Abyei oil region. International court redefines boundaries in Sudan", 22. Juli 2009
http://www.welt.de/international/article4169020/International-court-redefines- boundaries-in-Sudan.html

[3] "Chinesische Rohstoff-Reserven gefährdet", 8. Juli 2009
http://www.financial.de/experten/2009/07/08/483255/

[4] "Chinesische Rohstoffreserven sind stark bedroht", 7. Juli 2009
http://www.goldseiten.de/content/diverses/artikel.php?storyid=10977

[5] Sharon Burke: "Climate Change and U.S. National Security: A Changing Global Strategic Environment", 21. Juli 2009
foreign.senate.gov/testimony/2009/BurkeTestimony090721p.pdf

[6] "Sorgt China für hohe Wolframpreise?", Miriam Kraus, 18. Juli 2007
http://www.rohstoff-welt.de/news/artikel.php?sid=1530

29. Juli 2009