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RESSOURCEN/174: Kalkül des Meerwerts ... (SB)


Ozeane sind mehr wert als bloße Fischlieferanten oder Auffangbecken für allerlei Schadstoffe

WWF berechnet Ökosystemdienstleistung der Weltmeere als Argumentationshilfe für die Forderung nach einem nachhaltigeren Umgang


So wie die Erdatmosphäre als kostenloses Endlager für Luftschadstoffe und anthropogene Treibhausgasemissionen benutzt wird, werden auch die Weltmeere als riesige Auffangbecken für ungereinigte Abwässer, Gülle, Raketenstufen, Schiffsabfälle, Atomfässer, Munitionsreste, Kunststoffpartikel und vieles, vieles mehr verwendet. Luft wie Wasser haben jedoch ihre Kapazitätsgrenzen - nicht im physikalischen, sondern im ökonomischen und letztlich sogar existentiellen Sinne. Beispielsweise würden die Emissionen von immer mehr Treibhausgasen aus der Verbrennung fossiler Energieträger darauf hinauslaufen, daß sich die Erde aufheizt, was mit folgenschweren Naturkatastrophen einherginge, und die Ozeane würden so schnell versauern, daß alle Kalkbildner unter den Meerestieren nicht überleben. Beides würde die Lebens- und Überlebensbedingungen vieler Menschen erheblich beeinträchtigen.

Noch in diesem Jahr will die internationale Gemeinschaft Nachhaltigkeitsziele (SDG - Sustainable Development Goals) und ein Klimaschutzabkommen als Nachfolger des Kyoto-Protokolls verabschieden. Zeitgleich zu den gegenwärtig laufenden Vorbereitungsverhandlungen der nationalen Delegationen in den entsprechenden Gremien positioniert sich die Zivilgesellschaft mit ihren Vorstellungen. So auch der World Wildlife Fund (WWF).

Die Ozeane müssen geschützt werden, sie haben einen Wert von 24 Billionen Dollar und wären damit die siebtgrößte Wirtschaftsnation, heißt es in einer neuen Studie, die der WWF gemeinsam mit dem Global Change Institute an der Universität von Queensland und der Boston Consulting Group diese Woche unter dem Titel "Reviving the Ocean Economy: the case for action - 2015" veröffentlicht hat. In der 12-seitigen Zusammenfassung heißt es, daß der Wert der Ozeane für unseren Planeten "unberechenbar" ist, aber daß er nun in den Fokus gerückt sei, da die Menschheit von der Unversehrtheit der Ozeane und dem, was sie bereitstellen, abhängig ist.

Weiter heißt es zur Bedeutung der Weltmeere: "Diese unschätzbare Ressource, die uns ernährt, das Klima stabilisiert und zahllose andere Wohltaten bietet, zeigt gefährliche Anzeichen einer angeschlagenen Gesundheit." Lokale Streßfaktoren wie die Zerstörung von Habitaten, Überfischung und Verschmutzung belasteten die Meere ebenso wie die schnellen und beispiellosen Veränderungen der Meerestemperatur und des Säuregrads. [1]

Um die politischen Entscheidungsträger zu Schutzmaßnahmen für die Ozeane zu bewegen, verwendet die Arbeitsgruppe um Studienleiter Professor Ove Hoegh-Guldberg Kategorien aus der Ökonomie. Der Bericht spräche deutlich aus, "was wir alle zu verlieren haben, sollte das Mißmanagement der Vermögenswerte der Ozeane andauern", heißt es. Die Wissenschaft allein genüge nicht als Treiber, deshalb habe man, um die Dringlichkeit von Maßnahmen anzumahnen, die schwerwiegende Umweltdegradation mit der Frage der Wirtschaftlichkeit verknüpft. Konservativ gerechnet liefere die Küsten- und Meeresumwelt jährlich einen Dienstleistungswert von 2,5 Billionen Dollar. Der gesamte Vermögenswert der Ozeane betrage das Zehnfache dessen.

Der Report benennt acht Maßnahmen, die ergriffen werden müßten, um die gegenwärtige, negative Entwicklung aufzuhalten: Erstens sollte die Erholung der Meere von den Vereinten Nationen in die "Post-2015-Agenda", einschließlich SDGs, aufgenommen werden. Desweiteren wird gefordert, das Problem der Ozeanerwärmung und Versauerung in Angriff zu nehmen, mehr Meeresschutzgebiete auszuweisen, die Überfischung zu beenden, eine "Blaue Allianz" von maritimen Staaten - denen eine Führungsrolle zum raschen und umfassenden Schutz der Ozeane zugedacht wird - und öffentlich-private Partnerschaften für einen nachhaltigen Umgang mit marinen Ökosystemen zu bilden, den Wert der Ozeane genauer zu erfassen sowie eine internationale, interdisziplinäre Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Lösungsmöglichkeiten zu schaffen.

Der vom WWF gewählte Ansatz, das Interesse der politischen Entscheidungsträger dadurch zu wecken, daß Umweltschäden und sogenannten Ökosystemdienstleistungen ein monetärer Wert zugemessen wird, hat in der Umweltbewegung Tradition. Ein Vorteil dieses Ansatzes könnte theoretisch darin liegen, daß in der Politik allmählich ein Umdenken einsetzt und es den Unternehmen nicht mehr gestattet wird, die Kosten zur Beseitigung von Kollateralschäden ihrer Produktion auf die Gesellschaft abzuwälzen.

Ein gravierender Nachteil besteht jedoch darin, daß dadurch die Natur immer weiter ökonomisiert wird und sich damit eine von den Hochproduktionsländern propagierte Lebensweise durchsetzt - zu der auch der Umwelt- und Naturschutz gehört -, durch die beispielsweise aus indigenen Bewohnern des tropischen Regenwalds, die natürlicherseits einen nachhaltigen Umgang mit ihrer Umgebung pflegen, Ökosystemdienstleister gemacht werden, die Geld dafür erhalten, daß sie den Wald als "CO2-Senke" bewahren - aber als Preis dafür auf einige ihrer gewohnten Waldnutzungsformen verzichten.

Eine vergleichbare Problematik entsteht bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten in Küstennähe, wo bislang artisinale Fischerei betrieben wird. Naturschutz und Kleinfischerei müssen kein Gegensatz sein, bei einer Ausweitung der Schutzgebiete könnte aber eine Flächenkonkurrenz entstehen, bei der die handwerkliche Fischerei wieder einmal das Nachsehen hätte.

Sollte der Ansatz der Inwertsetzung der Natur, wie er in der WWF-Studie in abstrakter Form vorexerziert wird, dazu führen, daß zwar Naturschutz be-, aber dafür Menschen vertrieben werden, dann würde die ressourcenverbrauchende und umweltzerstörende "economy", deren Kollateralschäden bislang sozialisiert und späteren Generationen aufgelastet werden, lediglich in eine "green economy" mit vergleichbaren Folgewirkungen transformiert.


Fußnote:

[1] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Report-Reviving-the-Ocean-Economy-Summary.pdf

24. April 2015


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