Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


RESSOURCEN/185: Das Rossmeer wird zum Schutzgebiet (SB)


Schutz der Meere - Sicherung der Nutzung


Im Rossmeer vor der Antarktis soll das größte Meeresschutzgebiet der Welt entstehen. Das haben die 25 Mitglieder der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR - Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources) nach Jahren der Verhandlungen am Freitag beschlossen. Das Schutzgebiet soll im Dezember 2017 in Kraft treten, 35 Jahre gelten und mehrere Einzelgebiete umfassen, die zusammen 1,55 Millionen Quadratkilometer groß sind. Auf 72 Prozent der Fläche wird sämtlicher Fischfang komplett verboten, im Restgebiet darf zu Forschungszwecken gefischt (110.000 km²) oder Krill (322.000 km²) gefangen werden.

"Das waren unglaublich komplexe Verhandlungen", bekannte CCAMLR Executive Secretary Andrew Wright. Einige Details müßten noch abgeschlossen werden, aber die Einrichtung der Schutzzone werde nicht mehr in Frage gestellt. "Wir sind unglaublich stolz, bis zu diesem Punkt gekommen zu sein." [1]

Die CCAMLR wurde 1980 auf der Grundlage des Antarktisvertrags geschaffen und ist für Naturschutz, aber auch wirtschaftliche Nutzungsfragen in den zirkumantarktischen Meeresgebieten zuständig. Sitz des Sekretariats ist die australische Stadt Hobart. Das Rossmeer, das zu dem von Neuseeland beanspruchten "Tortenstück" der Antarktis gehört, gilt als Hotspot der Biodiversität. Von Mikroorganismen bis zu Wirbeltieren, hier finden sich in zwar befischten, aber dennoch relativ wenig vom menschlichen Einfluß geprägten Gebiet so viele Tiere und Tierarten, daß die Region auch als "Serengeti des Südens" oder gar "Garten Eden" bezeichnet wird.

Der größere Teil des Rossmeeres ist wegen der Schelfeisbildung nur für jeweils wenige Monate im Jahr befahrbar. Das wird von Forschungsschiffen, Fischtrawlern, aber auch Kreuzfahrtschiffen genutzt. Letztere befördern immer mehr gut betuchte Touristen, die es sich leisten können, für eine Reise ans "untere Ende der Welt" 15.000 Euro und mehr hinzublättern. Manchmal werden die Touristen auch mit einem Deckhubschrauber ganz dicht an die Pinguine, Seehunde und andere bis dahin ungestörte Antarktisbewohner herangebracht.

2011 hatten die USA und Neuseeland noch jeweils eigene Entwürfe für Schutzzonen im Rossmeer vorgeschlagen. Beide Konzepte wurden miteinander verbunden und von Jahr zu Jahr zusammengestrichen. Besonders Rußland, dessen Fischereischiffe regelmäßig das Rossmeer aufsuchen, die Ukraine (als sie noch mit ihrem östlichen Nachbarn freundschaftlich verbunden war) und China hatten sich lange Zeit gegen die Einrichtung einer Meeresschutzzone ausgesprochen.

Im März vergangenen Jahres übernahm Rußland turnusgemäß für zwei Jahre den Vorsitz der CCAMLR, seitdem hat sich einiges getan. Noch im selben Jahr hat China den amerikanisch-neuseeländischen Vorschlag unterstützt, und nun hat Rußland selbst seine Bedenken fallengelassen. Was die russische Seite zum Einlenken bewogen hat, ist nicht bekannt. Vielleicht hat es damit zu tun, daß der russische Präsident 2017 zum "Jahr der Ökologie" ausgerufen hat, vielleicht aber auch damit, daß der deutschestnische Seefahrer und Offizier in russischen Diensten Fabian Gottlieb von Bellingshausen 1820 die Antarktis entdeckt hat und Rußland es sich nicht entgehen lassen dürfte, dies im Jahr 2020 zum 200. Jahrestag feierlich zu begehen. Da hätte es sich nicht gut gemacht, als einziger Staat die Einrichtung einer solchen Schutzzone zu verweigern. Die USA, die keine Fangschiffe bei der CCAMLR gelistet haben [2] und denen deshalb eine Einschränkung der Fischerei im antarktischen Randmeer wirtschaftlich nichts ausmachen dürfte, ließen durch ihren Außenminister John Kerry verlauten, daß ein Schwerpunkt der Forschungen in dem neuen Meeresschutzgebiet darin liegen soll, die Zusammenarbeit der CCAMLR-Mitglieder zu verbessern, was zum Nutzen aller Menschen auf der Welt sei. [3]

Wenn Wright von "unglaublich komplexen Verhandlungen" spricht, dann könnte das bedeuten, daß Rußland womöglich gar keinem Verzicht seiner Fangmengen zustimmen mußte. Erstens sind die Schutzzonen so verteilt, daß nach wie vor wichtige Fischfanggebiete ausgenommen sind. Zweitens weiß man von anderen Marinen Schutzgebieten (MPA - Marine Protected Area), in denen nicht gefischt wird, daß die unmittelbar angrenzenden Meeresgebiete nach wenigen Jahren besonders fischreich werden können, weil sich die Fische natürlich nicht an die rechtlichen Grenzen halten und ihren Lebensraum ausdehnen. Das heißt, die Ausweisung eines MPA geht nicht zwangsläufig mit dauerhafte Einbußen bei den Fangmengen einher.

Drittens wäre es vorstellbar, daß andere Länder ihre Ausschließlichen Wirtschaftszonen für russische Trawler öffnen, die dann dort ersatzweise eine begrenzte Menge Fisch, respektive den im Rossmeer verbreiteten Antarktisdorsch (Dissostichus mawsoni), fangen dürfen. Viertens weiß man nicht genau, in welchem Umfang künftig Dorsch angeblich "zu Forschungszwecken" gefangen wird - vielleicht im gleichen Umfang, wie Japan aus vermeintlich wissenschaftlichen Gründen Wale aus dem Meer zieht?

Die Verhandlungen der CCAMLR waren sicherlich auch deshalb schwierig, weil hier rechtliches Neuland betreten wird. Es liegt erst sieben Jahre zurück, daß die weltweit erste MPA in einem Meeresgebiet außerhalb der nationalen Jurisdiktion, also in der "Area" bzw. Hohen See, errichtet wurde. 2009 einigten sich die CCAMLR-Mitglieder auf die Ausweisung eines 94.000 Quadratkilometer großes Schutzgebiets im südlichen Schelf der Südorkney-Inseln. Die Inselgruppe gehört zur Antarktis, wird jedoch sowohl von Argentinien als auch dem Vereinigten Königreich beansprucht. Wahrscheinlich behauptet die britische Zeitung "Guardian" [4] wegen dieses Anspruchs, daß die jetzt beschlossene MPA "die erste" marine Schutzzone außerhalb der nationalen Jurisdiktion sei ...

Argentinien und das Vereinigte Königreich haben 1982 um die rund 1500 Kilometer nordwestlich der Südorkney-Inseln gelegenen Falklandinseln Krieg geführt. Die Auseinandersetzung wurde unter anderem wegen der Nähe der umkämpften Inseln zur Antarktis gesucht. Damals sind Menschen auch für potentielle Nutzungsrechte und die Ausdehnung des nationalen Einflußbereichs über das Gebiet der Falklandinseln hinaus gestorben. Rußland dürfte also nicht der einzige Staat sein, der bei Fragen, die die Antarktis betreffen, sehr vorsichtig taktiert und hinsichtlich der Nutzung der antarktischen Randmeere keine rechtskräftigen Zugeständnisse macht, deren Konsequenzen nur schwer abzuschätzen sind. Man will sich ja nicht den Weg für die zukünftige Nutzung verbauen ...


Fußnoten:

[1] https://www.ccamlr.org/en/news/2016/ccamlr-create-worlds-largest-marine-protected-area

[2] https://www.ccamlr.org/en/compliance/licensed-vessels

[3] http://www.state.gov/secretary/remarks/2016/10/263763.htm

[4] https://www.theguardian.com/world/2016/oct/28/worlds-largest-marine-park-created-in-ross-sea-in-antarctica-in-landmark-deal

28. Oktober 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang