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RESSOURCEN/175: Meeresschutz am Abgrund - Schutzgebiete für Hohe See gefordert (SB)


Forschergruppe fordert Einrichtung regionaler Netzwerke von Meeresschutzgebieten

Internationale Meeresbodenbehörde soll Lizenzvergabe stoppen


Der Schutz der Meere vor zukünftigen Bergbauaktivitäten in der Tiefsee könnte sich bereits auf dem Rückzug befinden, noch bevor der erste "Spatenstich" gesetzt wurde. Darauf läßt die besorgte Aufforderung einer Gruppe von Institutionen und Personen an die Internationale Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) schließen, sie möge doch bitte ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten (Marine Protected Areas, MPA) ausweisen, bevor sie weitere Lizenzen zur Erkundung des Meeresbodens nach Rohstoffen vergibt. "Von der Einrichtung regionaler MPA-Netzwerke in der Tiefsee könnten potentiell sowohl die Bergbau- als auch Biodiversitätsinteressen profitieren, da hierdurch sowohl eine größere ökonomische Sicherheit als auch ein größerer Schutz der Ökosysteme geschaffen wird", wirbt Lisa Wedding, Nachwuchswissenschaftlerin am Center for Ocean Solutions, für den Vorschlag. [1]

Die Aufforderung der US-Forschergruppe deckt sich mit dem Anliegen von Umweltorganisationen wie WWF und Greenpeace sowie der Initiative Fair Oceans, die ein Moratorium für den Erzbergbau in der Tiefsee bis 2030 fordert. [2] Der im Wissenschaftsmagazin Science [3] veröffentlichte Bericht der Gruppe um das Center for Ocean Solutions kommt zu einer Zeit, da man eigentlich annehmen könnte, daß dem Meeresschutz tatsächlich mehr Bedeutung beigemessen wird. Im Januar dieses Jahres vereinbarte die UN biodiversity working group die Empfehlung, ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten auszuweisen. Am 19. Juni ist die UN-Generalversammlung der Empfehlung gefolgt und hat offiziell beschlossen, ein High Seas Biodiversity Agreement zu erarbeiten. Im März kommenden Jahres soll die Arbeit dazu aufgenommen werden.

Die Internationale Meeresbodenbehörde, die der Adressat der Aufforderung ist, wurde im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) eingerichtet und verwaltet den gesamten Meeresboden, der außerhalb der nationalen Souveränität liegt. Diese reicht 200 Seemeilen weit ins Meer, kann aber auf bis zu 350 Seemeilen erweitert werden, wenn ein Staat nachweist, daß bis dahin sein Kontinentalschelf reicht.

Der von der ISA verwaltete Meeresboden gehört zur Hohen See, dem "Gebiet" (engl. "Area") und wird als "gemeinsames Erbe der Menschheit" bezeichnet. Diese Formulierung bedeutet allerdings nicht, daß jenes Erbe unangetastet bleibt. Es wird zur Zeit verteilt. Die ISA hat an 26 Staaten Lizenzen zur Erkundung (Exploration) des Meeresbodens vergeben, eine Ausbeutung (Exploitation) von Rohstoffen findet derzeit noch nicht statt. Zumindest nicht in dem "Gebiet", wohl aber in Meeresgebieten, einschließlich der Tiefsee, die der nationalen Jurisdiktion unterliegen.

Deutschland wurden Lizenzen in der Clarion-Clipperton-Zone, dem Manganknollengürtel, der zwischen Hawaii und Kalifornien liegt, sowie im südlichen indischen Ozean zugesprochen. Derzeit ist von drei Hauptgruppen an Lagerstätten für den potentiellen Rohstoffabbau die Rede: Manganknollen, Massivsulfide und Kobaltkrusten. Sie enthalten neben Eisen und Mangan auch Kupfer, Nickel, Seltene Erden und andere Elemente, die für Autos, Flugzeuge, Mobiltelefone, Rüstungsgüter, Fernseher, Computer und viele weitere Industrieprodukte verwendet werden.

In Anbetracht des spärlichen Wissens über die Tiefsee könnten regionale Netzwerke von Meeresschutzgebieten, in denen Bergbau untersagt wird und die einen bedeutenden Teil des Meeresboden einnehmen, ein wichtiger Faktor sein, um unvorhergesehene Umweltauswirkungen zu vermeiden, sagt Co-Autor Steven Gaines, Dean der Bren School of Environmental Science & Management der Universität von Kalifornien in Santa Barbara.

Von welchen möglichen Auswirkungen des Meeresbodenbergbaus ist hier die Rede? Lebewesen im und am Meeresboden (benthisches Leben) wird verdrängt, beeinträchtigt, verletzt oder getötet. Sedimentfahnen entstehen sowohl beim Abbau der Rohstoffe als auch bei der Rückführung des mitgeförderten, sedimenthaltigen Meerwassers und können von Meeresströmungen davongetragen werden. Die bestehende Schichtung der Meere könnte durcheinandergebracht werden, was zu einer Irritation der Kommunikation von Meeressäugern wie den Walen führt - abgesehen davon herrscht unter Wasser inzwischen ein Lärm, der das Leben der Tiere, die empfindliche Hörorgane besitzen, zur Folter werden läßt.

Lärm ist einer der Faktoren, die im Zusammenhang mit dem Phänomen des Massenstrandens von Walen und Delphinen genannt werden. Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamts, sagte anläßlich einer neuen Studie zur untermeerischen Lärmproduktion von Airguns, die bei der Rohstoffsuche eingesetzt werden: "Der Lärm in den Meeren nimmt zu und wird voraussichtlich weiter zunehmen. Allein schon wegen der weiter anstehenden Rohstofferkundungen in den Weltmeeren." [4]

Obwohl diese Schallerzeuger nur kurze, wenngleich sehr kräftige Signale aussenden, aus deren Echos dann auf die Beschaffenheit des Ozeanbodens und potentielle Lagerstätten geschlossen wird, kann sich der Laut in einiger Entfernung zu einem dauerhaften, für Wale schmerzhaften Ton dehnen.

Auch Beeinflussungen der Speichereigenschaft der Tiefsee von Kohlenstoffdioxid sind zu erwarten, ebenso wie Störungen der Wärmeaufnahmekapazität der Tiefsee. In beiden Fällen könnten Rückwirkungen auf die Erderwärmung nicht ausgeschlossen werden, wobei kein Experte sagen kann, ob dabei nicht "tipping points" überschritten werden, ab denen die Störung eine Dynamik entwickelt, die durch keine Maßnahmen mehr aufzuhalten sein wird.

Die Forderung der Meeresschützer nach Einrichtung von Meeresschutzgebieten, in denen kein Bergbau betrieben werden soll, kommt zeitlich vor der 21. Session der ISA in Kingston, Jamaika. Noch in diesem Sommer werden dort wichtige Weichen des Meeresschutzes gestellt, sagt Co-Autor Larry Crowder, wissenschaftlicher Direktor am Center for Ocean Solutions und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stanford Woods Institute for the Environment: "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um einen bedeutenden Teil des Planeten für die gegenwärtige Generation und zukünftigen Generationen zu schützen."

Jeder Lizenznehmer, den die ISA ermächtigt, den Meeresboden zu erforschen, muß ein gleichgroßes und ökologisch gleichwertiges Gebiet als Schutzgebiet verwalten. In der Clarion-Clipperton-Zone werden sie als "Area of Particular Environmental Importance" (APEI), also Gebiete von besonderer Umweltbedeutung, bezeichnet. Würde diese Bestimmung auch bei der späteren Exloitation beibehalten, wäre rein rechnerisch schon mal die Hälfte des Meeresbodens der Hohen See vom Bergbau ausgeschlossen. Da sich die begehrten Rohstoffe nicht gleichmäßig verteilen, käme voraussichtlich nur ein kleiner Teil des Meeresbodens für den marinen Bergbau in Frage.

Tragen die Meeresschützer somit Eulen nach Athen, wenn sie etwas fordern, was sowieso zu erwarten ist? Oder befürchten sie zu Recht, daß der Meeresschutz vernachlässigt wird, sobald wirtschaftliche Interessen ins Spiel kommen? Weltweit sind bislang nur rund zwei Prozent der Ozeane geschützt, und sobald es sich ökonomisch lohnt, in den aufwendigen, technologisch innovativen Meeresbodenbergbau einzusteigen, werden die interessierten Unternehmen schon dafür sorgen, daß sie daran nicht ernsthaft gehindert werden.

Doch warum fordern die Meeresschützer keine Nullösung, sondern suchen nach einem Ausgleich zwischen ökonomischen und ökologischen Interessen? Vielleicht können sie durch diesen Standpunkt Realismus für sich verbuchen und bei politischen Entscheidungsträgern Gehör finden. Was aber ist so ein Realismus wert angesichts der verheerenden Klimawandelfolgen der vorherrschenden, auf Naturverbrauch abonnierten Produktionsweise? Und was ist das Gehör politischer Entscheidungsträger wert angesichts einer Welt, in der als Folge keineswegs alternativloser politischer Entscheidungen die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um vier bis fünf Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen könnte, was zu massiven gesellschaftlichen Umbrüchen und hohen Opferzahlen führen würde?

So berechtigt die Sorge um den Schutz der Meere auch ist, die Ausweisung von Schutzgebieten stellt sicherlich einen Kompromiß dar und birgt die Gefahr, daß genau deswegen die Gebiete außerhalb solcher Zonen für den Meeresbodenbergbau freigegeben werden. Das würde das Anliegen der Meeresschützer pervertieren, ist aber in ihrer Entscheidung, keine Nullösung anzustreben, schon angelegt.


Fußnoten:

[1] Das Center for Ocean Solutions ist ein Zusammenschluß zwischen dem Stanford Woods Institute for the Environment, der Hopkins Marine Station an der Stanford University, dem Monterey Bay Aquarium und dem Monterey Bay Aquarium Research Institute. Seine Aufgabe sieht das Zentrum darin, größere Probleme hinsichtlich der Ozeane zu lösen und politische Entscheidungsträger zu beraten, wie sie den Herausforderungen begegnen können.
http://www.centerforoceansolutions.org/news-stories/protecting-deep-sea-call-balancing-mining-and-ecosystem-protection-0

[2] http://www.fair-oceans.info/index.php/positionen.html#SDG-Positionen-0

[3] http://www.sciencemag.org/content/349/6244/144

[4] http://www.umweltbundesamt.de/presse/presseinformationen/laerm-im-meer-der-unterschaetzte-stoerfaktor

14. Juli 2015


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