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RESSOURCEN/177: Earth Overshoot Day - Wachstum, Wohlstand und ansonsten Wegschauen (SB)


13. August 2015 - Weltbevölkerung hat ihr Jahresbudget an erneuerbaren Ressourcen verbraucht


Wer eine Tasse Kaffee trinkt, verbraucht dafür 140 Liter Wasser [1]; für die Herstellung von einem Kilogramm Rindfleisch werden bis zu 49 Quadratmeter Fläche benötigt [2]; die Treibhausgasemissionen von Otto Normalverbraucher liegen bei etwa 11,5 Tonnen CO2-Äquivalent [3] und damit um den Faktor 5 über dem, was nötig wäre, damit die globale Erwärmung nicht noch weiter angetrieben wird ... willkommen beim diesjährigen Earth Overshoot Day! Am 13. August 2015 entspricht der Verbrauch an erneuerbaren Ressourcen rechnerisch dem, was die Erde nachliefern kann. [4] Die Website "Plattform Footprint" drückt es formelhaft aus [5]:

Earth Overshoot Day = Biokapazität (gha) / Ökologischer Fußabdruck (gha) x 365

Von Donnerstag an bis Ende des Jahres lebt die Menschheit auf Pump. Genauer gesagt, der kleinere Teil der Menschheit, während der andere unterhalb dieser rechnerischen Grenze bleibt, aber nicht selten aufgrund jenes Mehrverbrauchs der Privilegierten geschädigt wird. Beispielsweise durch die Umweltfolgen des Bergbaus, die Folgen der globalen Erwärmung (Meeresspiegelanstieg, vermehrte Naturkatastrophen) oder auch des (Gift-)Mülltransfers von den Wohlstands- in die Armutsregionen (Schiffverschrottung, Elektroschrottbeseitigung). Die Menschheit lebt derzeit so, als ständen ihr 1,5 Erden zur Verfügung; nur auf das Konsumniveau Deutschlands bezogen würden sogar 2,6 Erden gebraucht.

Die krasse Diskrepanz der Lebensgrundlagen zwischen den Armuts- und den Wohlstandsregionen wird mit Begriffen wie "Weltbevölkerung" und "Menschheit", die auf einen globalen Kontext abheben, verschleiert. Selbst innerhalb Deutschlands besteht ein eklatanter Unterschied in der Lebensqualität (Nahrung, Arbeitsbelastung, Gesundheitsversorgung, Urlaubs- und Erholungsmöglichkeiten, etc.) zwischen den ärmsten und den reichsten Einwohnern. Erstere haben ein durchschnittlich zehn Jahre kürzeres Leben.

Am Earth Overshoot Day will ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen (INKOTA, Germanwatch, BUNDjugend, Naturschutzjugend - NAJU, FairBindung, PowerShift, Christliche Initiative Romero und Stop Mad Mining) vor dem Kanzleramt in Berlin symbolisch eine Erdkugel aussaugen, um auf den hohen Ressourcenverbrauch in Deutschland aufmerksam zu machen und die Bundesregierung aufzufordern, ihre Ressourcenpolitik zu überdenken. "Die Bundesregierung unterstützt zwar bessere Energie- und Rohstoffeffizienz der deutschen Wirtschaft, bezieht aber die Einhaltung globaler Umweltgrenzen nicht konsequent in ihre Rohstoffpolitik ein", kritisiert Christoph Röttgers, Bundesjugendsprecher der Naturschutzjugend. Es fehle bisher an verbindlichen Aussagen, um den absoluten Ressourcenverbrauch in Deutschland zu senken. [6]

Es geht auch anders. Im Rheinland sind an die 1000 Menschen zusammengekommen, um nicht nur über eine ressourcenschonende Lebensweise zu diskutieren, sondern diese auch zu praktizieren. Dort hat sich die "Degrowth-Sommerschule" bewußt mit dem diesjährigen "Klimacamp Rheinland" zusammengeschlossen: "Mit dem Schwerpunktthema Klimagerechtigkeit wollen wir die Notwendigkeit eines umfassenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels unserer energie- und ressourcenintensiven Lebensweise sichtbar machen und konkrete Lösungen und Alternativen diskutieren", hießt es auf der Degrowth-Website. [7] Klimaaktivistinnen und -aktivisten protestieren seit Jahren gegen den Braunkohletagebau im Rheinland, denn "mit seinen drei Tagebauen und fünf Kraftwerken ist das rheinische Braunkohlerevier Europas größte CO2-Quelle". [8]

Ungeachtet dessen, daß der von der englischen New Economic Foundation (NEF) ins Leben gerufene Earth Overshoot Day nicht auf den Tag genau berechnet werden kann, wird damit jedoch eine klare Stellungnahme abgegeben. Die rechnerischen Voraussetzungen dieses "Erderschöpfungstags" werden von Umweltgruppen, der Wissenschaft und der Politik im Prinzip anerkannt. Es herrscht ein breiter Konsens auch in der Industrie, daß der Rohstoffverbrauch möglichst verringert werden sollte.

An der Frage, welche Konsequenzen daraus gezogen werden, scheiden sich jedoch die Geister. So wird durch die Politik von Bund und Ländern nach wie vor die Verstromung von Braunkohle gefördert, indem sie als Brückentechnologie für Jahrzehnte fortgeschrieben wird. Auch Fracking steht nach wie vor ganz oben auf der politischen Agenda, obgleich sich immer deutlicher abzeichnet, daß diese Art der Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten sowohl ökologisch als auch ökonomisch verheerende Auswirkungen haben kann.

Fast zwei Drittel der Erdoberfläche sind bislang vom Ressourcenabbau verschont geblieben, die Ozeane. Deutschland ist ganz vorne an bei den Vorbereitungen zum Tiefseebergbau (Blue Mining) und erkundet bereits im Manganknollengürtel zwischen Hawaii und Kalifornien sowie im südlichen Indischen Ozean Meeresgebiete, weil es hofft, dort eines Tages mineralische Rohstoffe abbauen zu können, wie sie unter anderem für die Hardware-Voraussetzungen Sozialer Netzwerke sowie Windräder, Solaranlagen und andere, vermeintlich "saubere" Produkte gebraucht werden.

Mit der Berechnung des Earth Overshoot Day wird beabsichtigt, den Ressourcenabbau zu verringern, und nicht, ihn auch noch in die letzten unerschlossenen Sphären des Planeten hinein auszudehnen und einem krisengeplagten, wachstumsideologischen Wirtschaftssystem durch die Flucht in die "Green Economy" vorübergehend etwas Luft zu verschaffen.


Fußnoten:

[1] http://virtuelles-wasser.de/kaffee_tee.html

[2] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Fleischkonsum_web.pdf

[3] tinyurl.com/nzws7r5

[4] http://www.inkota.de/fileadmin/user_upload/Presse/Pressemitteilungen/Hintergrund-Factsheet_zum_Erdueberlastungstag_2015.pdf

[5] http://plattform-footprint.de/verstehen/overshoot/
In der Formel steht gha für "globaler Hektar". Dieser ist laut der Website http://www.footprintnetwork.org/ folgendermaßen definiert:

"Ein globaler Hektar ist eine gemeinsame Messeinheit, die die durchschnittliche Produktivität der biologisch nutzbringenden Land- und Wasserflächen der Welt in einem gegebenen Jahr umfasst. Biologisch produktive Flächen beinhalten Acker- und Weideland, Wälder und Fischgründe, und umfassen nicht Wüsten, Gletscher oder den offenen Ozean."

[6] http://www.inkota.de/fileadmin/user_upload/Presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilung_INKOTA_u.a._04.08.15_Erdueberlastungstag_Die_Erde_ist_leer.pdf

[7] http://www.degrowth.de/de/sommerschule-2015/

[8] http://www.klimacamp-im-rheinland.de/hintergruende/warum-ein-klimacamp/

12. August 2015


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